Bad Oldesloe. Stormarn ist deutschlandweit der Landkreis mit der höchsten Inzidenz. Doch wie aussagekräftig ist die Kennzahl eigentlich noch?
In den vergangenen Tagen gab es für den Inzidenzwert im Kreis Stormarn nur eine Richtung: steil nach oben. Täglich vermeldete das Kreisgesundheitsamt in Bad Oldesloe neue Höchstwerte. Auf Basis von 3998 gemeldeten Neuinfektionen binnen sieben Tagen war am Mittwoch ein Inzidenzwert von 1632,3 Corona-Infizierten pro 100.000 Einwohnern errechnet worden. Damit hatte sich die Zahl in Stormarn innerhalb von einer Woche fast verdoppelt und wies laut Robert Koch-Institut die höchste Inzidenz aller Landkreise bundesweit auf. Auf den Plätzen davor rangieren ausnahmslos Städte wie Berlin, Offenbach, Dachau und Wiesbaden oder Stadtteile.
Doch woran liegt das? Was ist in Stormarn anders als in anderen Kreisen? Und welche Umstände prägen das Infektionsgeschehen womöglich auf besondere Weise?
Gesundheitsamt musste Rückstände aufarbeiten
„Im Grunde ist die Lage bei uns nicht dramatischer als in anderen Teilen Deutschlands“, sagt Stormarns Landrat Henning Görtz. Es seien vor allem zwei Faktoren, die den Inzidenzwert aktuell maßgeblich beeinflussen würden. „Da ist zum einen die Zahl der tatsächlichen Neuinfektionen, zum anderen die in die Statistik einfließenden Infektionen, die länger als sieben Tage zurückliegen“, erklärt Görtz.
Durch personelle Engpässe habe das Gesundheitsamt in den vergangenen Tagen erhebliche Rückstände aufarbeiten müssen, die bis zum Jahreswechsel zurückreichten. „Jetzt konnten wir den Rückstand auf eine Woche verkürzen, inzwischen sind alle Fälle bis einschließlich 21. Januar abgearbeitet“, so Görtz.
Hohe Inzidenz hat auch andere Gründe
Durch temporäre Umstrukturierungen in der Kreisverwaltung und die Hilfe der Bundeswehr sind momentan allein 20 Mitarbeiter nur mit der Erfassung der Infektionsmeldungen beschäftigt. Insgesamt seien in das gebildete Corona-Kompetenzteam mehr als 70 Mitarbeiter involviert. „Dadurch ist es uns gelungen, den Rückstand von rund 2000 unbearbeiteten Meldungen inzwischen auf die Hälfte zu reduzieren“, berichtet der Landrat. Eine Kontaktnachverfolgung erfolge nur noch bei Infizierten, die zu vulnerablen Gruppen gehören.
Aber ist der hohe Inzidenzwert tatsächlich nur mit der Aufarbeitung länger zurückliegender Fälle zu erklären? „Keineswegs“, sagt Görtz. „Durch die Pendlerströme strahlt das Infektionsgeschehen in der Hansestadt Hamburg natürlich in die angrenzende Metropolregion aus“, sagt er. Zudem seien die massiven Ausbrüche in der Trittauer Großraumdiskothek Fun-Parc nicht folgenlos geblieben. Die betreffenden Partys mit mehr als je 1000 Besuchern hätten sich im Nachhinein als Superspreader-Events erwiesen.
Landrat plädiert dafür, dass Schulen geöffnet bleiben
Obwohl ein klarer Infektionsschwerpunkt nach wie vor bei Kindern und Jugendlichen liegt, plädiert Henning Görtz dafür, Kitas und Schulen nicht voreilig zu schließen. Die Fünf- bis 14-Jährigen seien mit einem Inzidenzwert jenseits von 4000 zwar überproportional am Stormarner Infektionsgeschehen beteiligt. Allerdings gebe es kaum schwere Krankheitsverläufe in dieser Altersgruppe. Deshalb sollte der Inzidenzwert auch nicht überbewertet werden, sondern immer im Zusammenhang mit der Hospitalisierungsrate gesehen werden.
Dazu rät auch Prof. Klaus F. Rabe, Ärztlicher Direktor der LungenClinic Großhansdorf: „Omikron verläuft milder als andere Varianten, darauf deuten Studien hin.“ Die Sieben-Tage-Inzidenz sei wichtig, um Trends zu ermitteln, es müssten aber auch weitere Kennzahlen wie die Hospitalisierungsrate beachtet werden. Ungefährlich sei Omikron indes keineswegs „Es gibt nach wie vor Leute, die schwer erkranken“, sagt Rabe. „Bei den aktuellen Fallzahlen steigt unweigerlich auch die Zahl schwer erkrankter Menschen.“ Auf der Intensivstation seiner LungenClinic sei ein guter Teil der Betten mit Corona-Patienten belegt.
Auch Menschen mit Omikron können schwer erkranken
Auf die Gefahr durch Omikron macht auch Andrea Schulz-Colberg, Sprecherin des Krankenhauses Reinbek St. Adolf-Stift, aufmerksam. Momentan würden 14 Covid-Patienten auf der Isolierstation behandelt. Auf der Intensivstation liege aktuell aber kein einziger Corona-Fall. „Noch vor zwei Wochen war das anders, da hatten wir sieben Covid-Patienten auf der Intensivstation, auch nachgewiesene Omikronfälle“, sagt Schulz-Colberg. Gestorben seien vor allem alte und vorerkrankte Menschen, auch an Omikron. Allerdings weniger als an der Delta-Variante.
Den Inzidenzwert hält das Krankenhaus Reinbek weiterhin für einen wichtigen Kennwert. Schulz-Colberg: „Er geht anderen Werten voraus. Wir können anhand unserer Erfahrung einschätzen, was in einigen Tagen auf uns zukommt.“ In der Regel betrage der Vorlauf bis zur Belastung der Krankenhäuser durch eine hohe Zahl an Patienten einige Tage bis zwei Wochen nach der Infektion. „Darum ist es wichtig, weiterhin die Gesamtlage zu kennen und daraufhin zu planen, etwa durch Verlegen von aufschiebbaren Eingriffen“, sagt sie. Momentan sei die Einsatzfähigkeit des Krankenhauses noch nicht gefährdet, dringende Operationen würden nicht abgesagt.
Gestern ist die Sieben-Tage-Inzidenz in Stormarn mit 1611,9 im Vergleich zum Vortag leicht gesunken. 765 Menschen im Kreis hatten sich von Mittwoch auf Donnerstag neu infiziert. Drei weitere Personen sind verstorben. Die Gesamtzahl der bestätigten Covid-19-Fälle hat sich auf 21.365 erhöht.