Mönkhagen/Elmenhorst. Retter schildert vor dem Landgericht dramatische Befreiung. Mutmaßlichem Vergewaltiger der Frau wird versuchter Mord vorgeworfen.
„Ich wurde geschlagen und irgendwo festgebunden. Ich habe Ewigkeiten geschrien. Bitte helfen Sie mir!“ Die verzweifelten Worte einer jungen Frau hallen durch den Gerichtssaal. Sie stammen aus dem Notruf bei der Polizei, den die Stormarnerin kurz nach ihrer Rettung abgesetzt hatte.
Die 20-Jährige wurde am 12. Oktober 2019 nach einer Studentenparty in Lübeck verschleppt, vergewaltigt und dann gefesselt an einem einsamen Feldweg bei Mönkhagen im Norden des Kreises Stormarn ausgesetzt. Der mutmaßliche Täter, ein 43 Jahre alter Türke, steht nun wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht Lübeck.
Wie der Lebensretter die Studentin fand
Am zweiten Prozesstag sagte der Mann aus, der der Studentin das Leben gerettet hat. Waldemar Jondral aus Elmenhorst hatte an jenem Morgen auf dem Weg an die Ostsee an der Landesstraße 332 eine Toilettenpause eingelegt, war dabei auf das Opfer aufmerksam geworden.
„Ich habe plötzlich merkwürdige Geräusche, ein Wimmern, gehört“, sagt der 63-Jährige. Dann sei er tiefer in den dortigen Feldweg hineingegangen, habe im Knick eine gefesselte Frau aufgefunden. „Sie war ängstlich“, sagt Jondral. „Ich habe versucht, sie zu beruhigen und dann ihre Fesseln zu entfernen.“
Die Augen der Studentin waren blutig
Es habe geregnet und sei kalt gewesen. „Deshalb wollte ich sie so schnell wie möglich befreien.“ Das sei aber schwierig gewesen, weil die Frau sehr stark gefesselt und alles mehrfach verknotet gewesen sei. Arme und Beine seien auf dem Rücken zusammengebunden und dann noch an Ästen befestigt gewesen, zudem habe die Frau einen Knebel im Mund gehabt. „Ich habe eine halbe Stunde gebraucht, musste mich richtig quälen, um die Knoten gelöst zu bekommen“, sagt der Elmenhorster.
Die Frau sei „wie ein Eispack“ gewesen und habe die ganze Zeit geweint, sagte der Mann vor Gericht. Ihre Kleidung sei durchnässt gewesen, ihre Augen blau und blutig. Waldemar Jondral ist sich sicher: „Die Fesseln hätte sie niemals allein lösen können“, sagt er. „Sie wäre da gestorben, denn an dieser Stelle kommt sonst kein Mensch vorbei.“
Auch eine Kripobeamtin, die den Tatort später begutachtete, sagt: „Der Ort ist von der Straße aus nicht einsehbar, liegt etwa 50 bis 80 Meter davon entfernt.“
Studentin hat sich noch nicht bei Lebensretter gemeldet
Waldemar Jondral beschäftigt der Fall bis heute. Direkt nach dem Fund habe er zwei Wochen nicht schlafen und kaum etwas essen können. „Ich habe sofort an meine eigenen Kinder gedacht und was wäre, wenn ihnen so etwas passieren würde“, sagt er. Jondral ist dreifacher Familienvater, seine jüngste Tochter ist mit 21 Jahren fast im gleichen Alter wie das Opfer. „Ich habe seitdem nichts mehr von der jungen Frau gehört, wüsste so gern, wie es ihr geht“, sagt er.
Die Polizistin, die nach dem Notruf zum Tatort eilte, spricht vor Gericht von einer „sehr, sehr aufgeregten und desorientierten“ Frau. „Sie hatte sichtbar Todesangst“, sagt die Ermittlerin. „Ich dachte, ich überlebe das nicht“, habe sie der Polizistin gesagt. Dann habe die 20-Jährige unaufgefordert von der Studentenparty erzählt und dass sie danach gefesselt an diesem Knick aufgewacht sei. Zwei Sätze habe sie ständig wiederholt: „Ich hoffe, die kommen nicht wieder“ und „Wo sind die anderen?“.
Studentin dachte, auch Freundin wäre vergewaltigt worden
Die Studentin sei anfangs davon überzeugt gewesen, dass in der Nähe weitere gefesselte Frauen herumliegen müssten. Sie habe auch nach ihrer Freundin gefragt, mit der sie bei der Party gewesen sei. Daraufhin habe die Polizei die Umgebung nach möglichen weiteren Opfern abgesucht, aber nichts gefunden. Ein Atemalkoholtest habe gegen 9.30 Uhr einen Wert von 1,4 Promille ergeben. „Sie war an dem Abend sehr betrunken“, sagt ihre beste Freundin und Mitbewohnerin am Montag vor Gericht.
Die 21-Jährige erzählt, dass sie sich an jenem Freitagabend zunächst gegen 20 Uhr „zum Vorglühen“ mit 16 Leuten in ihrer Wohnung getroffen hätten. Gegen 23 Uhr seien sie zur Studentenparty an der Gollan-Werft in Lübeck aufgebrochen.
Fotos von der Feier, die am Montag im Gericht auf eine Leinwand projiziert werden, zeigen fröhliche junge Frauen, die ausgelassen Spaß haben. Sie selbst sei gegen 4 Uhr nach Hause gegangen, sagt die Zeugin. Ihre Freundin habe noch bleiben wollen.
Partygast fiel weißer Transporter auf
Ein weiterer Zeuge hat die Stormarnerin nach der Party noch draußen getroffen. „Ich habe gefragt, ob ich ihr helfen kann, ihr ein Taxi bestellen soll“, sagt der 29-Jährige. Denn sie habe ziemlich betrunken und etwas orientierungslos gewirkt. Doch die Studentin habe sein Angebot zweimal vehement verneint, daraufhin sei er weitergegangen.
Kurz darauf habe er ein Auto gehört, das mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen sei und dann abrupt gebremst habe. „Ich habe mich umgedreht und einen weißen Transporter mit Hochdach gesehen“, sagt der Zeuge. „Am Steuer saß ein Mann, der sich auffällig hektisch umgeblickt hat.“ Er habe das damals aber nicht für wichtig erachtet.
Nachdem er später von der Entführung gehört hatte, meldete er sich bei der Polizei und erzählte seine Beobachtungen. Damit brachte er die Beamten auf die Spur des Angeklagten, der aushilfsweise als Fahrer bei einem Lübecker Unternehmen gearbeitet und dafür einen weißen Transporter genutzt hatte.
Vergewaltigung: Wie der Täter vorging
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte die junge Frau auf seinen Transporter zerrte, sie zu seiner Kleingartenparzelle verschleppte. Dann soll er sie vergewaltigt haben. Um die Studentin gefügig zu machen, habe er Gewalt angewendet.
Anschließend habe er sie zu dem Feldweg bei Mönkhagen gebracht und dort so gefesselt, dass sie sich laut Anklage weder selbst befreien, noch um Hilfe rufen konnte.
Der Prozess wird am Freitag, 15. Mai, fortgesetzt. Dann soll das Opfer aussagen. Das Urteil wird Mitte Juni erwartet.