Bargteheide. Jan Roßmanek spricht über seinen neuen Job und zieht Bilanz. Er verrät seinen Lieblingsplatz und was er am meisten vermissen wird.
Für Pastor Jan Roßmanek beginnt mit dem neuen Jahr zugleich ein neues berufliches Kapitel. Nach vierzehneinhalb Jahren im Dienst der Kirchengemeinde Bargteheide wechselt der 48-Jährige (verheiratet, drei Kinder) zur neu gegründeten Ritualagentur, die ihren Sitz an der Apostelkirche in Hamburg-Eimsbüttel hat. Sie besteht aus einem Team von vier Pastoren, einem Kirchenmusiker, einem Profi für die Öffentlichkeitsarbeit und zwei Assistenzstellen. Damit nimmt Roßmanek eine neue Herausforderung an, bei der es darum geht, kirchlichen Riten wie Taufe, Heirat und Beerdigung wieder einen größeren Stellenwert innerhalb der Gemeinden zu verleihen. Dass dazu innovative Ideen nötig sind, macht die Aufgabe für den Bargteheider umso interessanter.
Hamburger Abendblatt Wie haben Ihre Mitarbeiter und Kollegen reagiert, als sie erfahren haben, dass Sie weggehen?
Jan Roßmanek Ich habe es immer wieder angekündigt, aber sagen und umsetzen sind unterschiedliche Dinge. Also waren sie dann doch überrascht, auch dass der Wechsel dann recht schnell erfolgt. Aber die Arbeit der Ritualagentur startet eben just am Jahresbeginn.
Was ist der hauptsächliche Grund für einen Wechsel des Arbeitsplatzes?
Die neue Herausforderung in einem Gebiet, das mir sehr am Herzen liegt. Ich mag den Ohlsdorfer Friedhof, ich mag die Apostelkirche in Eimsbüttel und darf an diesen Orten mit innovativen Projekten zur Bestattungs- und Trauerkultur wirken. Wenn sich in der Hansestadt die Hälfte der evangelischen Christen nicht mehr kirchlich bestatten lässt, ist es nötig, hier für die Schätze der christlichen Tradition zu werben. Und das auch im Radio und den neuen digitalen Kanälen.
Was reizt Sie besonders an dem neuen Aufgabengebiet?
Ich bin jemand, der mit Leidenschaft schon immer gern Trauungen und Beerdigungen geleitet hat. Jemanden zur letzten Ruhe zu geleiten, das Leichte im Schweren zu sehen und die Erinnerung an einen geliebten Menschen zu teilen, die ein Lächeln hervorzurufen vermag: Das ist die Aufgabe. Das Vergängliche und der Umgang mit Tod und Trauer haben mich schon immer beschäftigt. Es geht auch darum, Menschen in diesen wunderschönen Park nach Ohlsdorf zu holen. Es ist auch denkbar, Muttertag, Weihnachtsgottesdienste oder Konzerte auf dem Friedhof zu feiern. Dazu könnte eine der schönen Kapellen geöffnet werden, um an diesem Ort in Stille und Besinnlichkeit zusammenzukommen und sich gegenseitig ein bisschen zu halten. Meine Mutter war in der Friedhofsverwaltung tätig und hat die Menschen viel beraten. Das war sozusagen mein Erstkontakt in Sachen Friedhof, der vielleicht etwas mit dieser Verbundenheit zu tun haben mag. Die Bestattungskultur ist heute häufig so, dass die Bestatter auch eine Menge Redner zur Verfügung haben, die gegen Geld gleich mit gebucht werden können. Ich will einen Bestattungskalender und dafür sorgen, dass es einen verlässlichen Pool von Pastoren gibt, die zeitnah für Trauerreden zur Verfügung stehen.
Spielte bei der Entscheidung eine Rolle, dass zunehmend Pfarrbezirke zusammengelegt werden und die Arbeitsbelastung auf weniger Schultern verteilt wird?
Arbeit verdichtet sich, aber das betrifft ja nahezu alle Bereiche in der Arbeitswelt. Und da sich bei mir glücklicherweise Berufung, Profession und Hobby wunderbar verbinden lassen, ist dies kein Grund, diese Gemeinde zu verlassen. Auch die neue Aufgabe wird stressige und erfüllte und monotonere Phasen bereithalten.
Was wissen Sie über die Nachfolge?
Auf jeden Fall wird die Stelle neu besetzt. Die Nachfolgerin oder der Nachfolger wird Anfang Sommer vor Ort sein.
Wie haben die Gemeindemitglieder reagiert?
Das ist so unterschiedlich wie die Menschen: manche traurig, weil enge Beziehungen gewachsen sind, viele haben sich aber ob der neuen Herausforderung auch gefreut und mir Glück gewünscht. Und wir haben schon freudige Rückschau gehalten: auf Pfingsten im Amphitheater, das jährliche Kochen für die Feuerwehr in Fischbek, die Büttenreden beim Karneval, den Shantychor Fastewall beim Basar und vieles mehr. Letztlich ist es nur ein Stellenwechsel eines Pastors, sodass die mir öfter gestellte Frage, ob ich denn wenigstens mehr Geld bekäme, nur konsequent ist. Ich kann aber versichern, dass keine monetäre Gründe hinter dem Wechsel stehen.
Lassen Sie Ihre Gemeinde im Stich?
Ja – und nein. Es ist klar, dass ich viel verlasse: alles Gewachsene, die laufenden Projekte, die Arbeit im Vorsitz des Kirchengemeinderates und im Kita-Bereich. Aber es war immer Arbeit, die nur in einem großen Team Haupt- und Ehrenamtlicher umsetzbar war und bleibt. Der Kirchenkreis schickt im Januar einen Vertretungspastor, der gut ein halbes Jahr Aufgaben wie Amtshandlungen und Gottesdienste übernehmen wird. Aber für meine Kollegen ist es zunächst sicher Mehrarbeit, das lässt sich nicht schönreden. Ich bin sehr dankbar – auch für die Unterstützung beim Übergang.
Warum wird man Pastor?
Weil das ein super Beruf ist. Er ist zwar eng getaktet, man muss schon viel arbeiten. Aber er hat auch eine Variabilität und lässt Freiheiten zu. Mein Vorbild war Pastor Rudolf Rößler in meiner Gemeinde in Plön, bei ihm habe ich Hebräisch gelernt. Er hat sich viel in der Gemeinschaft eingebracht, beispielsweise in Vereinen. Ich bin relativ breit aufgestellt und kann nichts so richtig gut, sonst wird man nicht Pastor (lacht). Es ist in der Praxis ein Beruf, in dem man den Kontakt zu Menschen mit Kreativität, Studierzimmer und Gestalten verbinden kann. Schon in der Oberstufe habe ich gesagt, ich bereite mich darauf vor, Pastor zu werden. Es war relativ klar und eine Art Running Gag. Eine Rolle gespielt hat auch die Liebe zum Studium der Evangelischen Theologie in Hamburg. Das war eine tolle Zeit, in der wir viel gefeiert haben.
Wie ging es nach dem Studium weiter?
Nach meinem Examen war ich zunächst Provikar bei Helge Adolphsen in St. Michaelis. Nach so sechs, sieben Monaten habe ich nachgefragt, wie lange es bis zum Vikariat dauert. Die lange Wartezeit und ein Stipendium gaben dann den Ausschlag, einen Lehrauftrag am Institut für Neues Testament anzunehmen. 2019 habe ich sogar über die Metaphorik bei Paulus im Neuen Testament promoviert. In Hamburg habe ich außerdem mehrere Jahre nebenbei als Netzwerkadministrator gearbeitet, eine Zeit, die mir den Dienstleistungsgedanken näher gebracht hat. Vikar wurde ich dann in Alten Eichen und Stellingen, danach kam ich nach Bargteheide. Die Stellen wurden zugeteilt. Mittels Auswahlverfahren, weil es so viele Anwärter gab.
Gab es einen alternativen Berufswunsch?
Die Alternative wäre Fußballprofi gewesen. Ich war Torwart mit großer Leidenschaft, habe mich mit 18 Jahren dann aber relativ schwer verletzt. So kann ich immer behaupten, daran hätte es gelegen, dass das mit der Profikarriere nicht geklappt hat. Aber auch unverletzt hätte es nicht gereicht.
Wo haben Sie sich über kirchliche Belange hinaus in der Gemeinde engagiert?
Am wichtigsten ist und bleibt mir der JuS Fischbek. Dort habe ich anfangs noch in der 2. Mannschaft in der 11. Liga gekickt, nun immer montags in der Ü50 – immer noch mit klasse Derbys gegen Bargteheide, aber eben alles sehr viel langsamer, zumindest bei mir – und nur noch über den halben Platz. Ich bin weiter über meine Kids mit dem Jungen Theater Marstall verbunden, die im Kultursommer hier zwei tolle Stücke auf der Kircheninsel aufgeführt haben. Dann Tätigkeiten im Krisenstab der Stadt während der Pandemiezeit, in der Stiftung für Bargteheide, den Bargteheider Stadtmusikanten, Schützenverein, Katen-Verein Tremsbüttel, förderndes Mitglied der Feuerwehren. Das sind letztlich die Gestalter vor Ort und es geschieht so viel Gutes durch die Vereine. Das ist und bleibt ein riesengroßer Schatz. Und wenn man möchte, dass Menschen ab und an einmal zu einem in die Kirche kommen, ist es sinnig und macht Spaß, auch zu den Menschen hinzugehen.
An was werden Sie sich am liebsten zurückerinnern?
Am liebsten sicher an so viele kleine, feine Dinge: Eine nette Karte mit Foto von einer Taufe, der Weihnachtssong, der immer vor der Kate erklang, die Frühstücksrunden im Martin-Luther-Haus.
Wo war ihr Lieblingsplatz?
Freitagabend 17 Uhr, Wurststand bei Sven Fümel auf dem Bargteheider Wochenmarkt. Es ist der beste Wochenmarkt der Welt – er strahlt gerade in diesen letzten Stunden vor dem Wochenende eine besondere Atmosphäre aus.
Was werden Sie in jedem Fall vermissen?
Sicher die Bargteheider Kirche, es ist eine so schöne Kirche für Gottesdienste, Konzerte und Kultur, nicht zu groß, prächtig und stimmungsvoll, aber in guter Art auch heimelig und zurückhaltend. Dieser Ort dann mit den wunderbaren Menschen aus dieser Gegend, die singen, beten, lauschen – einfach unschlagbar.
Gab es in der Zeit einschneidende Erlebnisse, die Sie nachhaltig geprägt haben?
Das war der Tod meines Kollegen und Freundes Pastor Kai Süchting, der unendlich viel für diese Gemeinde und das KonfiCamp bewegt hat. Und plötzlich wird klar, was wirklich zählt und wichtig ist im Leben.
Bei was sind Sie grandios gescheitert?
Ich glaube, auch da liegt das Grandiose im vielen Kleinen. Ein Besuch, den ich nicht gemacht habe, ein verspätetes Telefonat oder eine nicht beantwortete E-Mail. Das ist sicher vorgekommen und gerade im Abschied kann ich nur sagen, dass es mir leid tut, wenn ich Erwartungen nicht nachgekommen bin. Vor ein paar Jahren habe ich einmal meine Dienstleistung auf einem Basar für den guten Zweck versteigert – und so sollte ich die Dachrinnen im Jagdschloss Malepartus säubern. Das habe ich bis heute nicht eingelöst und – jetzt lehne ich mich aus dem Fenster – da ich ja hier wohnen bleibe, werde ich es noch nachholen.
Welche Menschen waren besonders wichtig für Sie und warum?
Das ist immer gemein, ein oder zwei Menschen zu nennen. Von denen, die vorausgegangen sind, ist das meine Großmutter, eine weise Bäuerin aus Stockelsdorf, die mir fest vorlebte, dass „der Mensch denkt und Gott lenkt“ und die, wenn fünf geladen waren und dann doch zehn in die alte Bauernküche gekommen sind, einfach Wasser zur Suppe goss und alle willkommen hieß. Und dann Monika Tietgen, die mich die ersten Jahre als Sekretärin begleitet hat. Sie war das, was man einen gütigen und geduldigen Menschen nennt, voller Arbeitseinsatz für die Gemeinde, behandelte alle gleich und mit einem so feinen Humor. Ich habe viel von ihr lernen dürfen.
Gab es Momente, in denen Sie an Ihrem Glauben oder Ihrer Berufswahl gezweifelt haben?
Wenn das nicht immer wieder passiert, wäre es nicht der richtige Beruf für mich. Es gibt so vieles, bei dem ich denke, dass Gottes Gedanken nicht meine sind. Mit Blick in die Zeitungen, aber auch nach tragischen Todesfällen oder bei der Trauer um ein Sternenkind bin ich immer Zweifelnder und Suchender. Und jede vorschnelle Antwort wäre plumpe Vertröstung. Aber gerade in den Psalmen finden wir ja Fragende und Klagende, an die ich mich dann selbst anlehnen kann.
Was sagen Sie zu den Missbrauchsfällen in der evangelischen Kirche?
Transparente Aufklärung und Prävention sind hier so nötig, Aufklärung gerade auch durch kirchenexterne Stellen. Kontakt zu den Opfern sexueller Gewalt; Entschädigungsleistungen, die aber nicht einmal im Ansatz gut machen können, was die Opfer erleiden mussten, Prävention und Sensibilisierung auch in der Ausbildung angehender Theologen. Es beschämt mich als Kirchenvertreter und muss ein bestimmendes Thema der nächsten Dekade werden, auf katholischer wie evangelischer Seite.
Warum gibt es auf der Website den Punkt Kircheneintritt, aber nicht Kirchenaustritt?
Den muss es geben, der Austritt erfolgt nämlich über das Standesamt. Das nicht zu erwähnen, ist schlicht Blödsinn und wirkt so, als ob wir es verheimlichen wollen. Wir werben natürlich umso mehr für den Eintritt, aber auch ein Austritt muss jederzeit möglich sein und ist es auch.
Was sagen Sie Austrittswilligen?
Das ist die Chance zu fragen, woran es liegt: Unzufriedenheit mit der Institution, zu hohe Belastung durch die Kirchensteuer oder weil sich jemand so richtig über mich oder unsere Gemeinde geärgert hat. Nur dann können wir uns verbessern.
Woran könnte es liegen, dass sich immer mehr abwenden von der Institution Kirche?
Aus den bereits genannten Gründen oder aus Bestürzung über die Missbrauchsfälle.
Wie könnte man diesen Trend stoppen?
Alle Vereine und Institutionen haben Probleme mit der Anbindung ihrer Mitglieder. Uns muss das um so mehr dazu bringen, auf die Menschen zuzugehen, über den Gartenzaun und auf dem Fußballplatz von unser Arbeit zu berichten: vom bunten Leben in unseren evangelischen Kitas und Schulen, von der Hilfe in den diakonischen Werken und Krankenhäusern, von seelsorgerlicher Begleitung durch Beratungsstellen und Pastoren oder von der Arbeit mit Konfis oder eben, was ja mein Aufgabengebiet werden wird, von den Gottesdiensten an Lebensübergängen: Wir gestalten unter Gottes Segen den Menschen zugewandte Taufen, Trauungen und Beerdigungen. Ich würde vom KonfiCamp auf Fehmarn mitsamt Ostsee-Taufen berichten oder dem diakonischen Projekt „Sperrgebiet St. Georg“ im Hamburger Bahnhofsviertel. Es gibt noch so vieles mehr, das Lust auf Kirche macht.
Wie definieren Sie Glauben?
Ich persönlich glaube daran, dass mich da jemand in höchste Höhen, aber eben auch durch finstere Täler leitet. Das meint auch: Ich weiß darum, dass ich nicht alles selbst machen kann, aber eben auch nicht alles selbst nur aus mir heraus machen muss. Von Oscar Wilde stammt der schöne Satz: „Wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“ Letztlich weiß ich, dass da oben jemand ist, der es für uns und für mich immer zu einem guten Ende führt.
Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?
Das Projekt der Ritualagentur ist ein Aufbauprojekt für acht Jahre, ich denke, dann sind die Kinder groß oder größer und ich könnte mir noch ein Jahrzehnt in einer Kirche in Hamburg oder Lübeck vorstellen oder meine Frau und mich zieht es doch noch für einige Jahre nach Madrid ins Auslandspfarramt.
Wie wird es in der Gemeinde ohne Sie weitergehen?
Eine wunderbare Gemeinde mit wunderbaren Menschen, die „munter und musikalisch und mittenmang“ tätig sein wird. Und meine Nachfolgerin und mein Nachfolger wird nochmals ganz neuen und frischen Wind hineinbringen.
Was wünschen Sie den Bargteheider Gemeindemitgliedern für die Zukunft?
Ich wünsche der Gemeinde, dass diese 2020er-Jahre nach der bedrohlichen Pandemie für sie mitsamt Kitas, Friedhof und dieser schönen Kirche goldene und gesegnete Zeiten parat hält.
Wie schwer fällt der Abschied?
Ich merke, dass es hart ist: das letzte Mal Volkstrauertag und in der Herbstsonne Ewigkeitssonntag auf dem Friedhof, bald das letzte Mal Heiligabend vor der Tremsbütteler Kate. Aber wenn es keinen Abschiedsschmerz geben würde, wäre ich eindeutig zu lange geblieben.
Was bleibt nach 14,5 Jahren?
Die Wolke 3 und die Projekte wie die Himmlische Stadt oder das Schulprojekt, die weiterlaufen werden. Aber vor allem so viele geknüpfte Bande und so viele glücklich-traurige Momente, die ich immer dankbar bei mir tragen werde.