Kiel. Jeder vierte Termin im Impfzentrum Prisdorf verfällt. Ärzte suchen Abnehmer an ungewöhnlichen Orten – auch ohne Anmeldung.

Ein großer Supermarkt in Prisdorf am Rande der Kreisstadt Pinneberg. Plötzlich ertönt diese Lautsprecherdurchsage, die aufhorchen lässt: Nicht etwa, dass das Hackfleisch an diesem Tag im Sonderangebot wäre, nein, es gibt frische Impftermine nebenan im alten Aldi-Markt, der dieser Tage ein Impfzentrum ist. So berichten es diejenigen, die diesen Aufruf veranlasst haben.

Denn die Impftermine sind in Wirklichkeit nicht frisch, sondern Ladenhüter, gebucht von Menschen, die dann einfach nicht erschienen sind. Und das sind gerade sehr viele. Andreas Köhler, Koordinator der Impfzentren im Kreis Pinneberg, spricht von rund 250 „No-Shows“ in Prisdorf allein am Dienstag, und das bei insgesamt 1100 Terminen. Rund 23 Prozent der potenziellen Impflinge waren also nicht erschienen. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Impfzentrums haben sogar noch auf dem Parkplatz Leute im Auto angesprochen“, sagt Pinnebergs Landrätin Elfi Heesch.

Unverhofft zu einer Corona-Impfung

Am Ende sind alle Zeitfenster genutzt worden, ist der eine oder andere Passant unverhofft zu einer Impfung gekommen. Aber es ärgert die Verantwortlichen mächtig. Es mache ihn „zornig“, sagte Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) am Mittwoch bei einem Besuch des Impfzen­trums in Prisdorf. Bestrafungen für sogenannte Terminschwänzer halte er aber für kontraproduktiv.

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Garg stellte in Aussicht, dass bis Ende dieses Monats jeder Erwachsene in Schleswig-Holstein ein Impfangebot bekommen haben werde. Zurzeit seien mehr als 60 Prozent der Bevölkerung einmal und mehr als 40 Prozent schon vollständig immunisiert – deutschlandweit ein Spitzenwert.

Impfzentren sollen den Betrieb in seiner heutigen Form zum 30. September einstellen

Bei Menschen über 65 sieht der Minister kein großes Potenzial mehr, um die Werbetrommel für eine Immunisierung zu rühren. 85 Prozent von ihnen hätten in Schleswig-Holstein schon mindestens eine Impfdosis erhalten. Anders sieht es bei Jugendlichen ab zwölf aus, denen die Ständige Impfkommission (Stiko) zurzeit nur im Falle chronischer Vorerkrankungen zu einer Impfung rät, nicht aber generell. Garg: „Selbstverständlich hält sich Schleswig-Holstein an die Empfehlungen. Bei der Kommunikationskunst der Stiko würde ich aber vermuten, dass es noch mal zu einer Änderung der Empfehlung kommt.“ Und dann müsse man ganz intensiv um diese Gruppe werben.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Zurzeit geht Heiner Garg davon aus, dass die 28 Impfzentren im Land den Betrieb in seiner heutigen Form zum 30. September einstellen, darauf habe sich die Gesundheitsministerkonferenz verständigt. Klar sei aber, dass es auch danach ein Impfangebot jenseits der niedergelassenen Ärzte geben müsse, gerade auch vor dem Hintergrund einer möglichen dritten Impfung für Ältere. Garg: „Wir werden uns überlegen müssen, wie wir dauerhaft Strukturen schaffen, damit sich Menschen regelmäßig im Abstand x eine Auffrischung holen können.“ Die Abstimmungen dazu liefen noch.

In Schleswig-Holstein gibt es mittlerweile immer mehr Impfangebote jenseits der Impfzentren. Die komplizierte Impfanmeldung über Internet mit digitalen Warteschlangen in digitalen Wartezimmer, die viele Enttäuschte zurückgelassen hat, wird von deutlich einfacheren Angeboten überlagert. „Impfen ohne Termin“, „Impfen ohne Anmeldung“ – im Norden geht der Kampf gegen die Corona-Pandemie in eine neue Phase.

Impfaktionen nach dem Motto „solange der Vorrat reicht“

Im Impfzentrum in Heide (Kreis Dithmarschen) gibt es beispielsweise seit Montag und noch bis mindestens Sonntag offene Impfaktionen mit dem Vakzin von Johnson & Johnson – solange der Vorrat reicht. An den ersten beiden Tagen kamen 120 Interessenten. Außerdem sind sogenannte „Dienstschluss-Impfungen“ möglich: Wer sich zwischen 17 und 17.30 Uhr vor den Impfzentren in Heide oder Brunsbüttel einfindet, kann mit etwas Glück eine übrig gebliebene Biontech-Impfdose bekommen.

In den drei Segeberger Impfzentren in Norderstedt, Kaltenkirchen und Wahlstedt wird in diesen Tagen ebenfalls Johnson & Johnson angeboten – ohne Termin, solange der Vorrat reicht. In Lübeck wird schon seit fast vier Wochen Astrazeneca ohne Termin verimpft. Seit vergangenen Sonnabend wird nun auch Johnson & Johnson angeboten. Die Zahlen sind nicht überwältigend, aber sie zeigen, dass das Prinzip funktioniert: Rund 4250 Dosen Astrazeneca und rund 500  Dosen Johnson & Johnson fanden bis zum Mittwoch Abnehmer.

Impfangebote auch für Studenten

Auch Schleswig-Holsteins Studenten bekommen seit Montag Impfangebote – praktischerweise gleich vor Ort an den Unis. Zwei Wochen lang kommen mobile Teams an die jeweiligen Standorte und verabreichen Vakzine von Moderne oder Johnson & Johnson.

3150 Studenten können so insgesamt einen Corona-Schutz bekommen – nicht allzu viel angesichts von rund 65.000   Studenten in Schleswig-Holstein. Zudem beginnen an der größten Uni des Landes, der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, am Freitag die Sommerferien. Einige Studenten werden allerdings schon aus anderen Zusammenhängen einen Impfstoff bekommen haben – etwa als Angehörige von Risikopatienten. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht.

Modellprojekte für Discos – ohne Maske und Abstand

Die Wissenschaftsministerin Karin Prien (CDU) warb dafür, das neue Impfangebot anzunehmen. „Ich bin sehr froh, dass es uns kurzfristig gelungen ist, den Studierenden dieses Angebot zu machen“, sagte sie. „Das ist ein weiterer Schritt hin zu einer Normalisierung des Studienbetriebs, die wir uns alle wünschen.“

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Fast wieder normal wird auch wieder das Leben in drei Diskotheken des Landes. Sie nehmen an einem Modellprojekt teil – Tanzen unter wissenschaftlicher Begleitung, aber ohne Maske und Abstand. Das Modellprojekt fördert Betriebe in drei Größenordnungen. Im Bereich bis zu 200 Besuchern darf das „Bootshaus“ in Flensburg ausprobieren, ob das Bewegen zur Musik ungefährlich ist. Im Bereich bis zu 500 Besuchern wurde das „Horizon“ in Oldenburg (Holstein) ausgewählt. Das „Joy“ in Hen­stedt-Ulzburg kann sogar mit 600 Besuchern Party machen.

 Anspruchsvolle Regeln für das Modellprojekt

„Die Regeln für das Modellprojekt sind natürlich anspruchsvoll, das ist uns klar“, sagte Thilo Rohlfs, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. „Aber das haben wir bewusst so gemacht, um einerseits Partys unter realistischen Bedingungen zu erproben und andererseits größtmögliche Sicherheit für die Gesundheit zu gewährleisten.“ Zu den Voraussetzungen gehört unter anderem, dass nur Geimpfte, Genesene und Getestete die Discos betreten dürfen.

Der Test darf nicht älter als sechs Stunden sein, und die Besucherinnen und Besucher müssen sich in den Tagen nach der Partynacht viermal nachtesten lassen, damit Infektionswege nachvollzogen und wissenschaftliche Erkenntnisse ermöglicht werden können. Jeder der ausgewählten Betrieb darf drei Partys veranstalten.

Die Sieben-Tage-Inzidenz in Schleswig-Holstein ist am Dienstag auf 3,3 gesunken. Den höchsten Wert vermeldet die Stadt Lübeck (6), gefolgt von Neumünster (5), Kiel (4,9) und dem Kreis Stormarn (4,5).