Bad Oldesloe. Ihr Werk „Keine Angst in Andersrum“ ist Teil einer Bücherspende des queeren Netzwerks Gayhin und des KJR für Kitas in Stormarn.
Gleichgeschlechtliche Liebe, Leben im falschen Körper, andersartige Beziehungsmodelle – sind das Themen, die schon im Kindergarten besprochen werden sollten? Das queere Netzwerk Stormarn Gayhin meint ja und hat jetzt gemeinsam mit dem Kreisjugendring (KJR) Stormarn ein Kita-Projekt auf den Weg gebracht, um schon den Kleinsten Vielfalt und Toleranz nahezubringen. „Am besten geht das mit dem Vorlesen von guten, kindgerechten Büchern“, sagt Nils Bollenbach, selbst homosexuell und Mitbegründer von Gayhin.
Keine Rückmeldung von Awo und DRK
Deshalb hat sich der Grünen-Politiker, der aktuell auch Direktkandidat seiner Partei für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein ist, in einer Rundmail an verschiedene Kita-Träger im Kreis Stormarn gewandt. „Von der Arbeiterwohlfahrt und dem Deutschen Roten Kreuz kam nicht mal eine Absage, das fand ich schon schade“, sagte Bollenbach unserer Redaktion. Entmutigen lassen, wolle er sich von den wenigen Rückmeldungen aber nicht. „Aller Anfang ist schwer, das weiß man ja“, so der 21-Jährige aus Bargteheide.
Eine Zusage erhielt er hingegen aus der evangelischen Kita am Masurenweg in Bad Oldesloe. Hier gab es offenbar deutlich weniger Vorbehalte. „Im Gegenteil, die Resonanz der Eltern war eigentlich durchweg positiv, zu kritischen Nachfragen kam es kaum“, berichtet Kita-Leiterin Nicole Kanapin. Möglicherweise habe diese Offenheit ja auch mit der Grundhaltung der evangelischen Kirche zu tun, niemanden wegen seiner Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung per se auszugrenzen.
Hälfte aller Kinder hat Migrationshintergrund
Das spiegelt sich nicht zuletzt in den drei Elementargruppen und der Krippengruppe der Einrichtung wider. Die Hälfte aller 80 Kinder hat einen Migrationshintergrund und stammt aktuell aus elf Nationen. „Wir haben türkische, arabische, russische, polnische, pakistanische und indische Kinder, deren Eltern Muslime, Orthodoxe, Katholiken, Hindus und Buddhisten sind“, sagt Kanapin.
Von daher sei der Kita-Alltag ohnehin von vielfältigen religiösen und sozio-kulturellen Einflüssen geprägt. Dazu zählen natürlich auch alternative, andersartige Lebensentwürfe. „Es gibt Kinder von gleichgeschlechtlichen Eltern und wir haben eine Kollegin, die mit einer Frau verheiratet ist“, erzählt Kanapin. Das stelle eine Normalität dar, die bereits seit Langem gelebt werde und helfe, Vorurteile erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Leben der Dragqueen von Vorurteilen geprägt
Dieser Aufgabe hat sich auch Olivia Jones verschrieben. 1969 in Springe bei Hannover als Oliver Knöbel geboren, sorgte Deutschlands bekannteste Dragqueen bereits in der Schulzeit für Aufsehen, als sie zu diversen Anlässen in Frauenkleidern auftrat. „Mein ganzes Leben war von Vorurteilen geprägt. Deshalb hat es mich schon immer gereizt, dem etwas entgegenzusetzen“, sagt die Ikone der queeren Community.
Aus diesem Grund hat sie unter anderem ein Kinderbuch zum Thema Homosexualität geschrieben: „Keine Angst in Andersrum – Geschichten vom anderen Ufer“. Ausgangspunkt ist der siebenjährige Tom, der aus der Schule das vermeintliche Schimpfwort „schwul“ mit nach Hause bringt. Das beschreibe den völlig „unnatürlichen“ Umstand, dass ein Mann einen Mann liebt, wie er der kleinen Schwester erklärt. Worauf sein Vater ein lehrreiches Gedankenspiel anregt: „Stellt euch doch mal vor, es wäre andersrum …“
Aufklärung in der Schule kommt zu spät
Olivia Jones ist überzeugt, dass das Rollenverhalten schon im Kindergarten geprägt, Aufklärung aber erst viel später in der Schule betrieben wird. „Dann aber ist es zu spät, denn die Vorurteile sitzen meist schon fest“, sagt sie und hat mit viel kindlichem Witz überkommene Rollenbilder und Vorurteile gegenüber gleichgeschlechtlichen Partnerschaften demontiert. „Dieses Buch war mir eine Herzensangelegenheit“, sagt sie, weil es Vielfalt als etwas Wunderbares und Bereicherndes beschreibe.
Ursprünglich wollte Olivia Jones in der Oldesloer Kita am Masurenweg selbst aus „Keine Angst in Andersrum“ lesen, musste dann aber wegen medialer Verpflichtungen absagen. Das tat der Neugier auf die Lesestunde in den drei Elementargruppen aber keinen Abbruch. Neben Bollenbach haben kurzerhand noch Anna und Felix vom Kreisjugendring vorgelesen.
Kita hat eigene Bibliothek mit 500 Büchern
„Der KJR hat zudem 300 Euro zur Verfügung gestellt, mit denen 19 weitere Bücher angeschafft werden konnten“, berichtet Nils Bollenbach. Drei habe er am Ende des Besuchs der Kita am Masurenweg für deren eigene Bibliothek übergeben. „Von unseren rund 500 Büchern drehen sich derzeit aber höchstens zehn um das Thema Vielfalt und Andersartigkeit. Deshalb wird die Spende des Kreisjugendrings unseren Bestand auf jeden Fall bereichern“, sagt Kita-Leiterin Nicole Kanapin.
Bollenbach und das queere Netzwerk hoffen unterdessen, dass sich nach dem gelungenen Auftakt in der Kreisstadt weitere Kitas finden, die kooperieren wollen. „Vielleicht war unser Besuch in Bad Oldesloe ja ein Eisbrecher. Wir sind überzeugt, dass unsere Initiative wert ist, unterstützt zu werden“, so Bollenbach. Um Kindern das wichtige Thema Toleranz frühzeitig nahezubringen, ehe sich Vorurteile verfestigen können.