Berlin/Bargteheide. Warum der 21-Jährige aus Bargteheide jetzt öfter im ehemaligen Frauengefängnis Berlin-Lichterfelde anzutreffen ist.
Der Lichtschacht im ehemaligen Frauengefängnis Berlin-Lichterfelde ist von einem riesigen Spinnennetz überzogen. Das ist keineswegs ein Hinweis auf nachlässige Reinigungsarbeiten. Bei dem Gewirr aus langen Seilen handelt es sich vielmehr um eine Installation. Sie steht geradezu symbolhaft für die jetzigen Nutzer des einstigen Zellentrakts. Wo früher straffällig gewordene Frauen ihre Haftstrafe verbüßten, haben heute 28 queere Künstlerinnen und Künstler des Netzwerks prideART Berlin ihre Ateliers und Ausstellungsflächen.
Die Doppelzelle 78/79 gehört seit Anfang Juni Nils Bollenbach. In Stormarn bekannt geworden ist er als aufstrebender Nachwuchspolitiker des Grünen-Ortsverbands Bargteheide und Sprecher der Jugendinitiative Fridays For Future. Und als Direktkandidat seiner Partei für die Bundestagswahl 2021 und die Landtagswahl im Mai 2022.
Ausgang der Bundestagswahl hat Bollenbach frustriert
Bei beiden Wahlen erzielte der 21-Jährige achtbare Ergebnisse. Dennoch unterlag er bei der Bundestagswahl mit 13,7 Prozent der gültigen Stimmen im Wahlkreis Segeberg/Stormarn-Mitte Überraschungssieger Bengt Bergt (SPD/32,0) und Gero Storjohann (CDU/27,9). Bei der Landtagswahl im Wahlkreis 28 Stormarn-Nord rangierte er mit 17,7 Prozent hinter Claus Christian Claussen (CDU/45,1) und Mehmet Dalkilinc (SPD/22,7).
„Der Ausgang der Bundestagswahl hat mich schon frustriert“, gibt Bollenbach unumwunden zu. Sein Herz brenne für das oberste nationale Parlament, weil es politisch die größte Reichweite habe und man dort am meisten bewegen könne. „Vielleicht kam meine Kandidatur aber einfach zu früh. Zumal die Stormarner traditionell eher konservativ wählen“, so der Jungpolitiker, der offen zu seiner Homosexualität steht.
Aktuell hat sich der Fokus gen Kunst verschoben
Das Ergebnis der Landtagswahl habe er schon deutlich gelassener gesehen. Zum einen sei er ohnehin nur für einen anderen Kandidaten der Partei eingesprungen, der sich dann doch anders entschieden habe. Zum anderen sei er sich bewusst gewesen, dass seine Chancen vor allem gegen das landespolitische Schwergewicht, Ex-Justizminister Claussen, von vornherein überschaubar waren.
„Es war eine sehr intensive Zeit, in der ich viel über mich und das politische Zusammenleben gelernt habe“, sagt Bollenbach. Irgendwann werde er sicher einen neuen Anlauf nehmen. Weil er nun mal ein politischer Mensch sei mit konkreten Vorstellungen, in welche Richtung sich die Gesellschaft verändern sollte. Aktuell aber habe sich sein Fokus verschoben. „Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass in meinem Leben neben der Politik auch die Kunst eine wichtige Rolle spielt“, so Bollenbach. Diese Seite wolle er nun stärker ausleben.
Frauengefängnis war schon mehrfach Filmkulisse
Deshalb ist der Bargteheider unglaublich froh, Teil „dieser wunderbaren Gemeinschaft“ geworden zu sein, die jetzt in Berlin-Lichterfelde gemeinsam an dem Projekt „The Knast“ arbeitet. „Es bietet mir viele Möglichkeiten, mich als Künstler zu entfalten und weiterzuentwickeln“, ist Bollenbach überzeugt, der bereits als Abiturient am Gymnasium Eckhorst seine vielfältigen künstlerischen Talente unter Beweis stellte.
Das ehemalige Frauengefängnis, das bereits als Filmkulisse in Produktionen wie „Babylon Berlin“ diente, sei für ihn ebenso inspirierend wie der Austausch mit den anderen queeren Künstlern. In seiner Zelle widmet sich Bollenbach vorwiegend der Malerei und Aktfotografie, plant aber auch neue Filmprojekte.
Vom ländlichen Bargteheide nach Hamburg gezogen
Im Vorjahr war er mit seinem Dokumentarfilm „Die Ehe meiner Großeltern“ beim Deutschen Generationen Filmpreis in Wuppertal Zweiter in der Kategorie „Generationenübergreifende Projekte“ geworden. In dem 39 Minuten langen Streifen hatte der Filmemacher auf anrührende wie überzeugende Weise das gemeinsame Altwerden in einer langen Beziehung thematisiert.
Da Nils Bollenbach so ganz ohne Politik aber doch nicht auskommt, wird er fortan als persönlicher Mitarbeiter den Grünen-Haushaltspolitiker Dennis Paustian-Döscher in der Hamburger Bürgerschaft unterstützen. Dafür ist der Stormarner Anfang Juli in die Hansestadt gezogen, wo er jetzt eine Wohnung in der Nähe des Hauptbahnhofs bewohnt.
Einmal pro Woche mit der BahnCard 100 nach Berlin
„Das ist auch deshalb praktisch, weil ich so schnell mit der Bahn in Berlin bin, wohin ich mindestens einmal in der Woche fahre“, erklärt er. Im Wahlkampf habe er immer wieder gepredigt, wie wichtig der Umstieg auf den Öffentlichen Personenverkehr sei. Dank einer BahnCard 100 praktiziere er das nun selbst umso intensiver. „Zumal man in Hamburg ohnehin kein Auto braucht“, sagt Nils Bollenbach.
Überhaupt fühle er sich in der Freien und Hansestadt tatsächlich freier und wohler als im ländlich-konservativen Stormarn. Berlin sei sicher auch aufregend. Dort auf Dauer zu leben könne er sich aber nicht vorstellen. „Tief drin bin ich nun mal ein Norddeutscher, hier ist mein sicherer Anker“, sagt er. Sein Herz schlage nach wie vor für Bargteheide. Und dorthin sei es von Hamburg aus nun mal viel näher als von Berlin.