Reinbek/Wentorf. Bleiben oder gehen? Die ersten Ukrainer aus der Region wagen sich zurück in ihre Heimat. Was sie dort erleben.

Seit knapp vier Monaten lebt die Ukrainerin Nataliia Fedorenko mit ihrem achtjährigen Sohn in Reinbek. „Es geht uns viel besser als in den ersten Wochen. Wir fühlen uns wohl in Reinbek“, sagt die 34-Jährige in akzentfreiem Deutsch. Mutter und Sohn hatten nach Ausbruch des Krieges ihre Heimat im Großraum Kiew verlassen und in Reinbek eine sichere Zuflucht gefunden. Unsere Redaktion hatte berichtet, wie sie die erste Zeit bei dem Reinbeker Ehepaar Doris und Bernd Gebert untergekommen waren und dann ins Kloster des St. Adolf-Stifts umziehen durften. Dort leben sie noch immer, zusammen mit anderen ukrainischen Frauen und Kindern.

Als wir am Donnerstag Fedorenko am Telefon erreichen, ist sie gerade auf dem Weg zur Klosterbergenschule, um ihren Sohn abzuholen. Der besucht hier die erste Klasse – ohne Dolmetscher und als einziges ukrainisches Kind in der Klasse. Das sei nicht immer leicht, aber er mache beim Deutschlernen große Fortschritte, sagt sie stolz. Sie selbst möchte auch wieder arbeiten – Angebote hat die Lehrerin für Deutsch und Englisch und ausgebildete Psychologin bereits einige. Zugesagt hat sie noch keines, weil die Arbeitszeiten neben der Kinderbetreuung schwierig wären. „Zeit für meinen Sohn zu haben ist mir gerade sehr wichtig.“

Ukraine: Ehemann und Vater lebt in Wohnung bei Kiew

Schließlich ist der Vater weit weg in der Ukraine. Hier arbeitet er wieder als IT-Fachmann und wohnt in der gemeinsamen Wohnung im Kiewer Großraum. „Er vermisst uns sehr und möchte, dass wir wieder zu ihm kommen“, sagt Fedorenko. Das möchten sie beide auch, doch traue sie sich noch nicht, solange es keinen Frieden gibt. Zu groß ist ihre Angst vor Raketenbeschuss. „Wenn mir jemand zusichern könnte, dass es keine Kriegshandlungen mehr geben wird, würde ich sofort gehen. Doch die Garantien kann mir derzeit leider niemand geben“, sagt sie traurig.

Unter den 200 Flüchtlingen aus der Ukraine, die derzeit in Reinbek leben, ist die Rückkehrerquote bislang gering, sagt Torsten Christ, Leiter des Bürgeramtes. „Nur wenige sind weitergezogen und meist, weil sie einen Job gefunden haben.“ Fedorenko ist mit den anderen Ukrainern in Reinbek vernetzt und hört von vielen: „Reinbek ist eine tolle Stadt, und die Reinbeker sind tolle, hilfsbereite Menschen“, sagt sie.

Ukraine: Bald werde es "in den Wohnungen sehr kalt"

Sie kenne aber auch Ukrainer, die bereits den Mut hatten, in ihre Heimat zurückzukehren. Sie berichten ihr von „einer anderen Ukraine, in der es nicht wie früher, aber auch nicht mehr so schlimm wie im Februar ist“. Überall sei das Militär präsent, seien die Schlangen an Tankstellen lang. Denn Benzin und Gas sind knapp. „Spätestens im Herbst wird das ein Riesenproblem und in den Wohnungen sehr kalt.“ Hungern müsse aber niemand. Die Regale in den Supermärkten seien gut gefüllt.

Nachrichten wie diese wird auch die beiden ukrainischen Familien, die derzeit neben weiteren Flüchtlingen in der Wentorfer Hauptschule untergekommen sind, dazu bewogen haben, noch in diesem Sommer in ihre Heimat zurückzukehren. „Bei vielen fällt jetzt die Entscheidung zwischen Bleiben oder Gehen“, sagt Wentorfs Ordnungsamtsleiter Sascha Kröger. 167 Flüchtlinge aus der Ukraine sind aktuell in der Gemeinde untergebracht, mehr als 100 haben bei Privatleuten eine Bleibe gefunden. Die letzten Ukrainer sind vor zwei Wochen aufgenommen worden, der große Zustrom ist abgeebbt, auch die Kreise bauen ihre Unterkünfte bereits zurück.

Wentorf sucht dennoch neue Unterkünfte für Geflüchtete

„Viele beherbergen die Menschen bereits über Monate“, sagt Bürgermeister Dirk Petersen, der dankbar für die große Hilfsbereitschaft seiner Wentorfer ist. Dennoch dürfe die Hilfsbereitschaft nicht überstrapaziert werden, müssten die Flüchtlinge aus den privaten in öffentliche Unterkünfte geholt werden.

Das Problem aber ist: Die vorhandenen sind voll. Deshalb sucht die Gemeinde seit Wochen händeringend nach Möglichkeiten und führt unter anderem Gespräche mit den Eigentümern der ehemaligen Sportschule am Fuchsberg und des leer stehenden Seniorenheims am Bergedorfer Weg. „Die Zeit drängt“, sagt Bürgermeister Petersen. Denn Anfang nächsten Jahres soll die Hauptschule endgültig für den Abriss freigegeben werden und Platz machen für eine moderne Feuerwache.

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Auch wenn einige Ukrainer wieder zurückgehen, „das Problem der Unterbringung bleibt. Schließlich haben wir noch viele Flüchtling aus anderen Ländern der Welt. Deren Zahl steigt weiter“, sagt Petersen. Doch für die Gemeinde sei es quasi unmöglich, bezahlbaren Wohnraum in Wentorf anzumieten – weil es ihn nicht gibt. „Eine Familie lebt deshalb seit sieben Jahren in einer Unterkunft“, sagt Petersen. Der Rathauschef kritisiert, dass der Staat Flüchtlinge unterschiedlich bei den Aufnahmeverfahren und Hilfeleistungen behandelt, es Flüchtlinge „zweiter Klasse“ gebe. Petersen will in Wentorf keine Unterschiede machen, „jeder wird eine Bleibe erhalten, der sie benötigt“, sagt er.