Hamburg. Jetzt wird klar, warum die Leitung der Bereitschaftspolizei zurücktrat. Beamte sprechen von einem „Zermürbungskrieg“.
Der Anruf, der die Hamburger Polizeispitze erschüttert, erreicht Polizeipräsident Ralf Martin Meyer am letzten Februarsonntag. In der Leitung ist Stefan Schneider, Chef der Bereitschaftspolizei. Er ist aufgebracht, spricht von Schikane, Ausbootung, überschrittenen "roten Linien“. Schneider will versetzt werden, der Polizeiführung nicht mehr angehören. Sofort. Am 3. März bestätigt die Polizei den Wechsel Schneiders in die Leitung des Polizeikommissariats (PK) 37 in Billstedt. Es ist eine freiwillige Degradierung bei gleichen Bezügen. Der dortige Revierchef Joachim Ferk ersetzt ihn als Leiter der Bereitschaftspolizei.
Auch Schneiders Stellvertreter Matthias Tresp tritt zurück, aus „Anstand und Solidarität“, wie er Vertrauten erzählt. Der drastischste Führungswechsel bei den behelmten Hundertschaften der Polizei seit mehr als zehn Jahren ist perfekt. Von offizieller Seite heißt es, es habe sich um einen normalen Vorgang gehandelt. „Es gibt und gab keinen grundlegenden Konflikt in der Einsatzdirektion“, sagt Polizeisprecher Mirko Streiber. Schneider und sein ehemaliger Stellvertreter Tresp sprechen nur über Mittelsmänner über die Gründe ihres Rückzugs.
Gewerkschaftsfunktionäre und Polizeibeamte erzählen jedoch hinter vorgehaltener Hand von einem jahrelangen, tiefgreifenden Streit über die Strategie und Aufstellung der Bereitschaftspolizei, gar über einen „Zermürbungskrieg“ im Innenleben der Einsatzdirektion. Differenzen bei der Einsatzstrategie Rückblick: Im September 2012 kündigt der damalige Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch (SPD) an, Stefan Schneider vom Revierchef im PK 16 in der Lerchenstraße (Sternschanze) zum Bereitschaftspolizeileiter zu befördern. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) wehrt sich sofort gegen die Personalie.
Schneider gilt als vorsichtiger Anführer, als Vertreter von zurückhaltendem Vorgehen der Polizeibeamten bei Demonstrationen. Die Umbesetzung in der Polizeiführung bedeute einen „Rückschritt in die Richtung vor 2001“, wettert der DPolG-Vorsitzende Joachim Lenders. Ein Polizeibeamter lanciert einen Pressebericht über finanzielle Probleme Schneiders. Kopitzsch setzt seinen Willen unbeirrt durch. Schneider, sein Stellvertreter Tresp machen im Präsidium (GdP) nach Angaben von hochrangigen Beamten schnell klar, dass sie die Strategie der Einsatzleitung in Einzelfällen für überzogen halten.
Jeden Regelverstoß bei Demonstrationen - schon ein paar Zentimeter zu lange Transparente - beantworten der leitende Polizeidirektor Peter Born und Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde mit voller Einsatzkraft. In linksalternativen Kreisen sind beide Hassfiguren. "Sie sind allgemein der Auffassung: Wenn die Bereitschaftspolizei irgendwo auftaucht, muss es auch weh tun", sagt ein langjähriger Spitzenbeamter. Schneider sei auch „kein Angsthase“, sagt ein Vertrauter. „Aber während bei ihm die Wasserwerfer noch einen Kilometer weit weg parken, um nicht zu provozieren, ist unter Dudde schon das halbe Schanzenviertel hochdruckgereinigt. Das war immer der Kernunterschied.“
Bereits kurz nach der Ernennung werden die persönlichen Differenzen im Einsatz sichtbar. Schneider soll sich bei befreundeten Beamten darüber beklagt haben, dass die Einsatzleitung ihm gezielt "Knüppel zwischen die Beine" werfe. Dudde habe Entscheidungen ohne vorherige Rücksprache mit ihm oder seinem Stellvertreter getroffen. Schließlich seien beide in der Informationskette vollständig übergangen worden. "Herr Dudde wollte die Bereitschaftspolizei weiterhin unter seinen Fittichen haben", sagt ein Spitzenbeamter. Im Personalrat häuft sich der Unmut darüber, dass Schneider die Bereitschaftspolizisten nicht angemessen motiviere. „Normalerweise stellt sich ein guter Abteilungsleiter noch einmal vor die Truppe und sagt: So sieht die Lage aus - und das erwartet euch da draußen. Schneider hat das kaum einmal gemacht“, sagt ein Insider.
Außerdem fehle Schneider "der Mut, die eigenen Beamten mit harten Entscheidungen zu schützen". Ende des Jahres 2013 ist das Verhältnis zwischen der Bereitschaftspolizeispitze und der Einsatzleitung zerrüttet. Am 21. Dezember ist eine Großdemonstration am Schulterblatt mit mehreren Tausend gewaltbereiten Autonomen angemeldet. Stefan Schneider meldet sich als Chef der Hundertschaften am Morgen des Einsatzes krank. Die Polizei stoppt den Demonstrationszug im Schanzenviertel auf, weil dieser sich zu früh in Bewegung setzte - im Verlaufe des Tages kommt es zu den schwersten Krawallen seit Jahren mit insgesamt mehr als 500 Verletzten.
Am folgenden Montag erscheint Schneider wieder zur Arbeit, „mit einem Lied auf den Lippen“, wie ein hochrangiger Beamter sagt. Auch in der eigenen Abteilung schwindet Schneiders Ansehen, die Beamten denken sich abschätzige Spitznamen für ihren Chef aus. "Dabei war er wirklich krank, mit fiebriger Grippe", sagt ein Weggefährte. Den persönlichen Abneigungen und strategischen Unterschieden kommt im Jahr 2014 der Streit um Geld und Personal hinzu.
Polizeipräsident Kopitzsch will eine Gehaltserhöhung für Schneider am Personalrat vorbei durchsetzen, indem er ihn kurzerhand zu einem „entscheidungsberechtigten Vertreter“ erklärt. Die CDU kritisiert öffentlich einen „SPD-Filz“ in der Hamburger Polizei. Im April wird Kopitzsch selbst von Innensenator Michael Neumann (SPD) in den Ruhestand geschickt, Ralf Martin Meyer sein Nachfolger.
Der Personalrat, in dem die DPolG die absolute Mehrheit hält, geht bei Beförderungen innerhalb der Bereitschaftspolizei auf Konfrontationskurs zu Schneider. „Der hat auch seine eigene Position überschätzt“, sagt ein Mitglied des Gremiums. Für die Unterstützer Schneiders hat die Einsatzleitung gemeinsam mit dem Personalrat dafür gesorgt, dass „die Leitung der Bereitschaftspolizei komplett enteiert“ wird. Seinen Entschluss zum Rücktritt fasst der Leiter der Bereitschaftspolizei nach einem Planungstreffen für einen Einsatz beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau in Bayern. Einsatzleiter Hartmut Dudde will zwei Alarmhundertschaften an dem Einsatz beteiligen, Schneider fühlte sich erneut übergangen. „Das war eigentlich eine Lappalie.
Aber wohl der entscheidende Funken, um aus angestautem Ärger ein Feuerwerk zu machen“, sagt ein Teilnehmer des Treffens. Schneider hinterlässt seinem Nachfolger eine personell schwach ausgestattete Bereitschaftspolizei. Nach Senatsangaben befinden sich statt der vorgesehenen 881 Beamten nur 736 Bereitschaftspolizisten in der Abteilung - de facto fehlt den Demonstrationskräften der Polizei somit eine ganze Hundertschaft. Sowohl die DPolG, als auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) beklagen vor dem 1. Mai die mangelnde Schlagfertigkeit der Bereitschaftspolizei.
Die Beamten schieben derzeit 657 planbare freie Wochenenden, die ihnen eigentlich zugestanden hätten vor sich her. "Man wird diesen Missstand bei Demonstrationen deutlich sehen", sagt der DPolG-Landesvorsitzende Joachim Lenders. Laut dem GdP-Vorsitzenden fehlt es vor allem an Führungskräften. Wir haben viele junge Leute, die in die Bereitschaftspolizei nachrücken sollen, aber viel zu wenig erfahrene Beamte."
Der neue Bereitschaftspolizeileiter Joachim Ferk, der zuvor bereits das Mobile Einsatzkommando (MEK) leitete, genießt einen exzellenten Ruf innerhalb der Polizei. Strategisch gilt Ferk als Verfechter einer starken Präsenz bei brisanten Einsätzen, die Deutsche Polizeigewerkschaft DPolG hat nach Schneider nun einen Wunschkandidaten erhalten.
„Einsatzmittel wie die Reiterstaffel werden auch durch ihre abschreckende Wirkung erst richtig wertvoll“ , sagt der Landesvorsitzende Joachim Lenders: „Dafür müssen sie gut sichtbar sein.“ In der regierenden SPD wird die konsequente Linie ebenfalls unterstützt. „Es ist die klare Marschrichtung, jeden Unfrieden konsequent zu bekämpfen, ohne absichtlich zu provozieren“, sagt ein Senatsbeamter. „Sicher ist auch, dass die Einsatzstrategie nicht weichgespült wird, nur weil wir jetzt die Grünen mit im Boot haben“.
Aus vergangenen Einsätzen, insbesondere jenem am 21. Dezember 2013, seien bereits Schlüsse auf allen Führungsebenen gezogen worden. Auch die geradlinigsten in der Polizeiführung hätten gelernt, bei brisanten Einsätzen nicht zusätzliches Öl ins Feuer zu gießen.