Reinbek. Die 47-jährige Inge Wilczek übernimmt trotz einer Behinderung wichtige Aufgaben in der Reinbeker Feuerwehr

Es kommt plötzlich, und sie kann nichts dagegen machen. Etwa im Park beim Spazierengehen oder auch im Bus. Inge Wilczek (47) wird müde und schäft sofort ein. Narkolepsie nennt sich die organische Krankheit, die bei der Reinbekerin vor rund zehn Jahren diagnostiziert wurde. Deswegen kann sie nicht mehr arbeiten und bekommt seit 2017 Erwerbsminderungsrente.

Untätig zu Hause zu sitzen ist ihre Sache jedoch nicht. Trotz des schweren Handicaps gehört die gelernte Groß- und Einzelhandelskauffrau seit Kurzem der Reinbeker Feuerwehr an als zentraler Bestandteil der neuen Verwaltungsabteilung. „Die Arbeit mit Menschen macht mir Spaß. Ich möchte etwas Sinnvolles mit meinem Leben machen“, sagt die Mutter eines Sohnes (22).

Die Idee kam beim Gespräch an der Supermarktkasse auf

Lange war für Menschen wie sie der Eintritt in eine Feuerwehr nicht möglich. Wer mitmachen wollte, musste in den aktiven Dienst und bei Einsätzen mitwirken. Voraussetzung dafür war körperliche Fitness. So schrieb es das Brandschutzgesetz des Landes Schleswig-Holstein lange vor.

Laut Stormarns Kreiswehrführer Gerd Riemann gab es vor rund zehn Jahren eine Änderung. Seitdem können auch Personen mit schwerer Behinderung Aufgaben bei einer Wehr übernehmen: ausschließlich in einer Verwaltungsabteilung. Solche bauen jetzt die Ortswehren Reinbek, Schönningstedt und Ohe auf. Einem entsprechenden Antrag auf Gründung stimmten die Stadtverordneten vor Kurzem zu.

Für den Reinbeker Ortswehrführer Hans-Jörg Haase ist das eine große Erleichterung: „Dadurch werde ich pro Woche zwei Stunden entlastet.“ Für ihn fällt Schreibarbeit weg. Inge Wilczek wird in Kürze zum Beispiel Einsatzberichte verwalten, die Dokumentation erledigen und Ordner beschriften. Außerdem ist die Verwaltungsabteilung für logistische Unterstützung, Mitgliederbetreuung und -werbung zuständig, kümmern sich um die Jugend und die Brandschutzerziehung. Hans-Jörg Haase hat noch drei Rentner auf einer Warteliste für diese Einheit.

Grad der Behinderung liegt bei 70 Prozent

Die Frau der ersten Stunde ist Inge Wilczek, die einen Schwerbehindertenausweis hat mit einem Grad der Behinderung von 70. „Sie wird alles mitgestalten und legt den Rahmen fest“, sagt der Ortswehrführer. Die in Reinbek aufgewachsene Ehrenamtlerin könnte auch von zu Hause aus arbeiten. Doch das möchte sie gar nicht, denn sie ist gern unter den Rettern in der Wache an der Klosterbergenstraße. Ihr Platz ist im Wehrführerbüro.

In der neuen Wache, die auf dem Grandplatz am Mühlenredder geplant wird und der Politik beschlossen ist, soll die Abteilung einen eigenen Raum bekommen. Bis dahin dauert es aber noch. Für dieses Jahr ist ein Baustart ausgeschlossen. Die Arbeiten erstrecken sich nach Schätzungen des Rathauses auf zwei Jahre.

Inge Wilczek war früher im Vertrieb tätig, musste dort viel organisieren. „Ich bin einfach nur glücklich, dass wir sie für uns gewinnen konnten“, sagt Wehrführer Haase. Dabei ist ihr Einsatz eher dem Zufall geschuldet. Eine von 14 Frauen in der Ortswehr arbeitet in einem Supermarkt an der Kasse und erzählt dort auch von ihrem Ehrenamt. „Wir kamen ins Gespräch, am 30. April hat mich die Dame dann vor der Wache abgefangen und mir die Feuerwehr schmackhaft gemacht“, sagt Inge Wilczek. Den Satz „Bei uns finden wir für jeden was“ hat sie noch in Erinnerung. Kurz darauf fasste sie den Entschluss, sich zu engagieren.

Königspudel Flocke ist ständig an ihrer Seite und passt auf

Zuvor hatte Inge Wilczek nur wenig Berührungspunkte mit der Feuerwehr. Bei Feierlichkeiten wie dem Maibaumfest war die im Stadtteil Ohe lebende Frau zwar dabei und lobt die Stimmung sowie das ganze Drumherum – mehr aber auch nicht. Jetzt hat sie zwei ehrenamtliche Tätigkeiten in Stormarns zweitgrößter Stadt. Seit zehn Wochen bastelt Wilczek auch beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) mit Senioren.

Wenn sie über ihr Engagement spricht, ist die Begeisterung spürbar. Es scheint so, als falle die Last der Krankheit für einen Moment von ihren Schultern. Die Reinbekerin ist ein positiv denkender Mensch. Sie redet offen über den Umgang mit Narkolepsie – im Volksmund als Schlafkrankheit oder Schlummersucht bezeichnet. Auslöser war das Pfeiffersche Drüsenfieber im Jugendalter, sagt Wilczek.

Sie erzählt von Symptomen, Depressionen und den Medikamenten gegen die permanente Müdigkeit. „Immer, wenn mir langweilig wird, schlafe ich prompt ein. Deswegen kann ich auch nicht mehr ins Kino gehen.“ Während der Schlafphase höre sie alles, was um sie herum passiere, könne aber nicht reagieren.

Zum Schutz und als ständigen Begleiter hat die 47-Jährige einen neun Monate alten Königspudel. Das Tier heißt Flocke und ist gerade in Ausbildung zum Assistenzhund. „Seit er bei mir ist, reduzieren sich die Schlafattacken“, sagt die Reinbekerin. Sie sei glücklich, dass die Wehr das Thema Inklusion vorantreibe.

In 87 freiwilligen Wehren gibt es elf Verwaltungsabteilungen

In der Oher Ortswehr sind für das neue Ressort laut Gemeindewehrführer Oliver Selke zwei Feuerwehrleute vorgesehen, die wegen Erkrankungen den Einsätzen fernbleiben müssen. „Wir wollen sie auf jeden Fall dazu animieren“, sagt Selke.

Von den 87 Freiwilligen Feuerwehren in Stormarn hatten Ende 2018 elf Verwaltungsabteilungen. Die Willinghusener Ortswehr setzt seit vier Jahren auf zwei Männer mit Handicap, der eine ist taub, der andere gehbehindert. „Wir haben mit ihnen positive Erfahrungen gemacht“, sagt Barsbüttels Gemeindewehrführer Frank Becker, der es gut beurteilen kann. Er war von 1994 bis 2017 Feuerwehrchef in Willinghusen.