ZDF sollte den Wiedereinstieg ins Live-Profiboxen nicht vom Erfolg des Kampfabends am Sonnabend abhängig machen.
Der Erfolgsdruck ist riesig an diesem Sonnabend. Wenn der Hamburger Boxer Artem Harutyunyan, Olympiabronze-Gewinner von 2016 im Halbweltergewicht (bis 63,5 Kilogramm), in der „Kuppel“ an der Luruper Chaussee gegen den Russen Islam Dumanow in den Ring steigt, nimmt er nicht nur die Verantwortung für sein eigenes Fortkommen mit ins Seilgeviert. Der 29-Jährige soll, so die Hoffnung seines Promoters Ismail Özen-Otto, dem wiederbelebten Universum-Stall den Weg in eine erfolgreiche Zukunft ebnen und im Optimalfall eine neue Euphorie entfachen, die das ZDF von einer Rückkehr in die Liveberichterstattung über das Profiboxen überzeugt.
Der öffentlich-rechtliche Mainzer Sender hatte von 2002 bis 2010 einen Exklusivvertrag mit Özen-Ottos Vorvorgänger Klaus-Peter Kohl, der Universum 1984 gegründet und Anfang dieses Jahrhunderts mit Topathleten wie den Klitschko-Brüdern, Dariusz Michalczewski und Regina Halmich zu Weltruhm geführt hatte. 20 Millionen Euro zahlte das ZDF im Jahr, um Kohls Kampfkünstler live zeigen zu dürfen. Damals lieferte man sich mit der ARD, die bis 2014 exklusiv an den Berliner Sauerland-Stall und dessen Zugpferde Arthur Abraham, Sven Ottke oder Marco Huck gebunden war, und dem Kölner Privatsender RTL, der die Kämpfe der 2004 in die Selbstständigkeit gewechselten Klitschkos zeigte, ein bizarres Wettrennen um die höchsten Quoten. In der Hochphase saßen regelmäßig drei Millionen Fans schon vor dem Bildschirm, wenn in der Halle nur das Licht angeschaltet wurde.
Diese Zeiten sind längst vorbei. Weil die öffentlich-rechtlichen Millionen fehlen, ist das Betreiben eines Profistalls mit Dutzenden Boxern und fest angestellten Trainern unrentabel und das Ersteigern großer WM-Kämpfe mit Beteiligung internationaler Stars unmöglich geworden. Die Realität im Profiboxen in Deutschland ist anno 2019 oft die, dass Kämpfer ihre Gegner und Trainer selbst bezahlen. Darunter leiden die Qualität und die Attraktivität eines harten, ja lebensgefährlichen Sports, dem deshalb die nationalen Talente auszugehen drohen.
Das ZDF hat über die vergangenen neun Jahre das Interesse am Boxen trotzdem nicht verloren. Dass die Mainzer sich nun entschlossen haben, einen Testlauf für eine mögliche Rückkehr zu starten, liegt daran, dass sie mit Universum einen Stall gefunden haben, der auf der Suche nach einem solventen TV-Partner bereit ist, auf großzügige Alimentierung zu verzichten und nach dessen Regeln zu spielen. Und die Ansätze sind vielversprechend. So besteht das ZDF auf die Ansetzung neutraler Punktrichter, deren Urteile dem Publikum transparent gemacht werden sollen. Die sportlichen Ansetzungen müssen Kämpfe auf Augenhöhe versprechen; aufstrebende Stars, die Fallobst aus Osteuropa vermöbeln, soll es nicht mehr geben. Außerdem müssen sich alle Hauptkämpfer, die im ZDF-Internetstream oder im TV-Programm live gezeigt werden, vor und während der Kampfabende regelmäßigen Dopingtests durch die unabhängige Voluntary Anti Doping Association (Vada) unterziehen. Eine Praxis, die im Profiboxen, das sich nicht dem Nada-Code unterwirft, aktuell nicht existiert. Die Kosten dafür, 50.000 Dollar, trägt Universum.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Ismail Özen-Otto, der in seiner aktiven Karriere nicht alle seine Siege nur dank seiner Fäuste erkämpfte, nun Vorreiter für einen sauberen Boxsport ist. Aber der umtriebige Deutschkurde, der dank seiner Liebe zu Janina Otto in die milliardenschwere Hamburger Unternehmerfamilie einheiratete, hat sich diese Chance als Speerspitze einer neuen Promoter-Generation verdient, weil er beharrlich an sie geglaubt und dafür gearbeitet hat.
Das ZDF sollte deshalb seinen Wiedereinstieg nicht von der ersten Testveranstaltung abhängig machen. Dass der Sender ankündigte, den für Frühjahr 2020 geplanten zweiten Test möglicherweise ausfallen zu lassen, wenn die Quotenerwartung (zweistelliger Marktanteil) nicht erreicht werde, ist angesichts der Rahmenbedingungen – Kampfbeginn 0.30 Uhr, zwei weitgehend unbekannte Boxer in einer in Deutschland unbeliebten Gewichtsklasse – das falsche Zeichen. Wer es ernst meint mit der Förderung des deutschen Berufsboxens, der wird einen langen Atem brauchen.