Norddorf. Einheimische sind vorsichtig. Bald soll es auf der Insel richtig voll werden. So lief das erste Wochenende mit Touristen auf Amrum.
Selten war es so schön, die Unfreie und Hansestadt zu verlassen. Die Metropole, in der die Große Freiheit nur eine leere Straße und ein noch leereres Versprechen ist, vermag die Fernwehkranken nicht mehr zu halten. Es locken Wind und Wellen, Sand und Strand – ein weiter Horizont. Amrum hat das alles, gerade in diesen Corona-Zeiten. Die Insel fährt behutsam den Fremdenverkehr wieder hoch. Aber es ist ein anderer Aufbruch als Mitte Mai 2020.
Auch damals wagte Schleswig-Holstein angesichts sinkender Inzidenzen als erstes Bundesland die Öffnung für Gäste, aber nicht alle Insulaner sahen das Vorpreschen positiv. Entsetzt verfolgten manche Einheimische, wie schnell sich die leere Insel füllte, wie sich in den Supermärkten Schlangen bildeten und die Busse zu den Fährzeiten völlig überfüllt waren. Glücklich hingegen registrierten Hotels und Restaurants, dass die Menschen wieder zurück waren. Es regierte eine Aufbruchstimmung des „Hurra, wir leben noch“, die Pandemie schien überwunden.
Die Maskenpflicht gab scheinbare Sicherheit, einige Hygieneauflagen gelten im Nachgang fast als skurril: Speisekarten wurden desinfiziert oder waren nur digital abrufbar, Plexiglaswände zwischen den Tischen sollten das Virus stoppen, überall lagen Papierlisten herum, in die man sich eintragen musste. Dafür wurde abgesehen von Schwimmbädern und Saunabereichen die ganze Insel geöffnet, das wunderbare Kino von Norddorf inklusive. Als Hamburg noch im Lockdown verharrte, machte sich der Norden locker. Und die Inzidenzen stiegen nicht – auf Amrum gab es den ersten nachgewiesenen Corona-Fall erst im Spätsommer.
Urlaub an der Nordsee: Funktioniert das Modellprojekt Tourismus auf Amrum?
Der Neustart jetzt ist zurückhaltender – und wissenschaftsbegleitet. Ein Oberarzt des UKE und die Firma KDD Digital Health Care analysieren die Daten, die täglich bei den Gesundheitsämtern eingehen müssen. Im Ernstfall kann das Modellprojekt abgebrochen werden, im Moment laufen die Zahlen weiter in die richtige Richtung: Am Sonntag lag die Sieben-Tage-Inzidenz in Nordfriesland bei 41.
Damit dies so bleibt, gilt eine konsequente Test- und Nachverfolgungsstrategie: Auf der lediglich 20,5 Quadratkilometer großen Insel Amrum gibt es elf Teststationen, vom Hotel bis hin zur Freiwilligen Feuerwehr in Süddorf nehmen freiwillige und professionelle Helfer ständig Proben. Bis zu 20.000 Tests sollen wöchentlich möglich sein, eine beeindruckende Zahl angesichts von 2250 Einwohnern, 835 Zweitwohnungen und 10.000 Gästebetten, die aber noch längst nicht alle belegt sind. Das Ziel: Alle 48 Stunden sollen sich Besucher der Insel testen lassen können, das sind im wahrsten Sinne des Wortes drei Testungen pro Nase und Woche. Gleich am ersten Tag des Modellversuchs wurde ein Gast positiv getestet.
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Schon wer auf die Insel will, benötigt bei der Adler-Reederei in Nordstrand einen aktuellen Negativbeleg. Zum Ärger mancher Insulaner ist die Reederei WDR in Dagebüll nicht so streng. Und auch die Zweitwohnungsbesitzer oder deren Freunde könnten durch das engmaschige Netz der Kontrollen schlüpfen, fürchten manche.
Ohne Corona-Test geht für Touristen wenig auf Amrum
Deshalb geht auf der Insel ohne einen aktuellen Test nur wenig: Wer die Innengastronomie nutzt, muss ein negatives Ergebnis vorweisen, das nicht älter sein darf als 24 Stunden. Überall regiert die neue Luca-App auf dem Handy (oder wahlweise über einen Luca-Schlüsselanhänger), um sich ein- und auszuchecken. Auch wenn Datenschützer mosern, sie wirkt deutlich effektiver als die Corona-App, weil sie die Kontaktverfolgung erleichtert. Ein Handyfoto des Nutzers genügt und ersetzt die alten Papierlisten.
Auch die Hotels haben ihre Abläufe der Gesundheitslage angepasst: Fünf Frühstückseinheiten werden beispielsweise im Norddorfer Seeblick zwischen 7.30 Uhr und 10 Uhr den Gästen zugeteilt, auch das Abendmenü muss fest gebucht werden. Die Toiletten sind nur für Nicht-Hotelgäste zugelassen, überall gelten Maskenpflicht und Mindestabstand. Der Spa-Bereich ist wegen der behördlichen Vorschriften noch geschlossen. Die Geschäfte müssen an Sonn- und Feiertagen schließen, weil die Bäderregelung ausgesetzt sind. Selbst die traditionsreichen Wattwanderungen sind auf 20 Personen begrenzt.
Anders als 2020 lässt das Land 2021 weder die Urlauber noch die Pandemie laufen – man will nicht nur den Betrieben und Touristen eine Zukunft geben, sondern für die Zukunft lernen. „Uns war klar, dass wir beim Modellversuch mitmachen“, sagt Gunnar Hesse, einer der Chefs des Seeblick Genuss und Spa Resorts. „Amrum hat das Glück, viele Stammgäste zu haben. Mit der Modellregion verdienen wir zwar kein Geld. Aber wir können lernen, wenn es im Herbst eine weitere Welle geben sollte. Dann müssen wir vorbereitet sein“, sagt er.
Ab Himmelfahrt dürfte es auf der Insel richtig brummen
Nach dem ersten Wochenende der Rückkehr zu einer neuen Normalität zieht Frank Timpe, Leiter von Amrum Touristik, eine positive Bilanz: „Das Hochfahren des Tourismus hat bislang gut geklappt. Unsere Gastgeber sind sehr zufrieden, fast euphorisch. Derzeit liegen wir bei einer Kapazität von 60 Prozent in der Vermietung. Ich rechne mit einem verhaltenen Start, wir fahren langsam weiter hoch.“ Ab Himmelfahrt dürfte es auf der Insel richtig brummen.
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Das muss es aber auch. Denn die Einbußen der Pandemie waren ein Schlag ins Kontor: Die touristische Wertschöpfung lag in den Jahren vor Corona bei 118 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr fehlten dann 250.000 Übernachtungen oder 30 Millionen Euro. Allein in den ersten vier Monaten fielen durch den Lockdown erneut 150.000 Übernachtungen oder weiter 18 Millionen Euro weg.
Derzeit mischt der Modellversuch die Belegungen kräftig durch. „Wir hatten viele Stornierungen für Mai, aber auch sehr viele Neuanfragen. Und es gibt viele Gäste, die ihre Vermieter geradezu überzeugt haben, wieder zu öffnen“, sagt Timpe. „Die Republik schaut auf uns: Wenn es hier funktioniert, dann klappt es auch anderswo.“
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