Ostsee/Nordsee. Hotels im Norden sichern Arbeitsplätze. Doch immer mehr Anwohner sorgen sich um die Natur, fürchten Lärm und steigende Mietpreise.
Die Menschenkette umschloss den kleinen Wald an der Trave. 1000 Demonstranten protestierten an einem Sonnabend im vergangenen November gegen das geplante Hotel auf der Kohlenhof-Spitze auf dem Priwall, der Halbinsel vis-à-vis der Travepromenade. Hier in Travemünde baut der dänische Investor Sven Hollesen seit 2015 eine Ferienanlage mit am Ende insgesamt rund 570 Wohneinheiten.
Inzwischen ist klar: Das Wellness-Hotel wird das Projekt Beach Bay nicht ergänzen. Dem Abendblatt bestätigte Hollesen, dass die Kohlenhofspitze trotz eines Vertrags unbebaut bleibt.
Der Kontrakt sei zwar nicht zurück abgewickelt worden. Aber man „nehme zur Kenntnis, dass die Hansestadt Lübeck trotz des Auftrags und des Verkaufs des Grundstücks mit dem Ziel, dort ein Hotel zu bauen, das Hotel jetzt nicht mehr haben möchte“. Bereits beim Hanse-Talk der Lübecker Nachrichten im Februar hatte Hollesen gesagt: „Ich beuge mich den demokratischen Beschlüssen und sehe meine geschäftliche Niederlage ein.“
Bernd Buchholz hält Beach Bay für einen Gewinn
Auch das futuristische Hotel Dünenhaus, wegen seiner sternenförmigen Struktur Ufo-Hotel genannt, wird es in St. Peter-Ording allenfalls in einer abgespeckten Version geben. Die ersten kühnen Pläne lehnte der Bauausschuss als zu gewaltig ab. Der Entwurf habe wie ein „riesiges Hünengrab“ gewirkt.
In Scharbeutz kämpft unterdessen Hotelier Töns Haltermann für ein größeres Bayside. 52 neue Zimmer sollen entstehen, der Wellnessbereich erweitert werden. Jens Teschke, Vorsitzender der Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger (WUB), mit 19,4 Prozent zweitstärkste Kraft der Gemeindevertretung, lehnt das Bauprojekt ab: „Wir dürfen nicht zulassen, dass auf der Strandseite noch eine Betonwand entsteht.“
Stößt der Küsten-Tourismus an seine Grenzen?
Seit Jahren werden die Ziele an Nord- und Ostsee immer beliebter. 8.924.000 Touristen zählte das Statistikamt Nord 2019 in Schleswig-Holstein, 3,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Übernachtungen stieg sogar um 4,4 Prozent auf fast 36 Millionen.
Für das Plus sorgen Nord- (plus 3,8 Prozent) und Ostsee (plus 5,1 Prozent) – das Binnenland dagegen schwächelt, die Holsteinische Schweiz etwa büßte gegenüber 2018 11,5 Prozent ein. Auch in Mecklenburg-Vorpommern heißt es: Meer geht immer. Boltenhagen steigerte seit der Jahrtausendwende seine Übernachtungszahlen um 500.000 auf knapp 1,5 Millionen.
Tourismusbranche sichert in Schleswig-Holstein fast 170.000 Jobs
Zwar lässt sich kaum ein Arbeitsplatz allein dem Tourismus zurechnen, ein Taxifahrer befördert eben nicht nur Urlaubsgäste. Aber gerechnet auf das Volkseinkommen sichert die Branche laut Tourismusbericht allein in Schleswig-Holstein fast 170.000 Jobs.
Aber kann der Jobmotor für die Anwohner auch zum Fluch werden? Eine Frage, auf die es keine einfachen Antworten geben kann. Das Klischee vom Kampf idealistischer Ökos gegen renditesüchtige Investoren mag in die TV-Welt drittklassiger Drehbücher passen. Mit der Realität hat es nichts zu tun.
Priwall wurde zum Feriendorf im XXL-Format
Dafür taugt der Priwall als gutes Beispiel. Die drei Kilometer lange Halbinsel an der Travemündung lag unmittelbar an der innerdeutschen Grenze, ein kleiner Abschnitt gehörte zur DDR. Das Krankenhaus schloss 2004, die Gebäude verrotteten, stürzten teilweise ein. Das große touristische Pfund war die Natur mit Badestrand und Campingplätzen.
Wer heute mit der Fähre auf den Priwall übersetzt, sieht ein Feriendorf im XXL-Format. Im Ahoi (146 Sitzplätze und weitere 192 Plätze auf der Terrasse) lässt TV-Koch Steffen Henssler Sushi-Bowls, Burger, Currywurst und Fish ’n’ Chips servieren. Das Wellness- und Tagungshotel Slowdown wird noch im März eröffnen, ab Sommer lockt eine Indoor-Spielhalle mit Schwarzlichtgolf und Laser-Labyrinth.
Projekt bringt Anwohnern auch Vorteile
„Das Projekt ist überdimensioniert“, sagt Eckhard Erdmann, Rentner und Vorsitzender der Gemeinschaft der Priwall-Bewohner. Vergebens hat er mit einer Bürgerinitiative für eine „behutsamere Entwicklung“ gekämpft. Die Gebäude sind aus seiner Sicht zu groß, der Abstand zwischen ihnen zu gering. Er fürchtet im Sommer zudem längere Wartezeiten beim Fährverkehr.
Allerdings sieht der 72-Jährige den neuen Supermarkt durchaus als Bereicherung: „Früher mussten wir zum Einkaufen auf die andere Seite der Trave.“ Bald wird eine Markthalle zum Schlemmen einladen, das Eiscafé hat schon eröffnet – alles kann auch die Lebensqualität der Priwall-Bewohner steigern. Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) sagt: „Der Priwall gehört zu den bedeutendsten Tourismusprojekten an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste und ist ein Gewinn für Travemünde.“
„Zwei-Klassen-Gesellschaft“ in Scharbeutz
Dass sich Buchholz für Beach Bay starkmacht, kann indes nicht wirklich überraschen. Der Tourismus gilt mit einem Bruttojahresumsatz von 9,5 Milliarden Euro in Schleswig-Holstein als immenser Wirtschaftsfaktor.
Die Schattenseiten des Booms erlebt WUB-Vorsitzender Jens Teschke bei seinen Besuchen in Scharbeutz. Dort kennt ihn fast jeder, viele Jahre hat Teschke hier die Post ausgetragen. Teschke lebt in Sarkwitz, knapp zehn Kilometer westlich von Scharbeutz. Er spricht von einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“. Die, die es sich noch leisten könnten, würden direkt an der Ostsee wohnen, die anderen im Hinterland leben. Teschkes düstere Prognose: „Für viele Alteingesessene, die zur Miete wohnen, wird das Leben an der Küste unbezahlbar.“
Mangel an Arbeitskräften macht Branche zu schaffen
Und dann der Verkehr: „An warmen Wochenende kommt halb Hamburg hierher.“ Und bei einem der häufigen Autobahnstaus erlebt Teschke regelmäßig, wie sich der Verkehr auch durch sein Dorf quält: „Es gibt Zeiten, da kommen Sie hier kaum noch über die Straße.“
Andererseits weiß auch Teschke, wie abhängig Scharbeutz von Touristen ist. Er befürchtet daher, dass es am Ende in der Gemeindepolitik eine Mehrheit für einen Bayside-Ausbau geben wird. Den Markt dafür, das ist sicher, gibt es: Das Hotel hat eine Auslastung von 97,5 Prozent. Neben 52 Zimmern will Hotelier Haltermann auch Personalwohnungen bauen. Aus gutem Grund: Der Mangel an Arbeitskräften macht der gesamten Branche zu schaffen.
Inhaber des Fietis in Wyk macht alles selbst
Auf der Nordseeinsel Föhr hat Friedrich Walterscheid, Inhaber des Fietis in Wyk, inzwischen die Personalsuche aufgegeben. Wie das Abendblatt berichtete, macht der Chef nun alles selbst: Einkaufen, Kochen, Servieren, Spülen – die Getränke nehmen sich Gäste aus der Bar. „Ich bin es leid, immer wieder nach neuen Aushilfen zu suchen“, sagt Walterscheid. Der erfahrene Koch macht für die Misere vor allem die immens gestiegenen Mieten auf Föhr verantwortlich.
Sylt steht vor dem gleichen Dilemma, obwohl dank des Hindenburgdamms Pendeln mit der Bahn möglich ist. Wenn sie denn fährt. „Die Probleme haben uns sehr getroffen. Das war sehr ärgerlich für unsere Gäste und für unsere Pendler.
Sylts Bürgermeister setzt auf kommunales Bauen
Täglich pendeln 3500 Personen nach Sylt. Viele Jahre wurde hier viel zu wenig investiert“, klagt Bürgermeister Nikolas Häckel. Umso mehr hofft er nun auf die Investitionsoffensive der Bahn, die in diesem Jahr für 50,7 Millionen Euro 52 Kilometer Gleise und mehrere Weichen auf der Marschbahn erneuern will.
Doch bessere Anbindungen an das Festland allein nutzen den Anwohnern nur wenig. Sie brauchen auf einer Insel, wo der Quadratmeter Wohnfläche mitunter teurer ist als in der Londoner City, günstigen Wohnraum. Häckel setzt auf kommunales Bauen: „Das KLM Sylter Wohnen hat bereits mehr als 1200 Wohneinheiten im Bestand, derzeit sind 488 weitere in Planung.“
Zweckwidrige Nutzungen müssen geahndet werden
Doch bei jeder Wohnung lauert die Gefahr, dass sie zeitweise an Touristen vermietet wird. „Zweckwidrige Nutzungen müssen konsequent geahndet werden“, fordert Häckel. Hier sei der Kreis als zuständige Behörde gefordert: „Eine Regelung ist nur so gut, wie ihre Einhaltung überwacht wird.“ Der Bürgermeister hätte sich gewünscht, dass Schleswig-Holstein an der Mietpreisbremse festgehalten hätte: „Dass sie abgeschafft wurde, halte ich auch wegen unserer Bemühungen für ein falsches Signal.“
Wie sensibel Sylter auf neue Bauprojekte reagieren, zeigt sich bei einem geplanten Neubau in unmittelbarer Nähe des 5000 Jahre alten Großsteingrabs Denghoog in Wenningstedt. Der Heimatverein fürchtet Schäden für das archäologische Denkmal. Der „allgemeinen Bauwut“ auf der Insel solle „Sylter Kulturgut zum Opfer fallen“, heißt es in der Online-Petition, die inzwischen fast 6000 Menschen unterschrieben haben.
Eine Balance für Touristen und Einheimische finden
Die Einsicht, dass der Kampf um Touristen nur mit den Einheimischen Erfolg haben kann, wächst. „Es geht darum, eine Balance zu schaffen zwischen den Bedürfnissen der Touristen und der Lebensqualität der Lübecker“, sagt Christian Martin Lukas, Chef des Lübeck und Travemünde Marketings (LTM). Qualität und Nachhaltigkeit, darum müsse es jetzt gehen.
Gerade für Travemünde wird dies wichtig. Denn dort steigern nicht nur die Priwall-Projekte die Bettenzahl immens. 2018 eröffneten das A-ja-Hotel (500 Betten) und das Resort High End mit 108 Ferienwohnungen. Und 2021 kommt noch das Design-Hotel Stilwerk mit 160 geplanten Betten hinzu.
Die Travepromenade wird zur maritimen Flaniermeile
Die Tourismus-Berater sind überzeugt, dass Travemünde den Boom verkraften wird. Denn man investiere ja auch in die Infrastruktur, etwa in den Umbau der Travepromenade zur maritimen Flaniermeile. Und davon würden Gäste wie Einheimische profitieren.
Wer die Auslagen in der Touristen-Information studiert, entdeckt zwei Ziele, die ökologischer kaum sein könnten: die Ostseestation mit Aquarien sowie die Naturwerkstatt, die Vogelkunde-Exkursionen und botanischen Führungen organisiert. Meer erleben geht auch nachhaltig.