Hamburg/Wyk. Personalnot in der Gastronomie: Im Fietis macht der Inhaber künftig alles selbst – und freut sich sogar schon darauf.

Das Schild im Schaufenster des Restaurants Fietis in bester Lage in Wyk auf Föhr ist nicht zu übersehen. „Neues Konzept ab dem 24. März“ steht dort in großen handschriftlichen Lettern. Darunter heißt es: „Kein Personal, keine Wohnungen, ich koche und serviere ab jetzt allein.“

Dreieinhalb Wochen vor der Wiedereröffnung sitzt Friedrich Walterscheid (48) mit seiner Frau Šárka (48) entspannt in der Lobby des Hotels Reichshof an der Kirchenallee. Ein Urlaub auf den Malediven liegt hinter dem Ehepaar, noch einmal Kraft tanken für diesen ungewöhnlichen Schritt. In den nächsten Tagen werden Handwerker einen Kochtresen mit Induktionsfeldern in das Restaurant einbauen. Hier wird Friedrich Walterscheid, den auf der Insel alle nur „Fieti“ nennen, Abend für Abend 16 Gäste verköstigen. Die Getränke nimmt sich jeder Gast aus einer Getränkebar selbst.

Das Fietis bekommt von Gästen exzellente Noten

Nun ist das Fietis mitnichten ein Imbiss. Die Gaststätte zählt seit 2007 zu den besten Restaurants der Nordseeinsel. Gäste geben dem Lokal im Internet fast ausnahmslos exzellente Noten. Und auch über mangelnden Zuspruch kann sich der erfahrene Koch nicht beklagen – im Gegenteil, in der Hauptsaison ist das Fietis fast immer ausgebucht. Der Grund für den Kurswechsel liegt allein im Personalmangel. „Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, noch qualifizierte Leute zu finden“, sagt Walterscheid. Aushilfen sprangen wiederholt kurzfristig wieder ab, Walterscheid vermutet auch fehlende Motivation für Dienste an Abenden und Wochenenden.

Nur dank seiner Familie konnte der „Koch aus Leidenschaft“ (Walterscheid über Walterscheid) die Engpässe auffangen: Seine Frau sprang nach ihren Diensten als selbstständige Kosmetikerin immer wieder ein, die Tochter, die in der Tourismus-Agentur in Wyk arbeitet, ebenfalls. Zudem arbeitete in der Hochsaison noch eine Nichte im Service. Doch die ist nun schwanger, möchte in ihrer tschechischen Heimat bleiben.

Die Tochter will beruflich in der Tourismusbranche durchstarten, Šárka Walterscheid hat in ihrem Kosmetiksalon mehr als genug zu tun. „Daher habe ich mich entschieden, alles allein zu machen“, sagt ihr Mann. Inspiriert hat ihn Dennis de Haan, der in seinem Lokal in Groningen auch Abend für Abend mit großem Erfolg das Restaurantsolo wagt.

5000 Stellen sind in der Gastronomie unbesetzt

Dieser Schritt mag in seiner Konsequenz radikal sein. Doch das Personalproblem teilt Walterscheid mit der gesamten Branche – auch in Hamburg. „Die Situation wird immer dramatischer“, klagt auch Franz Klein, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Hamburg. 5000 Stellen in der Gastronomie und Hotellerie seien nicht besetzt, es gebe Restaurants, die mangels Personals nur noch fünf Tage in der Woche öffnen oder unfreiwillig auf das Mittagsgeschäft verzichten würden.

Im Nord- und Ostseetourismus verschärft sich das Problem, weil es lukrativer ist, Zimmer an Feriengäste zu vermieten als an Kellner oder Köche mit eher schmalem Budget. „Es ist Druck auf dem Kessel“, bestätigt Raphael Ipsen, zweiter Vorsitzender des Dehoga Sylt. Deutschlands nördlichste Insel reagiert inzwischen mit einem massiven Bauprogramm, wo Einheimischen günstiger Wohnraum geboten werden soll – ohne Chance auf Zugriff für Spekulanten. Zudem zahlen laut Ipsen die meisten Gas­tronomen und Hoteliers übertariflich und übernehmen in vielen Fällen Kosten der Bahnkarte zum Festland.

Walterscheidt macht auch eine Sommelier-Ausbildung

Wer sich dagegen in der Saison auf Föhr im Gastgewerbe verdingt, braucht in aller Regel ein Zimmer – das tägliche Pendeln mit der Fähre ist kaum machbar. „Und bei uns zahlt man inzwischen für ein kleines Zimmer 500 Euro im Monat“, sagt Šárka Walterscheid. Das Ehepaar bereut, dass es nicht vor dem Immobilienrausch auf der Insel zwei Wohnungen fürs Personal gekauft hat.

Doch Friedrich Walterscheidt sieht das Ganze am Ende positiv, die nervige Suche nach Ersatz für kurzfristige Ausfälle im Service entfalle ebenso wie die lästige Personalbuchhaltung. „Ich kann mich wieder ganz auf das Kochen konzentrieren“, sagt er. Sein Ziel: „Ich will noch besser werden.“ Dafür investiert er jetzt in eine Sommelier-Ausbildung. Jedem Gast will er den passenden Tropfen zu seinen Drei- bis Fünf-Gänge-Überraschungsmenüs (zwischen 59 und 89 Euro) empfehlen können.

Bei den Reservierungen setzt Walterscheidt auf ein Online-System, das über die Homepage (www.fietis.com) ab sofort auch den Wunsch nach Fisch, Fleisch oder einer vegetarischen Variante registriert. Vom 24. März an wird er jeden Morgen mit seinem Elektro-Transportfahrrad die frische Ware einkaufen, die ihm der Großhändler nicht liefert, dann die Gerichte vorbereiten. Nachmittags wird er sich ab und an noch eine Runde Golf gönnen, bevor er sich seinen Gästen widmen wird. Einsam, sagt er, wird ihm beim Kochen schon nicht werden: „Ich bin auf Föhr aufgewachsen, mich kennen alle.“ Und für einen Schnack in seiner Küche sei immer Zeit.