Oststeinbek. Ein Investor hatte eine Stichstraße gekauft und wollte die Anwohner mit einem Durchfahrtsverbot zum Rückkauf zwingen.
Ein Investor eignet sich die Straße vor der eigenen Haustür an und bietet sie den Anwohnern zum Kauf an – was wie ein schlechter Scherz klingt, ist in Oststeinbek geschehen. Bis zu 10.000 Euro je Haushalt forderte der neue Eigentümer von den Anwohnern der Straße Zum Forellenbach. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung ließ er gar die Zufahrten zu den Häusern blockieren, um die Anrainer zum Kauf zu bewegen. Dieser Praxis hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) nun einen Riegel vorgeschoben.
„Der Eigentümer darf die Nutzung seines Weges durch die anliegenden Grundstückseigentümer nicht behindern, wenn deren Grundstücke im Übrigen keine direkte Anbindung an einen öffentlichen Weg haben“, urteilte der 11. Zivilsenat des OLG. Die Anwohner verfügten über ein sogenanntes ein Notwegerecht an dem Straßengrundstück. „Die ordnungsgemäße Benutzung ihres Grundstücks erfordert auch, dass Kraftfahrzeuge zum Haus gelangen können“, so die Schleswiger Richter. Kurz: Der Besitzer der Zufahrten darf diese weder blockieren noch Geld von den Anwohnern für deren Nutzung verlangen.
Immobilien: Grundstücksjäger kauften Stichstraßen
Um zu verstehen, wie es überhaupt zu der skurrilen Situation kommen konnte, ist es notwendig, die reichlich komplexe Vorgeschichte der Forellenbach-Siedlung zu kennen. Mitte der 1960er-Jahre befand sich dort, wo jetzt 16 Atriumhäuser stehen, noch ein Acker. Der Eigentümer, ein Bauer namens Soetbeer, veräußerte die Fläche als Bauland.
Erschlossen wurden die neuen Grundstücke über jene etwa 1,50 Meter breiten und 600 Meter langen Zufahrten, die jetzt Gegenstand des Streits sind. Jahrzehntelang glaubten die Hauseigentümer, diese seien öffentliche Straßen. Tatsächlich war die Gemeinde Oststeinbek aber nie Eigentümerin, einen Erschließungsvertrag für die neuen Grundstücke, der eigentlich bei der Ausweisung neuen Baulands vorgesehen ist, gibt es nicht. Warum, ist heute nicht mehr nachvollziehbar.
Jedenfalls verblieb die Zufahrt im Besitz des Landwirtes. 1992 haben Soetbeers Erben das Eigentum aufgegeben. Sie wollten nicht länger Steuern für das Straßengrundstück zahlen, mit dem sie nichts anfangen konnten. Die Zuwegungen wurden damit zu herrenlosem Land. Eine Tatsache, die sogenannte „Grundstücksjäger“ ausnutzen. Ihr Geschäftsmodell ist es, sich Grundstücke ohne Eigentümer anzueignen und diese anschließend gewinnbringend weiterzuverkaufen.
Investor wollte von jedem Anwohner 10.000 Euro
So war es auch in Oststeinbek. 2017 übernahm ein Unternehmen die Stichstraßen und bot sie im Internet zum Verkauf an. Gezahlt hat der neue Eigentümer dafür selbst keinen Cent. Ist ein Grundstück herrenlos geworden, genügt es, einige Formulare auszufüllen und sich beim Grundbuchamt eintragen zu lassen. 2019 ersteigerte ein Ehepaar die Zufahrten für 6000 Euro über ein Immobilienportal. Über den Immobilienmakler Wolfgang Dutiné aus der Region Frankfurt, der die im Hintergrund agierenden Eigentümer vertritt, wurden die Straßenabschnitte dann den Anliegern zum Kauf angeboten.
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Nach Angaben der Anwohner wollte der Makler von ihnen je 10.000 Euro haben. Als diese darauf nicht eingingen, ließ Dutiné die Wege zunächst mit Flatterband sperren und mit dem Schild „Privatweg“ versehen. Im April 2019 ließ der Makler schließlich per Kran Betonringe anliefern, um die Durchfahrt für Autos zu blockieren. Diese musste Dutiné allerdings kurze Zeit später wieder entfernen, nachdem mehrere Anwohner in einem Eilverfahren vor Gericht eine Unterlassungsverpflichtung erstritten hatten.
Eine Revision vor dem BGH ist nicht zugelassen
Anschließend reichten die Forellenbach-Anrainer Klage beim Landgericht Lübeck ein. Dieses gab ihnen in einem Zivilverfahren Recht. Doch die Eigentümer der Zufahrt legten Berufung gegen das Urteil ein und zogen vor das Oberlandesgericht in Schleswig. Dieses hat nun die Lübecker Entscheidung bestätigt. Die Eigentümer der Straße hatten argumentiert, dass sich die Kläger den Weg bis zum Jahre 2017 selbst hätten aneignen können. Diese Ansicht teilten die Schleswiger Richter jedoch nicht.
Dem Notwegerecht stehe auch nicht entgegen, dass die Anwohner auch über zwei andere Wege zu ihren Grundstücken gelangen könnten. „Der eine Weg kann von Kraftfahrzeugen nicht benutzt werden. Der andere Weg steht ebenfalls im Eigentum des Beklagten und seiner Frau und es ist nicht erkennbar, dass die Nutzung dieses Weges ihn weniger belasten würde“, so die Begründung des Gerichts. Eine Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, die theoretisch möglich wäre, hat das OLG nicht zugelassen.
„Eine solche ist nur dann vorgesehen, wenn es sich um einen Fall mit herausragender Bedeutung für die Fortschreibung der Rechtsauslegung handelt“, sagt Frauke Holmer, Sprecherin des Oberlandesgerichts. Dies habe der Senat bei dem vorliegenden Verfahren nicht als gegeben angesehen.
Makler will sich auf Anfrage nicht äußern
„Die einzige Möglichkeit, noch gegen die Entscheidung vorzugehen, wäre jetzt eine sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde“, erklärt sie. Dabei werde der BGH angerufen, um zu prüfen, ob die Nichtzulassung einer Revision durch das OLG gerechtfertigt war. Ob die Besitzer des Straßengrundstücks diesen Weg gehen werden, bleibt abzuwarten. Deren Makler Dutiné wollte sich auf Anfrage dieser Redaktion nicht zu dem Urteil und zum weiteren Vorgehen äußern.
Anwohner reagieren erleichtert auf die Entscheidung des Gerichts
Die Forellenbach-Anwohner reagieren erleichtert auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts. „Wir hoffen, dass jetzt bald wieder Ruhe in dieser Sache einkehrt“, sagt Dieter Schlenz. Er sieht sich und die anderen Anwohner in seinem Rechtsempfinden bestätigt. Der Streit habe die Betroffenen in den vergangenen Jahren viel Zeit und Geld gekostet. „Jetzt geht immerhin alles zu einem vernünftigen Ende“, so Schlenz. Er geht davon aus, dass die Eigentümer der Straße nun versuchen werden, diese schnell wieder loszuwerden. „Die haben ja nichts davon, wenn sie von uns kein Geld bekommen“, sagt er. „Es kostet sie nur Grund- und Regensteuer.“
Oststeinbeker wollen Anwalts- und Prozessgebühren von der Gemeinde zurück
Auch Helmut Seifert ist erleichtert über den Ausgang des Verfahrens. Der 75-Jährige hatte die Klage angestrengt. Er sagt jedoch: „Dieser Erfolg ist nur eine Etappe.“ Insgesamt habe der Rechtsstreit die Forellenbach-Anrainer rund 100.000 Euro an Anwalts- und Prozessgebühren gekostet. „Dieses Geld möchten wir von der Gemeinde zurückhaben“, sagt Seifert. Die Verwaltung habe 1969, vertreten durch den Vorsteher des damaligen Amtes Glinde, zugesagt, die Zufahrtsstraße in das öffentliche Netz zu übernehmen. Dies sei jedoch nicht geschehen.
„Obwohl der Zustand und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben haben, im Rathaus bekannt waren, wurde nichts unternommen“, kritisiert Seifert. Im Gegenteil: Bürgermeister Jürgen Hettwer habe die Anwohner zwar 2013 auf die Gefahr durch „Grundstücksjäger“ aufmerksam gemacht, es aber gleichzeitig abgelehnt, die Straße in Gemeindeeigentum zu überführen. Die Kommune habe die Kosten für eine dann notwendige Sanierung der Kanalisation nicht tragen wollen.
„Da sind Fehler gemacht worden, das können wir nicht auf sich beruhen lassen“, so Seifert. Er und andere Anwohner erwägen deshalb, die Gemeinde Oststeinbek auf Schadensersatz zu verklagen. „Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen“, so der 75-Jährige. Bürgermeister Jürgen Hettwer ist nach Angaben aus dem Rathaus zurzeit nicht im Dienst und war daher nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Fest steht: Das letzte Wort in der Oststeinbeker Straßen-Posse scheint noch nicht gesprochen.