Kiel. Zehn Monate vor der Landtagswahl gibt es keine großen politischen Projekte mehr. Der Zusammenhalt ist dahin.
Es ist ein merkwürdiger Sommer, der sich auf Schleswig-Holstein gelegt hat. Einerseits ist alles wie immer: Die Touristen sind da, die Politiker sind weg. In den Landtag an der Kieler Förde sind die Handwerker eingezogen, ein Sitzungsraum wird komplett erneuert. Debattiert wird dort in diesen Wochen nur über geeignetes Werkzeug und passende Materialien. Die Hotels, in denen die Landtagsabgeordneten zwischen den Sitzungstagen übernachten, sind verwaist. In der Kantine gibt es viele freie Plätze. Das kleine panierte Schweinerückensteak mit Röstkartoffeln, sonst sehr beliebt, wird nur in kleiner Zahl verkauft.
„Schläfrig-Holstein“ eben. Aber unter dieser Oberfläche aus Schläfrigkeit ist, anders als in anderen Jahren, eine leise Unruhe zu spüren. Die „Jamaika“-Koalition geht in die letzte Sommerpause vor der Landtagswahl im kommenden Mai. Und in dem nicht gerade von großen programmatischen Schnittmengen getragenen Bündnis aus CDU, Grünen und FDP beginnen die Absetzbewegungen.
In der letzten Landtagssitzung vor der Sommerpause beharkten sich einzelne Abgeordnete der Regierungsfraktion geradezu innig. Ohnehin steht der Landtag vor einem personellen Wechsel. Viele altgediente Parlamentarier haben angesichts des bevorstehenden Endes ihrer Amtszeit vielleicht das Gefühl, dass innerkoalitionäre Rücksichtnahmen doch eigentlich nur von geringerer Bedeutung seien.
CDU-Fraktionschef Tobias Koch in die Parade gefahren
CDU, FDP und Grüne haben sich offenbar nicht mehr allzu viel zu sagen. In der FDP-Fraktion heißt es, die Legislaturperiode sei eigentlich schon zu Ende. Es gebe derzeit keine Gesetzesvorhaben für die verbleibenden zehn Monate bis zur Landtagswahl, so die Liberalen, und es sei auch sehr unwahrscheinlich, dass sich dies ändern werden.
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Was bleibt also noch? Wahlkampf natürlich. Erst mit Blick auf die Bundestagswahl im September, dann mit Blick auf die Landtagswahl. Eka von Kalben, die grüne Fraktionsvorsitzende, die eigentlich stets rücksichtsvoll formuliert, fuhr im Juni im Landtag ihrem Koalitionskollegen Tobias Koch (CDU) deutlich in die Parade. Es ging um Klimaschutz, und Koch hatte in der Debatte festgestellt, dass es keinen weiteren Zubau von Windkraftanlagen geben dürfe. „Klare Absage“: So lautete die Formulierung des CDU-Fraktionschefs.
Gemeinsam vereinbarte Klimaschutzziele
Kalben erinnerte daraufhin an die gemeinsam vereinbarten Klimaschutzziele und das Szenario des Fraunhofer-Instituts, wonach bis 2050 das Fünffache der derzeit erzeugten Energiemenge aus erneuerbaren Quellen kommen müsse. „Das dazu, Herr Koch!“, sagte die Fraktionschefin – um dann in ihrem flammenden Appell für mehr Klimaschutz fortzufahren. Am Ende war der CDU-Fraktionschef noch einmal dran. „Ehrlich gesagt, Herr Koch, auch kleine Maßnahmen können beim Klimaschutz helfen, deswegen widerspreche ich ausdrücklich, was das Tempolimit angeht.“
Koch hatte zuvor eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen rundheraus abgelehnt. Das sei eine „symbolische Maßnahme“, hatte er gesagt, und das gelte auch für ein Verbot von Kurzstreckenflügen. Was bekanntermaßen ein Lieblingsprojekt der Grünen ist. Nun könnte man das alles auch für einen harmlosen Streit halten, der so in deutschen Landtagen häufig zu hören ist – selbst unter Koalitionären. Aber in Schleswig-Holstein funktioniert Politik ein wenig anders als anderswo.
Schärfere Töne klingenoft nach Pflichterfüllung
Die meisten Abgeordneten duzen sich, quer durch die Fraktionen gibt es einen respektvollen Umgang miteinander, bisweilen auch Freundschaften. Schärfere Töne klingen im Kieler Landtag oft nach Pflichterfüllung. Natürlich muss man es dem politischen Gegner immer mal wieder zeigen, schließlich laufen ja die Kameras. Und auf der Tribüne sitzen Journalisten, die die kraftvollsten Sätze mitschreiben.
Deshalb haben Spitzen gegen die andere Seite auch immer eine spielerische Seite. Unter den Fraktionsvorsitzenden einer Regierungskoalition sind solche Spitzen dennoch selten. Schließlich sollen Koch und Kalben Seite an Seite die Sacharbeit vorantreiben. Wenn dann die grüne Fraktionschefin dem Redebeitrag des schwarzen Fraktionschefs gewissermaßen Punkt für Punkt widerspricht, ist das schon ein Alarmsignal.
Neuerliche Verzögerungen
Aber man muss davon ausgehen, dass das nun so weitergeht. CDU und Grüne liegen beim Klimaschutz auch nach vier gemeinsamen Koalitionsjahren immer noch weit auseinander. Bei den Grünen hat man nicht vergessen, warum jahrelang keine weiteren Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein genehmigt werden konnten.
Nachdem im Jahr 2015 Klagen gegen die entsprechenden Regionalpläne des Landes vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) erfolgreich gewesen waren, konnten neue Windräder nur noch in Ausnahmefällen genehmigt werden. 2017 zogen die CDU und ihr Spitzenkandidat Daniel Günther dann mit der Forderung in den Wahlkampf, die Abstände zwischen der Wohnbebauung und den von einigen als störend empfundenen Anlagen müssten vergrößert werden – ein Anliegen der Windkraftgegner. Nach dem Wahlsieg der CDU mussten deshalb die fast fertigen, nun eigentlich rechtssicheren Regionalpläne erneut verändert werden. Neuerliche Verzögerungen waren die Folge.
Fünf Jahre des Stillstands
Tatsächlich dauerte es bis Anfang diesen Jahres, bis die Probleme, die aus dem OVG-Urteil und der CDU-Wahlkampfforderung entstanden, beseitigt waren. Seit Januar gibt es endlich wieder gültige Windenergie-Regionalpläne, seit Januar sind Windanlagenbauer nicht mehr auf selten erteilte Ausnahmegenehmigungen angewiesen.
Die fünf Jahre des Stillstands haben das Land ohne Zweifel zurückgeworfen. Und die Zukunft dieser für Schleswig-Holstein so wichtigen Wirtschaftsbranche ist weiter ungewiss. Elf Normenkontrollverfahren gegen die neuen Pläne liegen bereits vor. Die schleswig-holsteinischen Gerichte werden sich erneut mit den rechtlichen Grundlagen des Windanlagenbaus beschäftigen müssen.
Das Kabinett weilt im Sommerurlaub
Die wichtigste Ressource des Landes, der Wind, bleibt also weiter ein Spielball der unterschiedlichen Interessen. Bis 2025, so Schleswig-Holsteins Ziel, sollen zehn Gigawatt Windenergie erzeugt werden. Derzeit (30. Juni) sind es 6,8 Gigawatt, 2016 waren es 6,2. Um das Ziel zu erreichen, bräuchte es schon einen Boom.
Aber das ist ein Wahlkampfthema, und die Wahlkämpfer sind derzeit mit anderen Dingen beschäftigt. Es sind Sommerferien. Nicht einmal eine Pandemie kann etwas daran ändern, dass nun Urlaub gemacht wird. Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) hat sich für drei Wochen nach Dänemark verabschiedet.
Auch das Bildungsministerium ist derzeit führungslos
Umweltminister Jan Philipp Albrecht (grüne) plant eine Woche Fehmarn. Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP), der auch für Tourismus zuständig ist, folgt seinen Worten, wonach Schleswig-Holstein ein wunderschönes Land sei, und macht zu Hause Urlaub. Die Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) besucht Verwandte in Süddeutschland und fährt dann nach Italien weiter.
Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) bleibt zu Hause in Eckernförde. Tagesausflüge mit der Frau und den beiden Töchtern sind geplant. Sporadisch wird er auch in der Staatskanzlei ein paar Dinge erledigen. „Ich fahre ja gern in die Berge, aber diesmal fällt das weg“, sagte Günther. Auch das Bildungsministerium ist derzeit führungslos. Karin Prien (CDU), die Ministerin, macht Urlaub. Wo? Das sei „eine Privatangelegenheit“, sagt eine Ministeriumssprecherin.