Hamburg. Andreas Pfannenberg schlägt vor, den Neustart der Atomkraft zu prüfen. Der SPD in Hamburg empfiehlt er: „Koalitionsfrage offenlassen“

Nach dem Aus der Ampelkoalition geht der Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg (IVH), Andreas Pfannenberg, mit der Bundesregierung hart ins Gericht. Er wirft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Scheitern bei der Energiepolitik vor und fordert dazu auf, über eine Rückkehr zur Atomenergie nachzudenken.

Strom werde angesichts der Abschaltung aller fossilen Kraftwerke knapp. „Ich bin dafür, dass wir den Wiedereinstieg in die Atomenergie prüfen. Sie ist sicher und CO2-neutral. Sie wäre eine gute Transformationstechnologie, bis wir etwas Besseres haben, und alle um uns herum arbeiten damit“, sagte Pfannenberg dem Abendblatt in seinem ersten großen Interview als Industriechef.

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Pfannenberg führt den Industrieverband seit Juni, nachdem sein Vorgänger Matthias Boxberger die Hansestadt aus beruflichen Gründen verlassen hat. Er ist Eigentümer und Aufsichtsratschef des mittelständischen Herstellers von Signaltechnologie und Kühlgeräten Pfannenberg GmbH, mit neun Niederlassungen weltweit.

Jedes Gaskraftwerk, das Herr Habeck jetzt bauen wolle, brauche mindestens fünf Jahre, bis es fertig sei, sagt Pfannenberg. „Westinghouse kann, wie ich kürzlich las, die drei Atomkraftwerke, die wir als Letztes abgeschaltet haben, innerhalb von drei Jahren wieder ans Netz bringen. Wir sollten zumindest darüber nachdenken, die Atomenergie wieder zu nutzen.“

„In der Zeitung liest man nur vom Abbau bei den großen Konzernen: VW, Bosch, ThyssenKrupp. Aber wie viele kleine Unternehmen gibt es, die am Wirtschaftsstandort Deutschland keine Perspektive mehr sehen? Der Mittelstand stirbt leise.“

Andreas Pfannenberg
Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH)

Die Wirtschaft brauche endlich Klarheit über die künftige Energieversorgung in Deutschland und darüber, zu welchem Preis diese möglich sei. „Mein großer Wunsch wäre, dass wir diese Themen technologieoffen diskutieren, weil Technologieoffenheit Innovationen fördert. Wenn jemand apodiktisch vorschreibt, wir sollen Teile unseres Stroms nur noch mit grünem Wasserstoff herstellen, dann muss ich den Wasserstoff beschaffen, die Netze dafür bauen und die Abnehmer schaffen.“ Das zu synchronisieren, sei bei den Mengen, die die Wirtschaft benötige, fast unmöglich.

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„Wenn ich aber sage, es ist uns anfangs egal, ob es sich um grünen, grauen oder blauen Wasserstoff handelt, sieht die Sache ganz anders aus“, so Pfannenberg. Die Bundesregierung wolle aber von vorneherein nur grünen Wasserstoff. „Das hat zur Folge, dass alle Investitionen in die Technologie auf der Kippe stehen, weil keiner weiß, wie das funktionieren soll.“

Pfannenberg geht davon aus, dass die Deindustrialisierung Deutschlands schneller voranschreite, als gemeinhin angenommen wird. „In der Zeitung liest man nur vom Abbau bei den großen Konzernen: VW, Bosch, ThyssenKrupp. Aber wie viele kleine Unternehmen gibt es, die am Wirtschaftsstandort Deutschland keine Perspektive mehr sehen? Der Mittelstand stirbt leise.“

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Dabei seien aber 310 Milliarden Euro Nettoinvestitionen in den vergangenen drei Jahren ins Ausland geflossen. „Da kann man sich denken, wo die Arbeitsplätze entstehen. Hier nicht“, meint Pfannenberg. „Und was noch schlimmer ist: Es wird zu wenig in neue Anlagen investiert. Damit fahren wir auf Abschreibung. Das heißt im Klartext: Sobald hier die Produktionsstätten abgeschrieben sind, gehen die Firmen weg, wenn sich vorher keine Wende ergibt.“

„Kaum ein Mitgliedsunternehmen denkt derzeit an Investitionen. Das zeigt, dass hier etwas gefährlich schiefläuft.“

Andreas Pfannenberg
IVH-Vorsitzender

Pfannenberg ist nicht nur IVH-Vorsitzender, sondern auch Landesvorsitzender des Zentralverbands der Elektro- und Digitalindustrie, ein ganz wichtiger Zweig der deutschen Industrie und so etwas wie das Rückgrat der propagierten Energiewende. „Aber kaum ein Mitgliedsunternehmen denkt derzeit an Investitionen. Das zeigt, dass hier etwas gefährlich schiefläuft“, sagt der Chef von 700 Mitarbeitern, davon 330 in Hamburg.

Atomenergie als Transformationstechnologie

Zudem wirft Pfannenberg der Bundesregierung vor, sie würde Vorgaben der EU mit besonderem Übereifer umsetzen, was Deutschland im europäischen Wettbewerb ins Hintertreffen bringe. „Die EU beschließt Klimaneutralität 2050. Deutschland beschließt sie 2045, die Ersten fordern jetzt schon 2040. Die fünf Jahre kosten Milliardenausgaben zusätzlich, bringen fürs Klima allerdings gar nichts. Denn alles, was wir an Zertifikaten einsparen, wird anderswo ausgegeben.“

In Hamburg komme ein Versagen beim Bürokratieabbau hinzu. Die Hamburger Politik bemühe sich bei dem Thema. Immerhin habe der Senat vor wenigen Wochen sein 80-Punkte-Programm zum Bürokratieabbau vorgelegt. Die Frage sei aber, wie der Senat das in den Behörden durchsetzen wolle.

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Das hänge an der Einstellung und die sei vielfach zu lasch. „Will ich eine Ermöglichungspolitik oder eine Bedenkenpolitik?“ Bisher herrsche folgende Mentalität vor: „Wenn ich die Auswirkungen einer Sache nicht kenne, bin ich grundsätzlich dagegen.“ Hamburg brauche stattdessen, dass alle in Sachen Industriepolitik an einem Strang ziehen – wie 2011, als der Senat ein Wohnungsbauprogramm ausrief und alle mitzogen.“

Kernkraftwerk Krümmel
Das ehemalige Kernkraftwerk Krümmel an der Elbe. Sein Abriss ist genehmigt. © DPA Images | Daniel Reinhardt

Doch daran hapere es. „Bei einigen Hamburger Politikern dringen wir mit unseren Sorgen durch, bei anderen nicht. Wir sind mit dem Bürgermeister und mit der Wirtschaftssenatorin in guten Gesprächen“. Leider fehle beim Koalitionspartner oft die Bereitschaft, die Sorgen der Industrie auch wirklich ernst zu nehmen, kritisiert Pfannenberg die Grünen.

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Als Beispiel verweist der 67-Jährige auf den Streit um ein wichtiges Infrastrukturprojekt. „Die Art und Weise, wie der Fraktionsvorsitzende der Grünen beispielsweise derzeit gegen den Bau der Autobahn 26-Ost agiert, die ja im Koalitionsvertrag beschlossen wurde, ist nicht in Ordnung. Die Grünen müssen erst einmal ehrlich werden. Ich kann nicht einen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem ich für eine A26-Ost votiere, und hinterher torpediere ich das. So geht es aber bei vielen Projekten.“

Das zeuge nicht von Verlässlichkeit, gebe aber die Denkweise der Grünen wieder. „Sie sind erst einmal dagegen. Glauben die noch an Deutschland? Abgesehen von der Notwendigkeit der A26 zur Entlastung der Verkehre zeigt der Bau von Infrastruktur einen festen Glauben an Deutschland. Bedenkenpolitik nicht.“

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Seine Hauptforderung an die Parteien zur Bürgerschaftswahl sei: „Eine Stadt, die den größten zusammenhängenden Industrieraum in Deutschland hat, muss ihre Priorität auf die Wirtschaft legen. Egal, wer die Wahl gewinnt, wir brauchen einen entscheidenden Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Die rasante Deindustrialisierung muss gestoppt werden.“

Ob das mit allen Parteien gehe, da habe er seine Bedenken. „Wer auch immer die Wahl gewinnt, sollte sich genau überlegen, mit wem er eine Koalition eingeht. Konkret: Die SPD sollte die Koalitionsfrage bis zur Wahl offenhalten.“