Hamburg. Für 3,9 Millionen Arbeitnehmer: Am heutigen Montag wird – erstmals in Hamburg – über einen Pilotabschluss für Deutschland verhandelt.

  • IG Metall fordert in aktueller Tarifrunde ein Jahres-Plus von 7 Prozent.
  • Arbeitgeber um Nordmetall bieten bislang 3,6 Prozent mehr für 27 Monate.
  • Ergebnis im Hotel Grand Elysée erst in der tiefen Nacht erwartet

An diesem Montag kommt es in Hamburg zum Showdown in der aktuellen Tarifrunde in der deutschen Metall- und Elektroindustrie. Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus den Tarifbezirken Küste und Bayern peilen an, sich ab dem Nachmittag mit ihren jeweils 16-köpfigen Delegationen im Hotel Grand Elysée auf einen Pilotabschluss zu einigen, der dann von den fünf übrigen Tarifbezirken in Deutschland übernommen werden kann. Das hat es so noch nie gegeben.

Die Tandem-Gespräche, heißt es von den Verhandlungsteilnehmern gegenüber dem Abendblatt, dürften bis weit in die Nacht zum Dienstag andauern. Denn im Vorfeld liegen die beiden Parteien durchaus noch weit auseinander. Zudem werden auch in München weitere Vertreter der Tarifparteien sitzen, um sich via Teams mit den Delegationen im Norden abzustimmen.

IG Metall bittet zum deutschlandweiten Tarif-Showdown – und zwar in Hamburg

Eingeläutet wurden die Tarifverhandlungen, die nun beim mittlerweile vierten Treffen mit einer Lösung enden könnten, bereits Ende Juni. Damals hatte die Gewerkschaft IG Metall angekündigt, mit einer durchaus ambitionierten Forderung in die neue Tarifrunde gehen zu wollen. Der alte Tarifvertrag lief bis zum 30. September, nach Ende der Friedenspflicht Ende Oktober begannen die ersten Warnstreiks. Seitdem fielen laut Nordmetall (Stand Freitag) allein in Norddeutschland 61.000 Arbeitsstunden aus.

Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie
Beschäftigte verschiedener Unternehmen haben in den letzten Tagen mit Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie den Druck auf die Arbeitgeber erhöht. Können sich die Parteien heute in der Nacht einigen? © DPA Images | Hauke-Christian Dittrich

Konkret lautet die Kernforderung der Gewerkschaft: Das Gehalt soll, bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, um 7 Prozent in allen Entgeltgruppen steigen. Zudem sollen Auszubildende 170 Euro mehr im Monat erhalten. Für die Arbeitgeber eine „überzogene Forderung angesichts der dramatischen Lage in der Metall- und Elektroindustrie“, sagte Lena Ströbele, Tarifverhandlungsführerin des Arbeitgeberverbandes Nordmetall.

Nordmetall-Arbeitgeber kritisieren: Forderung der IG Metall sei „maßlos“

Darauf zu beharren, so Nordmetall, sei vor dem Hintergrund massiv geschrumpfter Auftragsbücher, stark steigender Kosten und anhaltend schlechter politischer Rahmenbedingungen sehr unklug. In Teilen der Industrie seien Personalreduzierungen bereits unumgänglich und sogar Werksschließungen wahrscheinlicher geworden, dieser Trend drohe „durch solche maßlosen Forderungen“ nur verstärkt zu werden.

Peilen Pilotabschluss an: Daniel Friedrich und Lena Ströbele
Daniel Friedrich (Bezirksleiter IG Metall Küste, l.) und Lena Ströbele (Tarifverhandlungsführerin Nordmetall) wollen am Montag in Hamburg einen Pilotabschluss für die Metall- und Elektroindustrie erreichen. © DPA Images | Izabela Mittwollen

Das Angebot der Arbeitgeberseite fällt entsprechend niedriger aus: ein Plus von 3,6 Prozent über 27 Monate, verbunden mit einer „einmaligen überproportionalen Anhebung der Azubivergütung, einer Modifikation der Freistellungstage und der dauerhaften Festschreibung und Ausweitung der automatischen Differenzierung“.

Für Daniel Friedrich, Verhandlungsführer der IG Metall Küste, und seinen bayerischen Kollegen Horst Ott dürfte dieses Angebot kaum ausreichen. Allerdings scheint auch der Gewerkschaftsseite klar zu sein, dass sich der Wind in Deutschland seit dem Sommer gedreht hat. „Die Erwartungen der Arbeitnehmer an diesen Tarifabschluss sind nach wie vor hoch. Es gab aber schon einfachere Zeiten, um solche Verhandlungen zu führen“, sagte Friedrich auf Abendblatt-Nachfrage.

IG Metall will jetzt mit Pilotabschluss für „Klarheit und Stabilität“ sorgen

Eine politische und gesamtwirtschaftliche Unsicherheit, die sich nach dem Aus der Ampelkoalition in Berlin und dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA noch verstärkt hat, sei natürlich kein guter Faktor, um alle Ziele zu erreichen, so Friedrich weiter. Er betont deshalb: „Was jetzt besonders wichtig ist: Die Tarifparteien sind gefordert, für Klarheit und Stabilität zu sorgen.“

Doch wie hoch sind die Chancen tatsächlich, am Montag in Hamburg zu einer tragfähigen Einigung zu kommen? Friedrich sagt: „Ich schätze die Chancen derzeit fifty-fifty ein. Vor ein paar Tagen waren es noch 20 zu 80.“

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Um zu verstehen, warum dem Tarifbezirk Küste bei den diesjährigen Verhandlungen eine zentrale Rolle zukommt, hilft ein Blick auf die Landkarte. Das Tarifgebiet umfasst viereinhalb Bundesländer, die von der polnischen über die dänische bis zur niederländischen Grenze reichen. Flächenländer sind ebenso vertreten wie Stadtstaaten, die Bandbreite der Unternehmen reicht vom Maschinenbau und der Elektrotechnik über die Luftfahrt, die Automobilindustrie und die Werften bis hin zur Wehrtechnik und zur Gesundheitstechnologie. „Damit sind wir ein gutes Spiegelbild der Metall- und Elektroindustrie und werden in den Verhandlungen sicherstellen, dass unsere Branche in ihrer ganzen Breite und Vielfalt berücksichtigt wird“, sagt Nordmetall-Verhandlungsführerin Ströbele.

Viel wichtiger jedoch scheint, dass man hier an der Küste auch mal Tacheles reden kann, ohne gleich alles Porzellan zu zerschlagen. „Wir pflegen seit Jahren einen inhaltlich klaren, wenn nötig auch harten und gleichzeitig von gegenseitigem Respekt geprägten Austausch auf Augenhöhe. Auch in schwierigen Zeiten waren wir immer im vertrauensvollen konstruktiven Dialog. Die IG Metall Küste ist zwar kein leichter Partner, und wir haben oft heftig gestritten, aber immer an der Sache und an einer fairen Lösung orientiert. Weil wir uns diese Kultur über Jahre schrittweise erarbeitet haben und weil es gerade in Krisenzeiten besonders auf Dialog-, Lösungsfähigkeit und Pragmatismus ankommt, ist die Wahl dieses Mal vielleicht auch auf uns gefallen.“

Premiere als Tandem: In Hamburg sitzen auch die Bayern mit am Tisch

Doch warum sitzen dann auch die Bayern in Hamburg mit am Tisch? „Jedes Tarifgebiet ist in der Lage, einen Pilotabschluss alleine auszuhandeln. Das gilt für die Bayern, die das schon bewiesen haben, genauso wie für uns, die wir dafür erstmals das Mandat erhalten haben, wie auch für alle anderen Verbände der Metall- und Elektroindustrie. Wir wollen es diesmal aber bewusst anders machen als sonst: Den Schulterschluss quer über das ganze Land hinweg, den es in der Krise braucht, wollen wir auch in der Tarifpolitik zeigen“, sagt Ströbele.

Die Idee zu den Tandemgesprächen kam von der Gewerkschaft, sagt diese zumindest. Sie hofft, dass ein Pilotabschluss nicht nur den 3,9 Millionen Beschäftigten in den tarifgebundenen Unternehmen zugutekommt, sondern auch ein Signal ist an Konzerne mit Haustarifverträgen, etwa die Volkswagen AG. Wo die „Schmerzgrenze“ bei den Verhandlungen liegt, verrät die IG Metall aber ebenso wenig wie die Arbeitgeberseite. Friedrich betont: „Falls wir uns nicht einigen können: Es gibt Vorbereitungen für weitere Eskalationen. Das wären dann auch 24-Stunden-Streiks.“

IG Metall warnt: Weitere Eskalationen nach Nichteinigung möglich

Das wäre dann gegenüber den bisherigen Arbeitsniederlegungen eine deutliche Verschärfung. Im Norden hatte es nach dem „Küstenaktionstag“ am Donnerstag mit 19.600 Teilnehmern in mehr als 100 norddeutschen Betrieben auch am Freitag wieder kurzzeitige Warnstreiks gegeben. Am Montag wird noch einmal (unter anderem bei Blohm + Voss) gestreikt und demonstriert, dann am Verhandlungsort Hamburg. Die zentrale Kundgebung findet um 11 Uhr nach einem Sternmarsch von drei Seiten aus am Fischmarkt statt, also nicht in unmittelbarer Umgebung des Hotels Elysée. Dort beginnt die heiße Phase des Tages dann um 16.30 Uhr.