Hamburg. Andreas Möller hat schon immer gewebt. Wie er damit Geld verdient und seine viel beachtete Erfindung Menschen in Afrika hilft.
Wenn Andreas Möller webt, sieht es ganz einfach aus: Routiniert schleudert er den sogenannten Schnellschützen mit dem Webgarn durch einen kleinen Ruck mit seiner rechten Hand von einer Seite zur anderen, während die linke Hand die Lade mit dem Webkamm vor- und zurückschwingen lässt. Begleitet wird er vom rhythmischen Klacken der vielen Pedale, die Möller nacheinander mit seinen Füßen tritt und damit die Kettfäden des Webstuhls öffnet. Während der Schütze immer wieder von rechts nach links und links nach rechts schnell und leise quietschend auf seiner Bahn gleitet, entsteht langsam der Stoff.
„Beim Weben muss man alle drei Dimensionen – hoch und runter, vor und zurück und hin und her – gleichzeitig ansteuern“, sagt der 58-Jährige. „Da bekommt man nichts geschenkt.“ Vor allem erfordert das viel Konzentration. Für den ausgebildeten Weber mittlerweile Routine.
Hamburger schafft mit seiner Erfindung Jobs in aller Welt
Möller webt nicht nur, sondern er baut auch die dafür nötigen Webstühle. Die Baupläne für sein eigens entwickeltes Modell „Flying 8“ verkauft Möller von seinem Studio in der Sternschanze aus in die ganze Welt. So hat er Weberinnen und Webern von Finnland bis Botswana und von Peru bis Ostindien schon ihre Arbeit erleichtert.
Denn was seine Webstühle so besonders macht: Sie sind kleiner, leichter, leiser, ergonomischer und günstiger als industriell gefertigte Modelle. Während ein vergleichbarer Webstuhl einer bekannten schwedischen Marke je nach Ausstattung rund 3900 Euro kostet, sieht das bei Andreas Möller anders aus. Die Materialkosten für seinen Bestseller, den „Flying 8“, schätzt er auf etwa 200 bis 300 Euro. Den Bauplan verkauft der 58-Jährige in seinem Onlineshop. Kostenpunkt: 145 Euro.
Dabei kann der Webstuhl aus einfachen Materialien gebaut werden: Dachlatten, Schnüren, Klebeband, Karton – was eben verfügbar ist. Mehrmals im Jahr reist Möller in Länder in Afrika, Asien oder Südamerika, um Studierenden, Auszubildenden und ausgebildeten Handwebern Kurse zu geben und seine Webstühle mit ihnen zu bauen. Er ermöglicht ihnen so, ihre Webarbeiten effizienter machen zu können. Oft werden diese Projekte von der Bundesregierung unterstützt und durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) finanziert.
Weber aus Hamburg schult Menschen auf der ganzen Welt
Sein erster Schüler, Esmael Jemal aus Äthiopien, hat durch Möller eine eigene „Flying 8“-Werkstatt aufgebaut. Die von Jemal handgewobenen Handtücher gibt es auch in der Sternschanze zu kaufen, „From the Hands of Ethiopia“ heißt das Label. Aber Möller will nicht der weiße Mann bleiben – der vermeintliche Retter, der in Entwicklungsländer reist und den Menschen vor Ort erklärt, wie sie leben und arbeiten sollen. „Ich will so schnell wie möglich abkömmlich sein“, sagt Möller. Deshalb versteht er seine Arbeit als „Train-the-trainer“-Programme.
Bei James Dkhar ist das geglückt: Er hat nach einem Kurs bei Möller in Shillong, Indien, ein Ausbildungszentrum aufgebaut und bietet jungen Menschen, die die zehnte Klasse nicht geschafft haben, mehrmonatige Trainings am „Flying 8“-Webstuhl an. Möller hofft, weitere Projekte wie diese mit aufbauen zu können. Ist er gerade nicht in der weiten Welt unterwegs, arbeitet er in seinem Studio in der Sternschanze.
„Weberei Hamburg“: Handgewebte Schals und Tücher in der Sternschanze
Hier verkauft er eigene Schals und Handtücher unter der Marke „Weberei Hamburg“. Und nicht nur Menschen in entfernten Ländern unterrichtet er im Weben: Seit Kurzem bietet er Kurse auf dem schleswig-holsteinischen Gut Müssen an. „Die Menschen sehnen sich nach handwerklicher Arbeit, nach einem sinnstiftenden Hobby“, sagt Möller. Ein einwöchiger Kurs kostet etwa 980 Euro, exklusive Unterkunft und Verpflegung. Günstigere Schnupperkurse gibt es ab 79 Euro.
Darüber hinaus ist der vielfach ausgezeichnete Weber in Museen und auf Veranstaltungen unterwegs. Für das Humboldt-Forum in Berlin hat er etwa einen riesigen Webstuhl gebaut, auf dem Besucherinnen und Besucher einen sogenannten „Weltteppich“ weben können. Auf der hochrangigen Grassimesse für Kunsthandwerk und Design in Leipzig stellt er immer wieder aus. Und auch im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe steht ein Webstuhl von Möller.
Andreas Möller: Hamburger ist Superstar der Webkunst
Der Hamburger Weber ist so etwas wie ein Superstar der Szene. Die männliche Taylor Swift der Textiltechnik. Webstühle aus einfachsten Mitteln zu bauen, ist aber auch ein rebellischer Akt. „Das ist voll Punk, was ich hier mache“, sagt Möller und lacht. Der Weber ist überzeugt: „Hätte es meinen Bauplan vor 300 Jahren schon gegeben, hätten Proletarier sich ganz anders selbst ermächtigt.“ Er sagt das, ohne anzugeben. Möller macht das alles nicht für Applaus, nicht für besonders viel Geld oder die Auszeichnungen – die er tatsächlich erhalten hat. Auf seine Erfindungen hat der Hamburger keine Patente angemeldet. Theoretisch kann jeder seine Modelle nachbauen.
Schon während seiner Ausbildung zum Weber, Ende der 80er-Jahre, hatte Möller die Idee, einen eigenen Webstuhl nach seinen Vorstellungen zu bauen. Tatsächlich tut er das erst seit 2009 regelmäßig. Dabei entzaubert er die Komplexität eines Webstuhls, macht ihn handelbar. „Das ist alles nur Geometrie und Physik auf dem Niveau der siebten Klasse“, sagt Möller, „und ein bisschen Hampelmann-Technologie.“
Webstuhl-Bauer aus Hamburg: „Bekannte Hersteller machen einen großen Bogen um mich“
Von industriell hergestellten Webstühlen hält der 58-Jährige nicht viel. Sie seien nicht gut an die Bedürfnisse der Menschen angepasst, die diese Stühle tatsächlich nutzen, sagt Möller. „Die bekannten Webstuhlfirmen machen einen großen Bogen um mich.“ Dabei hätte er einige Ideen, wie diese sich verbessern ließen. Also setzt er die einfach selbst in die Tat um.
Seine Faszination für das Handwerk begann schon vor der Lehre: Als er zwölf Jahre alt war, entdeckte Möller das Weben auf Pappe. Während andere in ihrer Schulzeit Fußball spielten, Musik machten oder Skateboard fuhren, war Andreas Möller immer „der, der webt“. Schon Jahre vor dem Abitur stand seine Berufswahl fest. Die Ausbildung zum Weber schloss er 1988 als erster Bundessieger mit Auszeichnung ab.
Hamburger hat seit seiner Kindheit eine Leidenschaft fürs Weben
Bis heute dauert die Leidenschaft an. Wenn Möller von den Feinheiten des Webprozesses, von seinen kleinen Erfolgen, die Regeln der Physik zu überlisten, erzählt, dann ziehen sich seine Augenlider wie von selbst sprunghaft nach oben, seine Stimme überschlägt sich. Beendet er einen Satz, lächelt er immer wieder selig. Als wäre der 12-jährige Junge – der, der immer webt – für einen Moment im Raum, um begeistert von seinen Erfindungen zu erzählen.
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Der 58-Jährige ist einer dieser glücklichen Menschen, die ihren Beruf nicht als Arbeit begreifen. „Ich fühle mich immer wieder wie auf dem Höhepunkt meines Lebens“, sagt Möller, „und es wird immer noch toller.“ Entgegen der Prophezeiungen, die ihm und seinen Mitauszubildenden während der Lehre gemacht wurden, kann der Weber von seiner Arbeit leben. In guten Jahren vor Corona hatte er einen Umsatz von 120.000 Euro im Jahr. In schlechten um die 80.000 Euro. Das Wichtigste für den 58-Jährigen: „Ich kann meine Familie von meiner Arbeit ernähren.“
Er weiß, dass er mit seinem Handwerk aber auch eine bestimmte Zielgruppe erreichen muss. Menschen, die wissen, was ein handgewobener Schal wert ist – und das auch bezahlen können. „Einen Schal für 200 Euro zu kaufen, ist ein kultureller Akt“, sagt Möller. Und irgendwie auch ein Akt der Umverteilung. Voll Punk eben.