Hamburg. Seit fast 50 Jahren gibt es das Tanzschuhhaus auf St. Pauli. Was die neue Inhaberin plant und warum Bräute gern bei ihr kaufen.
Martina Behrend, die ihren wirklichen Namen lieber für sich behält, geht kleinfüßig durchs Leben. „Mit Schuhgröße 36 kann man manchmal übrig gebliebene Einzelstücke finden und Schnäppchen machen“, sagt die 56-Jährige. Die meisten Geschäfte haben Schuhe in ihrer Größe aber nicht vorrätig. Beim Tanzschuhhaus in der Talstraße, das auch Über- und Untergrößen führt, will sie es probieren. Jeden zweiten Mittwoch geht Behrend mit ihrem Mann in einem Hamburger Verein tanzen. Dafür sollen jetzt neue Tanzschuhe her.
Zwischen Graffiti-beschmierten Hauswänden und einer Sozialeinrichtung der Heilsarmee verbirgt sich ein buchstäbliches Diamant-Fachgeschäft. Das Tanzschuhhaus in der Talstraße führt überwiegend die Modelle der gleichnamigen süddeutschen Tanzschuh-Manufaktur. Es tanzt sich eben am besten in extra dafür entwickelten Schuhen. Der größte Unterschied ist dabei die Sohle: Die meisten Schuhe für Gesellschaftstänze haben eine robuste Rauledersohle, auf ihr kann man sich auf dem Parkett gut drehen.
Rumba, Samba, Walzer: Hier gibt es in Hamburg die richtigen Schuhe
In weißen Regalen stapeln sich die schwarzen Kartons mit dem Marken-Logo. Rund 100 verschiedene Modelle hat Ladeninhaberin Yvonne Stüwe auf ihren 22 Quadratmetern Fläche. Sie hat sich auf Schuhe für Gesellschaftstanz spezialisiert: Rumba, Salsa, Walzer, Foxtrott. Kundinnen und Kunden finden hier neben Standard- und Lateinschuhen auch Jazzschuhe, Ballettschläppchen sowie Tanzsneaker für Hip-Hop, Zumba oder Linedance.
Für Behrend sollen es schlichte, schwarze Schuhe für den Standardtanz sein: vorn geschlossen, mit einem Riemchen am Sprungbein und einem flacheren Absatz. Stüwe schlägt mehrere Modelle vor, die ihre Kundin anprobiert. „Ich habe schon meine allerersten Tanzschuhe in diesem Geschäft gekauft“, erzählt Behrend, während sie eines der Modelle an ihrem Fuß im Spiegel begutachtet. Das sei etwa sechs Monate vor ihrer Hochzeit gewesen – im vergangenen Jahr hat sie ihre Silberhochzeit gefeiert. Das Tanzschuhhaus existiert schon viel länger.
Die Ladeninhaberin tanzte einst im Musical „Buddy Holly“
Seit 1975 gibt es in der Talstraße auf St. Pauli Tanzschuhe zu kaufen. Yvonne Stüwe ist die vierte Geschäftsführung – zuvor war sie zehn Jahre lang beim vorigen Inhaber Ingo Dick angestellt. Die gelernte Musical-Darstellerin, die einst bei „Buddy Holly“ in Hamburg tanzte, ist über ihre eigene Leidenschaft zum Verkauf von Tanzschuhen gekommen. Einen Job, den sie bis heute schätzt. „Mir macht die Beratung besonders viel Spaß“, sagt die 52-Jährige. „Das Schönste ist, wenn ich gemeinsam mit den Kunden das Richtige für ihre Bedürfnisse gefunden habe und sie den Laden mit einem Lächeln verlassen.“
Aber „das Richtige“ zu finden ist nicht immer leicht. Manche Kundinnen und Kunden kommen mit konkreten Vorstellungen in das Geschäft. Nicht immer decken sich Bedürfnisse und Angebot. „Tanzschuhe sind in erster Linie Funktionsschuhe“, sagt Stüwe. Natürlich sollen sie auch optisch gefallen, aber eine riesige Auswahl – etwa an Farben – gibt es nicht. Viel Schwarz findet sich in den Regalen, aber auch ein paar Varianten in Cremeweiß, Beige oder Silber. Wichtiger als modische Gesichtspunkte ist ohnehin der richtige Sitz.
Tanzschuhe: Auf den richtigen Sitz kommt es an
Bei Kundin Martina Behrend ist der noch nicht optimal. Stüwe steckt ihren kleinen Finger zwischen Ferse und Schuh. „Der Fuß muss hinten im Schuh fest von der Fersenkappe umschlossen sein“, sagt die Fachverkäuferin. Das ist wichtig, um genügend Halt zu haben. Allgemein sollten Tanzschuhe eng anliegen. „Gleichzeitig sollen sie nichts abquetschen.“ In diesem Fall rät sie zu einer halben Nummer kleiner. Das Modell hat sie nicht vorrätig, kann es aber schnell bestellen.
Tanzschuhhaus in der Talstraße
Behrend probiert einige andere Paare an, doch sie hat sich schon entschieden. „Was soll ich noch lang überlegen?“, sagt die 56-Jährige. „Ich vertraue Ihnen.“ Die Schuhe in der kleineren Größe lässt Stüwe direkt zur Kundin nach Hause schicken. „Und wenn der Schuh doch nicht passt, kommen sie einfach noch einmal her.“ Die Kundin hat Glück: Nach Renovierungsarbeiten feiert das Geschäft die Neueröffnung. Es gibt gerade Rabatt. 103,40 Euro kostet das Paar, Behrend zahlt mit Karte.
In Hamburg gibt es drei Fachgeschäfte für Tanzschuhe
Zu Stüwes Kundschaft zählen vor allem Menschen, die in die Tanzschulen der Stadt gehen. Jüngere Menschen kaufen häufig Tanzschuhe mit flacheren Absätzen. Kein komplett neues Phänomen für Stüwe. „Mädchen wachsen häufig früher als Jungs – und wollen nicht größer als ihr Tanzpartner sein.“ Allgemein beobachtet die Fachhändlerin einen Trend zu bequemeren Schuhen. Auch Bräute kommen deshalb in ihren Shop – sie kaufen gern Tanzschuhe, weil die meist gemütlicher als herkömmliche Brautschuhe sind.
Weit über Hamburgs Grenzen hinaus wird das Geschäft in der Szene empfohlen. Dabei ist das Tanzschuhhaus nicht das einzige Fachgeschäft in Hamburg: Demi Point in der ABC-Straße ist auf Ballett-Schuhe spezialisiert, führt für Gesellschaftstanz vor allem Schuhe der Marke Werner Kern. Zudem werden Tanzbegeisterte bei Studio L in Farmsen-Berne fündig. Der Altonaer Tanzschuhladen Dance Affairs hat eine große Auswahl an Tanzschuhen für verschiedene Tanzstile. Auch Tanzkleidung und Zubehör sowie eine Kollektion veganer Tanzschuhe gibt es dort zu kaufen.
Vegane Tanzschuhe – es muss nicht unbedingt eine Ledersohle sein
Veganerinnen und Veganer unter Tanzbegeisterten können aber auch bei Stüwe fündig werden: Sohle und Obermaterial von Tanzschuhen bestehen häufig aus Leder. Doch es gibt auch Modelle mit einer neuen, von Diamant entwickelten, Kunststoff-Sohle. „Vario Spin“ heißt die Neuheit, die während Corona auf den Markt kam. In einer schwierigen Zeit für Tanzschuhhändler.
„Getanzt wird immer, auch in Krisenzeiten“, sagt die Fachverkäuferin zwar. Doch in unsicheren Zeiten investierten Menschen nicht unbedingt in neue Tanzschuhe. Das hat sich auch in der Talstraße bemerkbar gemacht. Während der Pandemie musste das Geschäft monatelang schließen. Stüwe war damals noch angestellt. „Zum Glück“, sagt die 52-Jährige. Sie habe weiterhin Lohn bekommen.
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Glück hatte auch ihr ehemaliger Vorgesetzter, und zwar mit dem Vermieter: Der senkte wegen Corona die Miete. Die ehemalige Musical-Darstellerin konnte bei Übernahme den Mietvertrag ihres Vorgängers zu denselben Konditionen übernehmen. Doch nach Corona habe das Geschäft nur langsam wieder an Fahrt aufgenommen.
Rumba, Samba, Walzer: Fachgeschäft feiert 2025 Jubiläum
Über Umsatz und Gewinn will die Geschäftsführerin nicht viele Worte verlieren. Sie betreibe das Geschäft schließlich erst ein gutes Jahr allein. Die 52-Jährige blickt optimistisch in die Zukunft. Im kommenden Jahr feiert sie das 50-jährige Bestehen des Geschäfts in der Talstraße. „Ein halbes Jahrhundert: Das ist ein Grund zu feiern!“