Hamburg. Einige Bürger beklagen eine Verdreifachung, andere freuen sich über eine Senkung. Wie das zu erklären ist und wie man richtig rechnet.

Dass es so kommen würde, war Hamburgs Finanzsenator von Anfang an klar. Kaum hatte Andreas Dressel (SPD) Anfang Juli den Hebesatz für die neue Grundsteuer auf 975 Prozent festgelegt und damit die letzte Stellschraube der Reform bekannt gegeben, rechneten viele Bürger ihre künftige Belastung aus – und zu Wort meldeten sich daraufhin erwartungsgemäß nur diejenigen, die künftig mehr bezahlen müssen.

So war in Leserbriefen an das Abendblatt fast ausschließlich von Verdoppelung, Verdreifachung oder sogar Verfünffachung der Steuerlast die Rede, verbunden mit mehr oder weniger druckreifer Kritik am Finanzsenator: Dieser breche sein Versprechen, nicht mehr Grundsteuer als bisher einnehmen zu wollen, oder wolle schlicht den Haushalt auf Kosten der Steuerzahler sanieren, lauteten einige Vorwürfe. Von „Wucher“ und „Politikverdrossenheit“ war die Rede.

Neue Grundsteuer in Hamburg: Viele Immobilienbesitzer zahlen weniger

Dabei ging völlig unter, dass ein erheblicher Teil der Hamburger Immobilienbesitzer künftig weniger Grundsteuer zahlen wird – was auch logisch ist, da sich am Gesamtaufkommen von 510 Millionen Euro im Jahr nichts ändern soll: Was die einen mehr zahlen, zahlen die anderen weniger. Das soll genau jene Gerechtigkeit herstellen, die das Bundesverfassungsgericht dem alten Grundsteuersystem abgesprochen und daher eine Reform gefordert hat. Sie tritt Anfang 2025 in Kraft.

Grundsteuer: So rechnen Sie richtig

Seit der Senat den Hebesatz für die ab 2025 geltende Grundsteuer auf 975 Prozent festgelegt hat, kann jeder Immobilienbesitzer in Hamburg seine künftige Steuerbelastung selbst errechnen. So funktioniert das für Wohngebäude:

Schritt 1: Die Grundsteuerwerte ermitteln: Pro Quadratmeter Wohnfläche werden 50 Cent berechnet (bei einer 80-m2-Wohnung also 40 Euro) und pro Quadratmeter Grundstücksfläche 4 Cent (bei 500 Quadratmetern also 20 Euro). Das ergibt den „Grundsteuerwert Wohnfläche“ und den „Grundsteuerwert Grund und Boden“. Wer bereits einen „Bescheid über die Grundsteuerwerte“ erhalten hat, findet die zwei Zahlen dort.

Schritt 2: Den „Grundsteuerwert Wohnfläche“ mit 0,7 multiplizieren („Messzahl Wohnen“). Aus 40 Euro in unserem Beispiel werden also 28 Euro.

Schritt 3: Es gibt zwei Lagefaktoren: „gut“ (1,0, ändert also nichts) und „normal“ (0,75). Wer in „normaler Lage“ wohnt, darf das Ergebnis aus Schritt 1 mit 0,75 multiplizieren. Aus 28 Euro werden also 21 Euro. Wer seine Wohnlage nicht kennt, kann diese im Wohnlagenverzeichnis der Stadt Hamburg ablesen: https://mhmhamburg.de/files/download/mietrecht/wohnlagenverzeichnis.pdf

Schritt 4: Ist die Immobilie denkmalgeschützt? Nein = ändert nichts. Ja = erneut Faktor 0,75 anwenden. Aus 21 Euro werden also 15,75 Euro.

Schritt 5: Handelt es sich um eine Sozialwohnung? Nein: ändert nichts. Ja = erneut Faktor 0,75 anwenden. Aus 15,75 Euro werden dann 11,81 Euro.

Schritt 6: Das Ergebnis der Schritte 1-4 zum „Grundsteuerwert Grund und Boden“ hinzuaddieren – das ergibt den „Grundsteuermessbetrag“. Diesen mal Hebesatz 975 Prozent (oder einfach mal 9,75) = jährliche Steuerbelastung. Beispiel: 20 Euro plus 15,75 Euro = 35,75 Euro, multipliziert mit 9,75 = 348,56 Euro pro Jahr.

Wie eine Umfrage des Abendblatts unter Immobilienbesitzern in Hamburg ergab, stellt sich dieser Effekt durchaus ein. So berichtet ein Einfamilienhaus-Besitzer aus Niendorf, dass er für sein 1956 erbautes Haus mit 150 Quadratmeter Wohnfläche und 840 Quadratmeter Grundstück in „guter Wohnlage“ bisher 526 Euro Grundsteuer bezahlt habe, während künftig 839 Euro zu zahlen sind – eine Steigerung um knapp 60 Prozent.

Wohnungen in Eimsbüttel und Wellingsbüttel werden günstiger

Allerdings hat der Mann noch eine Zweizimmerwohnung in Eimsbüttel mit 60 Quadratmeter Wohnfläche und 18 Quadratmeter anteiliger Grundstücksfläche. Während er für diese 1958 erbaute Wohnung in „normaler“ Lage bisher knapp 270 Euro Grundsteuer bezahlt hatte, sind es künftig nur noch rund 160 Euro – eine Senkung um 40 Prozent.

Auch eine Frau aus Wellingsbüttel berichtet, dass ihre Eigentumswohnung, Baujahr 1992 und in „guter“ Wohnlage, künftig günstiger werde: Für 83 Quadratmeter Wohnfläche und eine anteilige Grundstücksfläche von 147 Quadratmeter habe sie bisher knapp 522 Euro im Jahr bezahlt, ab 2025 seien es nur noch 340 Euro – eine Ermäßigung um rund 35 Prozent.

Bundesverfassungsgericht hatte Reform der Grundsteuer gefordert

Der Besitzerin fiel auch eine Ungerechtigkeit des bisherigen Systems auf: Sie habe nämlich bislang mehr Grundsteuer bezahlt als Nachbarn und Freunde mit erheblich mehr Wohnraum und viel größeren Grundstücken. Genau solche Fälle waren es, die das Bundesverfassungsgericht 2018 veranlasst hatte, Bund und Länder zu einer Reform der Grundsteuer zu verdonnern.

Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) wird im Herbst wieder auf Tour durch die Stadtteile gehen, um den Bürgern die neue  Grundsteuer zu erklären.
Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) wird im Herbst wieder auf Tour durch die Stadtteile gehen, um den Bürgern die neue Grundsteuer zu erklären. © dpa | Christian Charisius

Das Grundproblem war, dass im bisherigen System die Werte der Immobilien eine tragende Rolle spielten, und diese Werte waren in Westdeutschland seit 1964 nicht mehr aktualisiert worden. Daher wurden ältere Häuser vergleichsweise niedrig besteuert, neuere dagegen höher, und das trotz ansonsten vergleichbarer Lage und Flächen.

Für ältere Immobilien wird tendenziell mehr Grundsteuer fällig

Das ist ein Grund, warum Besitzer älterer Immobilien sich tendenziell (aber nicht in jedem Fall!) auf eine höhere Grundsteuer einstellen sollten. Wie bei dem 1930 erbauten Endreihenhaus in Fuhlsbüttel, das trotz 105 Quadratmeter Wohnfläche und knapp 400 Quadratmeter Grundstück in „guter“ Lage bislang nur 189 Euro im Jahr kostete. Künftig wird die Grundsteuer bei 513 Euro liegen – das ist mehr als das 2,5-Fache und aus Sicht der Eigentümer ärgerlich. Einerseits.

Andererseits liegt die Steuerbelastung nun näher an vergleichbaren Immobilien: etwa an dem Endreihenhaus in Rönneburg, Baujahr 2007, für das trotz „normaler“ Lage bislang mit 612 Euro mehr als das Dreifache an Steuer fällig wurde, obwohl es mit 128 Quadratmetern Wohnfläche und 446 Quadratmetern Grundstück nur wenig größer ist. Dort wird künftig mit 501 Euro etwas weniger Grundsteuer fällig.

Vier- und Marschlande: Große Grundstücke treiben die Steuer hoch

Diese Effekte ergeben sich vor allem, weil Hamburg, anders als die meisten anderen Bundesländer, bei der neuen Grundsteuer die Immobilienwerte außen vor lässt. Stattdessen hat die Hansestadt gemeinsam mit Bayern und Niedersachsen ein Modell entwickelt, das vor allem auf den Wohn- und Grundstücksflächen basiert (wobei es in den drei Ländern leichte Unterschiede gibt). In Hamburg kommen noch einige ermäßigende Faktoren für Sozialwohnungen und Denkmalschutz hinzu sowie die Unterscheidung in „gute“ und „normale“ Lage.

Dieses Flächenmodell hat allerdings auch seine Tücken: So berichtet der Besitzer von zwei Wohnhäusern in den Vier- und Marschlanden, dass für sein 1950 errichtetes Elternhaus die Grundsteuer um 128 Prozent steige, womit er in der Höhe nicht gerechnet habe. Dass aber auch für das von ihm bewohnte, 2013 errichtete Einfamilienhaus die Steuer um 29 Prozent steige, habe ihn „regelrecht erschrocken“. Schließlich sollten doch neuere Häuser tendenziell eher günstiger werden.

Abendblatt-Leserin lobt Reform – obwohl sie das Dreifache bezahlt

Allerdings hat der Abendblatt-Leser, der selbst vom Fach ist, den Knackpunkt schnell entdeckt: Es ist das mehr als 4000 Quadratmeter große Grundstück, auf dem beide Häuser stehen. Zwar werden nur für die ersten rund 3000 Quadratmeter je 4 Cent angesetzt, während darüber der ermäßigte Satz von 2 Cent je Quadratmeter gilt. Diese Ermäßigung für das Grundstück setzt aber erst beim Zehnfachen der Wohnfläche an – aus Sicht des Besitzers unglücklich, da nur 1600 Quadratmeter bebaubar seien. Solche Probleme dürfte es bei den traditionell großen Grundstücken in den Vier- und Marschlanden, im Alten Land oder in den Walddörfern häufiger geben.

Eine andere Leserin beschreibt hingegen, dass sie künftig zwar mehr als das Dreifache an Grundsteuer zahlen müsse. Aber für ein Einzelhaus mit 120 Quadratmeter Wohnfläche und 800 Quadratmeter Garten seien 220 Euro im Jahr im Vergleich auch nicht viel gewesen. Bekannte würden für halb so große Wohnungen deutlich mehr bezahlen. „Da ist es doch kein Wunder, dass das Bundesverfassungsgericht eine Neuberechnung angemahnt hat“, so die Leserin. Sie finde die vom Senat vorgestellte Neuregelung „fair für alle Hamburger“.

42.400 Einsprüche gegen Hamburger Grundsteuer

Für wie viele der 420.000 Hamburger Immobilien künftig mehr oder weniger Grundsteuer fällig wird, kann die Finanzbehörde noch nicht sagen. Das werde „noch analysiert“, hieß es auf Abendblatt-Anfrage. Die Zahl der Einsprüche gegen die verschickten Grundsteuerwertbescheide (aus denen noch nicht die endgültige Grundsteuer hervorging) habe sich seit der Veröffentlichung des Hebesatzes aber „nicht signifikant verändert“. Aktuell gebe es rund 42.400 Einsprüche.

„Es wird in Einzelfällen zu einer erhöhten Steuerlast kommen, genauso werden andere Steuerpflichtige mit unserem Modell weniger Grundsteuer bezahlen“, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). „Solche Belastungsverschiebungen sind angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts leider unvermeidlich und treten zwangsläufig auch bei den anderen Grundsteuermodellen auf.“

Grundsteuer in Hamburg: Senat wollte extreme Ausschläge verhindern

Der Senat habe sich auch deswegen für sein „Wohnlagemodell“ entschieden, weil dabei extreme Ausschläge „verhältnismäßig selten auftreten und geringer ausfallen“, so Dressel. „Wir müssen uns auch immer wieder vor Augen führen, dass gerade auch die im Vergleich extrem niedrige Besteuerung vieler Objekte nach dem alten Modell mit Bewertungsstichtag 1964 der Grund war, warum das Bundesverfassungsgericht das alte Besteuerungssystem gekippt hat.“

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Der Finanzsenator wies zudem darauf hin, dass eine punktuelle Überprüfung einzelner Steuerfälle mit auffälligen Mehrbelastungen ergeben habe, dass häufig Missverständnisse bei der Steuererklärung vorlagen, etwa weil Flächen falsch angegeben waren. „Wenn also der Eindruck entstanden sein sollte, dass sich die Steuer aufgrund des Hebesatzes und der Messzahlen verdrei-, vervier- oder gar verfünffacht hat, empfiehlt es sich, noch mal im Grundsteuerwertbescheid die zugrunde gelegten Flächen zu prüfen.“

Und wer selbst rechne, müsse darauf achten, die unterschiedlichen Messzahlen richtig anzuwenden. „Sonst kann schnell irrtümlich der Eindruck entstehen, dass die Steuer viel höher ist als die, die durch die Grundsteuerbescheide ab März 2025 tatsächlich festgesetzt werden wird.“