Hamburg. Weniger Maschinen ausgeliefert als geplant. Airbus muss die Produktion des A320 anpassen – auch auf Finkenwerder.
Heiße Jahresendspurts sind die Airbus-Mitarbeiter gewohnt. Im Dezember läuft das Geschäft traditionell auf Hochtouren. Vertreter von Airlines geben sich im Werk auf Finkenwerder die Klinke in die Hand und rauschen mit ihrem frisch ausgelieferten Flugzeug gen Heimat oder zu dem Flughafen, von dem im Anschluss gleich der erste operative Einsatz mit Passagieren geflogen werden soll. Vor drei Jahren wechselten im letzten Kalendermonat stolze 138 Maschinen den Besitzer.
In diesem Dezember hätte das Niveau der Rekordmarke erneut erreicht werden müssen, um das Auslieferungsziel zu schaffen. Im November waren es nur 68 Jets, sodass in den ersten elf Monaten 565 Maschinen den Besitzer wechselten – dazu zählen auch zwei A350-Großraumflieger an die russische Fluglinie Aeroflot, die wegen der EU-Sanktionen nicht überführt werden dürfen. Nach einem Absenken des Ziels um 20 Stück Ende Juli wurde die Marke von rund 700 Jets angestrebt. Doch am Dienstagabend verabschiedete sich der DAX-Konzern auch vom revidierten Jahresziel. Es sei außer Reichweite.
Computerchips und Rohstoffe fehlen, hohe Energiekosten belasten
Als Begründung wird in der Mitteilung ein komplexes Umfeld genannt. Bereits Ende Oktober wies Vorstandschef Guillaume Faury (mal wieder) auf die Probleme mit dem Bezug von Vorprodukten hin. Die Situation der Zuliefererschiene sei schlecht, aber im Vergleich zum Jahresbeginn höre sie auf, sich weiter zu verschlechtern, sagte der Franzose damals.
Derzeit seien beispielsweise Computerchips ein Thema, sagte Airbus-Sprecher Daniel Werdung unserer Zeitung: „Denn deren Verfügbarkeit beeinflusst die Fertigstellung von mikroelektronischen Bauteilen, die wiederum für eine Vielzahl von Bordgeräten unerlässlich sind.“ Hinzu kämen Störungen bei chinesischen Teileherstellern aufgrund der anhaltenden Lockdowns wegen der strikten Corona-Politik Chinas. Auch steigende Inflation und Energiekosten sowie Rohstoffknappheit, die alle Unternehmen der Branche betreffe, belasten. Zudem gebe es einen Fachkräftemangel in der ganzen Branche, insbesondere seien auch kleinere Zulieferer betroffen. Kurzum: Die erhoffte Verbesserung der Lage ist nicht eingetreten.
A320-Produktion wird angepasst
Das spiegelt sich auch in der zweiten Botschaft wider, die Airbus bekannt gab. Man werde die Geschwindigkeit beim Hochlauf der A320-Produktion anpassen. Die Fertigung des Verkaufsschlagers war zu Beginn der Corona-Krise im Jahr 2020 um ein Drittel auf rund 40 Flieger im Monat reduziert worden. Nachdem sich die Luftfahrt wieder erholt, wird die Rate seit Sommer 2021 gesteigert. In diesem Herbst wurden etwa 50 Maschinen des Kurz- und Mittelstreckenjets pro Monat endmontiert.
Einst war für Mitte des nächsten Jahres die Rate 65 angepeilt. Ende Juli teilte man mit, dass dies erst Anfang 2024 erreicht werden solle, und nannte als Grund Lieferketten-Herausforderungen. Nun wird die Rate 65 sehr unkonkret für die Jahre 2023 und 2024 genannt. Im Klartext: Es wird weitere Verzögerungen geben. Ob diese einige Wochen oder Monate betragen, blieb offen. Auch für den weiteren Hochlauf auf die geplante Rate 75 wird der Zeitplan nun unkonkreter. Man halte an dem Ziel fest. Allerdings ist nun nicht mehr vom Jahr 2025 die Rede, sondern von der Mitte des Jahrzehnts.
Hamburg liefert 50 Prozent der produzierten Flieger aus
Hamburg ist das Zentrum für die Endmontage der A320-Familie und liefert rund die Hälfte aller produzierten Flieger. Gefragt ist vor allem ein Modell, das seinen Ursprung auf Finkenwerder hat. Am 15. Juni 1992 begann dort nicht nur die erste Endmontage eines kompletten Airbus-Jets an der Elbe. Es wurde mit der um sieben Meter auf 44,50 Meter verlängerten Version des Kurz- und Mittelstreckenflugzeugs sogar ein ganz neuer Typ gebaut: der A321. Bis heute sind mehr als 2600 Exemplare des Flugzeugs ausgeliefert worden, 3723 dieser Flieger stehen noch im dicken Auftragsbuch – mehr als die Hälfte aller Bestellungen des DAX-Konzerns.
Doch das macht Probleme. Weil viele Fluglinien das größte Mitglied der A320-Familie haben möchten, entwickele sich das Hamburger Werk zum Flaschenhals, wie es aus dem Konzernumfeld heißt. Trotz vier Endmontagelinien kommt es mit der Produktion nicht hinterher. Jahrzehntelang wurde der A321 ausschließlich an der Elbe gebaut. Mit der Eröffnung des ersten US-Werks kam 2015 Mobile (Alabama) hinzu. An den anderen A320-Fertigungslinien – zwei im französischen Toulouse und eine im chinesischen Tianjin – konnten nur Flieger bis zur Größe eines A320 zusammengeschraubt werden. Der Konzern reagierte darauf und macht nun alle Standorte A321-fähig.
Das Gewinnziel von 5,5 Milliarden Euro soll erreicht werden
In Toulouse wird dafür in einer früher für den A380 genutzten Halle eine neue Endmontagelinie (Final Assembly Line, FAL) errichtet. Dort sind die ersten Teile im September angekommen, der Zusammenbau läuft. Aber bis die erste Maschine fertig ist, werde bis zu einem Jahr statt normalerweise einige Wochen vergehen, sagte Airbus-Manager Alberto Gutiérrez dem Fachblatt „Aviation Week“. Im Rahmen der Zulassung der Anlage müsse man jeden einzelnen Schritt zertifizieren. „Wenn die neue FAL läuft, wird eine der beiden ,alten‘ Linien in Toulouse heruntergefahren, sodass es am Ende wieder zwei Linien in Toulouse gibt“, sagte Werdung.
In der Summe führen die Probleme dazu, dass das Auslieferungsziel von rund 700 Flugzeugen nicht mehr erreichbar ist. Allerdings werde man es auch „nicht wesentlich“ unterschreiten, so der Konzern. An wichtigen Finanzzielen wie dem operativen Gewinn von rund 5,5 Milliarden Euro halte man davon unberührt fest. Dies sei möglich, weil einige Risiken, die in der Prognose eingeplant waren, vermieden werden konnten, sagte Werdung: „Der starke US-Dollar hilft – und dass einige Ausgaben bei Forschung und Entwicklung niedriger ausgefallen sind.“
Airbus-Aktie rutscht um zwei Prozent ab
Die Aktie verlor am Mittwoch bis zum Nachmittag in einem leicht schwachen Marktumfeld knapp zwei Prozent auf 108,62 Euro. Grundsätzlich bleiben die Analysten aber optimistisch. Die US-Bank JPMorgan senkte das Kursziel zwar von 185 auf 170 Euro, beließ die Einschätzung aber auf „Übergewichten“. Analyst David Perry senkte wegen der geringeren Auslieferungen und des gedrosselten A320-Hochlaufs seine Gewinnschätzung für die Jahre 2023 bis 2025.
Die nun erwartete Kursdelle sei für langfristig orientierte Anleger eine Einstiegschance. Die Deutsche Bank hält an der Einstufung „Kaufen“ fest und sieht 130 statt 133 Euro als fairen Wert. Analyst Christophe Menard verwies auf seine ohnehin schon konservative Gewinneinschätzung und schrieb, das Weihnachtswunder sei ausgeblieben – mit wahrscheinlich mehr als 100 Auslieferungen droht den Mitarbeitern im Dezember trotzdem eine heißer Jahresendspurt