Hamburg. Der Hamburger Hafenunternehmer, Johann Killinger, treibt den Bau des Gas-Terminals voran – in seiner Heimatstadt wird noch geprüft.

Schmutzig grau ist das Wasser im Hafenbecken von Stade. Die „Coral Star“ hat gerade festgemacht und wartet auf ihre Entladung. Der unter niederländischer Flagge fahrende Chemietanker kommt alle paar Wochen vorbei und bringt Ethylen, das das benachbarte Chemieunternehmen Dow für seine Produktion benötigt. Sonst ist nicht viel los. Für den Hamburger Hafenunternehmer und Gesellschafter der Buss Gruppe, Johann Killinger, der da gerade ins Wasser schaut, zählt das Potenzial.

Killinger blickt in die Zukunft und sieht regen Schiffsverkehr an der Kaianlage, die von derzeit drei Schiffsliegeplätzen auf fünf erweitert werden soll. Und er sieht ein zweites Hafenbecken nur einen Kilometer weiter elbaufwärts. Dort sollen künftig zweimal die Woche riesige Tankschiffe den Rohstoff anliefern, nach dem Europa seit Kurzem giert: flüssiges Erdgas.

Gasversorgung: 13,3 Millionen Kubikmeter Flüssiggas in Stade

In Stade wird nämlich bis 2026 ein festes Terminal für LNG (Liquefied Natural Gas) entstehen. Eines der ersten in Deutschland. Große – 345 Meter lange – Gasfrachter sollen hier im regen Wechsel anlegen und das auf Minus 162 Grad heruntergekühlte und somit verflüssigte Gas in zwei große Tanks auf dem Gelände des benachbarten Chemieparks von Dow pumpen. Dort wird das tiefkalte Gas auch erwärmt und regasifiziert, sodass es ins allgemeine Erdgasnetz eingespeist werden kann. Hanseatic Energy Hub (HEH) heißt das Unternehmen, das Killinger zusammen mit Partnern ins Leben gerufen hat und dessen Geschäftsführer er ist. Vom HEH in Stade-Bützfleth aus sollen jährlich 13,3 Millionen Kubikmeter Gas zur Energieversorgung in Deutschland bereitgestellt werden – also etwa 14 Prozent des jährlichen Bedarfs.

In Hamburg war die Nutzung von LNG noch vor Kurzem verpönt. Lange Zeit machte die Politik in der Hansestadt einen großen Bogen um den Energieträger. Weil LNG zu einem großen Teil durch die Fracking-Methode aus dem Boden gepresst wird, wurde seine Nutzung insbesondere von der Umweltbehörde abgelehnt. Man sah darin wegen eines möglichen Austritts von Methangasen und dem hohen energetischen Aufwand für Verflüssigung und Transport ein klimaschädliches Produkt. Zudem fürchteten die Behörden die Gefahr eines Feuers, das bei einer unsachgemäßen Handhabung des entzündlichen Gases um sich greifen könnte. Nein, LNG wollte man in Hamburg nicht haben.

Stadt drängt auf schwimmende LNG-Terminals

Diese Ansicht hat sich innerhalb weniger Wochen um 180 Grad gedreht, und zwar seitdem Russland die Gaszufuhr nach Deutschland gedrosselt hat. Die Sorge davor, den Bürgern im kommenden Winter Heizung und Warmwasser abdrehen zu müssen, hat alle Bedenken gegen LNG beiseitegewischt. Jetzt prüft die Hansestadt mit Hochdruck die Installation eines provisorischen, schwimmenden LNG-Terminals anstelle des ehemaligen Kohlekraftwerks Moorburg, um die drohende Energieversorgungslücke nicht zu weit aufreißen zu lassen. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und der zuständige Umwelt- und Energiesenator, Jens Kerstan (Grüne) machen Druck. Sie wollen das LNG-Terminal unbedingt haben.

Doch die sicherheitstechnischen Bedenken sind immer noch vorhanden. Diese werden nun in einer Reihe von Gutachten abgearbeitet. In einer aktuellen Antwort des Senats auf eine Anfrage des Hafenexperten der CDU-Fraktion, Götz Wiese, heißt es, derzeit fänden „Vorprüfungen im Rahmen einer Machbarkeitsstudie“ statt. Insbesondere wird befürchtet, dass der Hafenbetrieb bei jeder Entladung eines LNG-Tankers ruhen müsste.

Stade schafft Zugang zu Weltgasmarkt

Stade kennt dieses Problem nicht: „Eine Störung der Schifffahrt auf der Elbe sowie unseres konventionellen Hafenbetriebs in Stade können wir ausschließen. Das zeigen die für die Genehmigung durchgeführten externen Gutachten und die nautische Simulation“, sagt Killinger. Bei ihm reifte bereits vor sechs Jahren die Idee, ein Import-Terminal für LNG zu errichten. „Angetrieben durch die Schifffahrt habe ich mich mit Gas als umweltfreundlichem Kraftstoff beschäftigt und dabei festgestellt, dass in Deutschland – anders als etwa in den USA – der Gasmarkt nicht richtig funktionierte. In diese Lücke stoßen wir mit unserem LNG-Terminal und schaffen in Stade einen Zugang zum Weltgasmarkt.“

Anfangs bestanden Unsicherheiten, nicht zuletzt, weil der politische Rückhalt für LNG ausblieb. „Wir haben bis hierhin einen ziemlich langen Atem gehabt“, sagt Killinger. „Einige Jahre waren die Rahmenbedingungen herausfordernd, aber wir sind drangeblieben. Es fehlten auch die politischen Signale, die einen breiteren Marktzugang ermöglichen würden. Diese Situation hat sich nun innerhalb
weniger Wochen komplett gedreht.“

Johnn Killinger hat große Pläne in Stade

Killinger investiert seit Längerem in Stade. Hier hatte sich die Buss Gruppe, deren Geschäft ursprünglich nur Umschlagsdienste im Hamburger Hafen waren, bereits vor zwölf Jahren ein weiteres Standbein aufgebaut. Auf einer Fläche von 35.000 Quadratmetern bietet die Firma Hafenumschlag für Stückgut und Container, aber auch Massen- und Gefahrgut an.

Doch das neue Projekt hat ganz andere Dimensionen: der Bau eines neuen Hafens zur Anlandung des LNG, die Erweiterung des bestehenden Hafenbeckens zum Betanken von Schiffen mit LNG, sowie der Bau zweier 60 Meter hoher und 90 Meter breiter Speichertanks und der Verdampfungsanlage verschlingen rund eine Milliarde Euro. Von Anfang an dabei war der amerikanische Chemiekonzern Dow, erst als Planer, seit einigen Monaten als fester Partner und Minderheitsgesellschafter des HEH. Außerdem gehören dem Terminalkonsortium der belgische Gasinfrastrukturbetreiber Fluxys (Belgien) und der Investor Partners Group aus der Schweiz an.

An diesen Standorten im Norden wären LNG-Terminals möglich

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  • Natürlich sind die vier Partner mit ihrer Idee nicht allein. Außer Stade plant auch Brunsbüttel den Bau eines festen LNG-Terminals an Land. Für schwimmende Terminals interessieren sich neben Hamburg auch Lubmin und Rostock in Mecklenburg-Vorpommern, sowie Wilhelms­haven, wo die Anlage bereits gebaut wird. Konkurrenzdruck hat die HEH aber nicht. Selbst wenn alle Anlagen realisiert werden, könnte man damit nur einen Teil des russischen Importgases ersetzen.

    Laut Killinger ist Stade aber schon weit: „Die Genehmigungsverfahren für Terminal und Hafen schreiten voran. Mit der Freistellung von der Netzregulierung können wir jetzt langfristige Abnahmeverträge schließen. Bis 29. Juli können Kunden verbindliche Buchungsanfragen für Terminalkapazitäten an uns richten.“ Obgleich der Anschluss ans öffentliche Gasnetz anders als in Hamburg zehn Kilometer entfernt liegt und erst gebaut werden muss, sieht Killinger einen anderen Vorteil für Stade, und zwar durch die enge Partnerschaft mit Dow: Normalerweise benötigen LNG-Terminals ein Drittel ihrer Energie schon, um das tiefkalte Flüssiggas wieder zu verdampfen. In Stade ist geplant, für die Regasifizierung die indus­trielle Abwärme von Dow zu nutzen. Dazu wird das erhitzte Kühlwasser aus dem Chemiepark in das benachbarte Terminal umgeleitet. Dieses wird dadurch effizienter und spart CO2. Es werde das erste Zero-Emission-Terminal, so Killinger.

    LNG ist aber nur eine Brückentechnologie für die Energiewende. Zwar entsteht bei der Verbrennung weniger CO2, neutral ist es aber nicht. Deshalb ist das HEH-Terminal so konzipiert, dass es auch Bio-LNG und synthetische Kraftstoffe, und später wasserstoffbasierte Energieträger, wie Ammoniak, aufnehmen kann. Das bedeute auch für die Metropolregion Hamburg, die ja ein Wasserstoffcluster aufbauen wolle, einen Zugewinn, sagt Killinger.