Hamburg. Spediteure, Hafenfirmen und Händler im Hamburger Süden beklagen die vielen Baustellen. Brandbrief an Bürgermeister.
Die anhaltenden Verkehrsstaus im Süden Hamburgs werden jetzt ein Fall fürs Rathaus. Mehrere Verbände haben sich in einem Brandbrief an Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) gewandt und um eine umgehende Lösung der Stauproblematik gebeten.
„Wir wenden uns heute mit diesem Schreiben an Sie, da die aktuelle Verkehrssituation in Hamburgs Süden einen Zustand erreicht hat, der für die Hafen- und Logistikwirtschaft nicht länger hinnehmbar ist“, heißt es in dem Brief, der von den Vorsitzenden des Vereins Hamburger Spediteure, Axel Plaß, sowie des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, Gunther Bonz und des Verbands Straßengüterverkehr und Logistik, Bianca Poppe, unterzeichnet ist.
Kompletter Stillstand in den Hauptverkehrszeiten
Seit dem 5. Juni sei festzustellen, dass der Straßenverkehr und damit auch der Güterverkehr auf den Autobahnen, Bundes- und Hauptverkehrsstraßen in Hamburg in den Hauptverkehrszeiten zum kompletten Stillstand komme, bilanzieren die Verbandschefs.
Sie erheben Vorwürfe gegen die Behörde des Verkehrssenators Anjes Tjarks (Grüne): „Wir haben bedauerlicherweise den Eindruck gewonnen, dass sich die Verkehrsbehörde leider nicht der Tragweite dieser Situation vollumfänglich bewusst ist.“ Alle wichtigen Nord-Süd-Achsen – die Autobahnen A 7, A 1 und A 252/253 – seien gleichzeitig eingeschränkt. Das zeige eine „momentane Gleichgültigkeit“ der Baustellenkoordination, beklagen die Verbandschefs.
Elf Baustellen gleichzeitig im Hamburger Hafen
Derzeit gebe es gleichzeitig elf offizielle Baustellen im Hamburger Hafen und bei Zufahrtsstraßen. Der Hafen sei nur über eine Strecke uneingeschränkt erreichbar. Für Hamburg als Wirtschaftsmetropole sei der Stillstand im Straßenverkehr kein positives Aushängeschild.
Da die im Stau stehenden Lkw für ihre Transportfahrten wesentlich mehr Zeit benötigten, müssten zur Aufrechterhaltung des Verkehrs zusätzliche Fahrzeuge eingesetzt werden, was für die bereits durch die Corona-Pandemie gebeutelten Unternehmen enorme Zusatzkosten bedeute. „Die derzeitige Situation ist für die Logistikunternehmen nicht länger wirtschaftlich tragbar.“ Um einen dauerhaften Schaden vom Wirtschaftsstandort abzuwenden, müsse die Problematik umgehend gelöst werden, heißt es in dem Schreiben abschließend.
Senat sucht nach Lösungen
Eine Antwort des Bürgermeisters steht noch aus. Sein Sprecher erklärte aber, der Senat suche nach Lösungen, wie die Verkehrssituation dauerhaft verbessert werden kann, um Schaden vom Wirtschafts- und Individualverkehr abzuwenden.
Die Hamburger Polizei bereitet sich unterdessen darauf vor, bis zum Monatsende weiterhin auf besonders belasteten Streckenabschnitten per Hand den Verkehr zu regeln, weil Ampelschaltungen an die aktuelle Situation nicht angepasst werden können. „Damit dauert dieser Einsatz gute drei Wochen“, sagt Thomas Jungfer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). „Das hat es nach meinem Kenntnisstand noch nie in Hamburg gegeben.“
Zwischen eineinhalb und vier Stunden für neun Kilometer
Markus Zoder kann es kaum fassen. Täglich schickt der Spediteur aus Rothenburgsort je nach Ladungsaufkommen mindestens acht Lkw zu einem Kunden nach Wilhelmsburg. Sie bringen Exportladung und holen Importware ab. Für die neun Kilometer lange Strecke von der Großmannstraße am Billekanal zur Straße „Bei der Wollkämmerei“ benötigten die Fahrzeuge früher maximal 30 Minuten. Derzeit sind es aber eineinhalb bis vier Stunden.
„Grund sind die gleichzeitigen Baustellen auf der Autobahn A 255 und der alten Reichsstraße sowie auf den kleineren Straßen in Wilhelmsburg“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Heinrich Zoder Spedition. Die dadurch ausgelösten Staus führen zusammengerechnet zu einer Standzeit der Fahrzeuge von zehn bis 20 Stunden pro Tag – nur für diese Strecke, sagt Zoder empört.
Elf Baustellen im Hamburger Hafen
Um die Versorgung des Kunden aufrecht zu erhalten, musste er zusätzliche Fahrzeuge einsetzen. Das führt zu noch mehr Verkehr auf den Straßen und mehr Kosten für das Unternehmen: „Die Alternative wäre, ich stampfe andere Fahraufträge ein und ziehe die Fahrer ab. Im ersten Fall hätte ich Umsatzverlust, so sind es zusätzliche Kosten“, sagt Zoder. Er spricht von 17.000 Euro pro Monat. „So schlimm waren die Staus noch nie.“
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Was der Spediteur derzeit erlebt, ist keine Ausnahme. Elf offizielle Baustellen im Hamburger Hafen und auf den Zufahrtsstraßen, wie die Vollsperrung der B4/Winsener Straße, führen seit der ersten Juniwoche zu massiven Behinderungen. Der Straßenverkehr und damit auch der Güterverkehr auf den Autobahnen, Bundes- und Hauptverkehrsstraßen in Hamburgs Süden kommt in den Hauptverkehrszeiten zum Stillstand.
Brandbrief an Bürgermeister Peter Tschentscher
In dem Brandbrief an Bürgermeister Peter Tschentscher heißt es: Die aktuelle Verkehrssituation in Hamburgs Süden habe einen Zustand erreicht, der für die Hafen- und Logistikwirtschaft nicht länger hinnehmbar sei, heißt es in dem Schreiben, das dem Abendblatt exklusiv vorliegt. Die Wirtschaftsverbände bitten den Bürgermeister darin, die Stauproblematik umgehend zu lösen, „um dauerhaften Schaden vom Wirtschaftsstandort abzuwenden“.
Der Sprecher des Senats bestätigte den Eingang des Schreibens und sagte, dass das Problem erkannt sei. „Der Senat sucht nach Lösungen, wie die Verkehrssituation dauerhaft verbessert werden kann, um Schaden vom Wirtschafts- und Individualverkehr abzuwenden.“ Hierzu bemühe sich die Verkehrsbehörde um tragfähige Möglichkeiten und stehe deshalb im Austausch mit dem Bund der die Bundesstraßen in Stand halten müsse.
Wirtschaftsverein für den Hamburger Süden übt Kritik
Der Wirtschaftsverein für den Hamburger Süden übt dennoch Kritik. „Man fragt sich, welchen Sinn drei Verkehrskoordinatoren machen, wenn man das Endergebnis sieht“, sagt Franziska Wedemann, Vorsitzende des Vereins. Das Kind sei aber in den Brunnen gefallen. „Wir müssen daraus Lehren für die Zukunft ziehen“, sagt Wedemann. Anfang kommenden Jahres starte mit dem Umbau des Harburger Busbahnhofs und der Hannoverschen Straße die nächste große Baumaßnahme im Hamburger Süden.
„Diese Baustelle darf auf keinen Fall begonnen werden, bevor nicht alle Baumaßnahmen im Bereich der Neuländer Straße abgeschlossen sind. Zum Jahresanfang sind keine Ferien, und es ist Winter, was bedeutet, dass bestimmt nicht so viele Menschen auf das Fahrrad umsteigen, wie es Herr Tjarks gern hätte. Wenn beide Baustellen gleichzeitig eingerichtet würden, käme es noch schlimmer, als es jetzt schon ist.“
Verstärkte Einsätze der Polizei
Dass Lehren gezogen werden, mag Jörn Sörensen, Geschäftsführer vom Handelshof an der Nartenstraße im Harburger Binnenhafen, nicht glauben. „Wir haben durch die Baumaßnahmen hohe Verluste“, sagt er. Die Kunden kämen nicht mehr, weil sie die Verkehrssituation abschrecke. „Ich erinnere mich noch an eine besonders schlimme Verkehrssituation 2018. Ich selbst saß mit im Ausschuss der Handelskammer, der sich mit dem Thema beschäftigte. Damals wurde Besserung gelobt und eine bessere Koordination der Baustellen angekündigt. Ich kann nicht erkennen, dass diese Versprechen eingehalten wurden.“
Mit verstärkten Einsätzen geht unterdessen die Polizei gegen die Staus an. Thomas Jungfer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, nennt den Vorgang „absolut ungewöhnlich“. Die Beamten ersetzten nicht nur seit Wochen die Ampeln, die auf die durch die vielen Baustellen kanalisierten Verkehrsströme nicht eingestellt sind. „Die Kollegen halten auch die Kreuzungen frei“, so Jungfer.
Die A 1 ist seit Dienstag immerhin wieder durchgängig befahrbar, was für eine Entlastung gesorgt hat. Und auch die Vollsperrung der Wilhelmsburger Reichsstraße wird noch in dieser Woche aufgehoben. Dafür wird Anfang kommender Woche die Kattwykbrücke für dringende Wartungsarbeiten gesperrt. Irgendwo steht Hamburgs Wirtschaftsverkehr immer im Stau.