Hamburg. Dorsch und Hering dürfen praktisch nicht mehr gefangen werden. Auch für Touristen und Restaurants hat dies gravierende Folgen.

Für Peter Dietze ist die Fischerei sein Leben. Der 34-Jährige ist Tag und Nacht auf der Ostsee unterwegs. Dorsch, Scholle oder Hering sichern seinen Lebensunterhalt. Seine Frau verkauft den frischen Fisch, auch zwei Kinder müssen aus den Einnahmen des Familienbetriebs versorgt werden. Doch nun steht das Unternehmen in Timmendorfer Strand vor einer existenzbedrohenden Krise: Denn Fischer dürfen in der westlichen Ostsee 2022 praktisch keinen Dorsch mehr und Hering nur noch in Ausnahmen gezielt fangen. Diesen Beschluss hat die EU gefasst und er hat weitreichende Folgen für Dietze und seine Kollegen, aber auch für Touristen und Restaurants.

Denn Dorsch und Hering sind in der Ostsee für die deutsche Fischerei die bisher wichtigsten Arten. „Davon sind alle Betriebe in unserer Region betroffen“, sagt Benjamin Schmöde, stellvertretender Vorsitzender des Landesfischereiverbands Schleswig-Holstein über die neuen Regeln für die 65 organisierten Berufsfischer. Der Dorsch sei der „Brotfisch“ für die Branche, das wichtigste Produkt, denn die Kunden kauften lieber den gut zu filetierenden Dorsch als ganze Fische, wie etwa Schollen.

Fangverbot Ostsee: Fischer fürchten um ihre Existenz

Aktuelle Zahlen verdeutlichen die immensen Einschnitte: Für Deutschland bleiben nach dem EU-Beschluss 435 Tonnen Hering und 104 Tonnen Dorsch, der praktisch nur noch als Beifang erlaubt ist. Gegenüber dem vergangenen Jahr bedeuten die Beschlüsse beim Hering eine Reduzierung der Fangquote um 50 Prozent und beim Dorsch um 88 Prozent. Die Kieler Umweltstaatssekretärin Doris Kuhnt betont, die Branche stehe „vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte“. Noch drastischer formuliert es der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner: „Die deutsche Ostseefischerei steht vor dem Aus.“

Auch Peter Dietze sieht nun keine andere Lösung, als seinen Betrieb umzustellen. „Zwei Schiffe versuche ich gerade zu verkaufen“, sagt der Ostholsteiner. Doch die zu erzielenden Preise seien im Keller. Als Notnagel setzt er zudem auf die Neugier der Gäste in Niendorf, seinem Heimathafen. „Ich möchte Fahrten für Touristen anbieten“, sagt Dietze. Doch auch bei den Ausflugstouren seien noch einige Hürden zu überwinden. „Dafür braucht man extra Genehmigungen, und es ist schwierig, Personal zu finden.“ Doch eine Alternative sieht Dietze nicht.

„Die Quote wird so schnell nicht wieder gelockert“

Er ist überzeugt, dass sich die Situation für die Fischer kaum bessern wird. „Die Quote wird so schnell nicht wieder gelockert“, sagt der Niendorfer mit Blick auf die EU. Die Fischer sehen schwarz, aber auch die Wissenschaft ist pessimistisch. Es sei fraglich, ob sich der Dorsch überhaupt erhole, sagte Martin Schmidt, Sprecher des Landesamtes für Landwirtschaft in Schleswig-Holstein. 2016 habe sich der Bestand zuletzt gut erholt. Nun würden die Tiere schon gefangen, sobald sie geschlechtsreif seien.

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Dass immer weniger dieser Raubfische durch die Meere ziehen, bestätigt auch Dietze. Er habe bereits in den vergangenen Monaten mehr und mehr auf Plattfische wie Schollen umgestellt, dadurch aber einen deutlichen Umsatzrückgang hinnehmen müssen. Kritik kommt aus der Branche angesichts dieser Lage auch daran, dass die neuen EU-Regeln zwar in Deutschland nun kein gezieltes Fischen des Dorsches mehr zulassen, sehr wohl aber weiter im Norden.

Auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner wirft der EU-Kommission vor, sie habe unterschiedliche Maßstäbe an die Regionen Ostsee und Kattegat/Skagerrak angelegt. Die heimischen Fischer müssten drastische Einschnitte hinnehmen, während weiter nördlich der Bestand abgefischt werde. Um den Fischern zu helfen, kündigte Klöckner an, sich für eine finanzielle Unterstützung einzusetzen. Der Bund denkt dabei an weitere „Abwrack“-Maßnahmen.

Fangverbot hat auch Folgen für Touristen

„Uns bleibt nicht mehr lange, um einen vollständigen Kollaps des Ökosystems in der Ostsee zu verhindern“, betont der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt aus Sicht des Umweltschutzes. Es sei ein Schritt in die richtige Richtung gemacht worden. Neben zu hohen Fangmengen in den vergangenen Jahren habe der Klimawandel einen negativen Einfluss auf die Population, ergänzt die Organisation MSC, die sich für eine nachhaltige Fischerei einsetzt. Eine weitere Folge der zurückgehenden Bestände dürfte sogar für die Badegäste spürbar werden. Die Quallen könnten sich stark vermehren, wenn der Dorsch als Jäger ausfällt.

Für Fischer, aber auch für Touristen hat der Rückgang des Bestandes in jedem Fall weitreichende Folgen. „Das maritime Treiben im Fischereihafen mit den Verkaufsbuden für Fisch und Fischbrötchen ist ein touristischer Anziehungspunkt für unsere Gäste“, sagt Doris Schütz von der Lübeck Marketing GmbH über die Lage in Travemünde. „Wir hoffen, dass das auch in Zukunft so bleibt.“ Auch wenn ab 2022 die Berufsfischerin der Lübecker Bucht weitestgehend ihren „Brotfisch“ verlören.

Auch die Gäste, die bisher an den Ständen und bei Kuttern im Travemünder Hafen einkauften, würden die Folgen spüren, so Schütz. „Die Verbraucher müssen sich künftig umstellen und auf Fisch, dessen Bestand nicht gefährdet ist, wie Plattfisch, ausweichen, um unbedenklich genießen zu können.“ Außerdem wirke sich das rare Angebot auf die Preise aus: „Es ist damit zu rechnen, dass die Preise in Geschäften und auf den Speisekarten für Hering und Dorsch, wenn überhaupt verfügbar, stark anziehen werden.“