Hamburg. Nur wenige Firmen rechnen bundesweit mit einer Rückkehr auf altes Niveau. Auch Hamburger Unternehmen und der Flughafen sind skeptisch.

Die Todesfälle erreichen Höchststände, Mutationen des Coronavirus mit einem höheren Ansteckungs­risiko beunruhigen die Bürger. Gleichzeitig lassen die Impfungen und das anstehende Frühjahr mit milderen Temperaturen hoffen, dass die Pandemie beherrschbar wird. Wie wirken sich diese Perspektiven auf die Geschäftsreisen aus, die in den vergangenen Monaten nur eingeschränkt stattfanden?

Nach einer Umfrage des Abendblatts unter Firmen in Hamburg rechnen die Unternehmen nicht mit einer baldigen Rückkehr zur Normalität. Nicht nur, dass derzeit Messen reihenweise abgesagt werden, Veranstaltungen und Konferenzen nur digital stattfinden. Die Unternehmen schätzen vielmehr, dass die Zahl der Dienstreisen nie wieder das Niveau vor der Krise erreichen wird.

Reisen werden verstärkt durch digitale Treffen ersetzt

„Auch wenn wir im Laufe des Jahres die unmittelbare Bedrohung durch Corona hoffentlich hinter uns lassen, werden Reisen auch weiterhin verstärkt durch digitale Treffen ersetzt“, sagt Arnd Liedtke von Tchibo. „Reisen in die weltweiten Beschaffungsmärkte, etwa in die Kaffeeanbauregionen in Südamerika und Afrika oder die asiatischen Bezugsmärkte für unsere Gebrauchsartikel werden noch länger stark eingeschränkt bleiben“, ergänzte der Sprecher des Hamburger Kaffeekonzerns, der in seinen Shops auch Haushaltswaren und Mode anbietet, die etwa in China hergestellt werden.

Zu den Firmen der Hansestadt mit weltweitem Geschäft zählt auch Montblanc. „Die Erfahrung der vergangenen Monate zeigt, dass der direkte zwischenmenschliche Kontakt nur schwer zu ersetzen ist“, sagt Elvir Johic, Nordeuropa-Chef von Montblanc. „Es fehlt etwas.“ Einige Reisen würden aber sicherlich durch digitale Kommunikationstools dauerhaft ersetzt werden, ergänzt der Manager des Herstellers von Schreibgeräten und Luxus-Accessoires. So würden größere Tagungen nur virtuell stattfinden, sagt Johic. Denn der Geschäftsführer glaubt, dass wahrscheinlich auch 2021 „keine größeren Personenzahlen in geschlossenen Räumen“ zusammenkommen können.

Nachholbedarf an persönlichen Begegnungen

„Aktuell und bis auf Weiteres sind sämtliche Geschäftsreisen ausgesetzt“, sagt ein Sprecher über die Praxis beim Konsumgüterkonzern Unilever. Weitere Firmen der Hansestadt wie Beiersdorf, Airbus, Aurubis, Engel & Völkers oder New Work (Xing) berichten über eine stark eingeschränkte Reisetätigkeit.

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Der Geschäftsreiseverband VDR erwartet zwar einen beträchtlichen Nachholbedarf an persönlichen Begegnungen. Nach einer Verbandsumfrage rechnen aber nur noch 8,6 Prozent der Reise-Manager mit einer Rückkehr zum Vorkrisenniveau. Die Unternehmen fahren dabei mehrheitlich auf Sicht und wollen kurzfristig entscheiden, wann ihre Beschäftigten wieder geschäftlich unterwegs sein dürfen. Innerdeutsch wollen drei von vier Firmen wieder verstärkt aufs Auto setzen.

VDR rechnet mit Rückgang der Reisetätigkeit von bis zu 30 Prozent nach Corona

Dabei reisten die Manager kurz vor der Corona-Krise noch so viel und so kostspielig wie nie zuvor. Nach Berechnungen des VDR gaben die deutschen Firmen 2019 insgesamt 55,3 Milliarden Euro (plus 3,5 Prozent) für 195,4 Millionen Trips (plus 3,1 Prozent) ihrer Mitarbeiter aus. Die Unternehmen haben sich damit ihre Geschäftsreisen so viel kosten lassen wie noch nie. Pro Tag und Reisendem habe der Aufwand 162 Euro betragen, berichtet der Verband.

Doch nun rechnet der VDR mit einem Rückgang der Reisetätigkeit von Geschäftsleuten von bis zu 30 Prozent auch in der Zeit nach Corona. Zu den Leidtragenden der Entwicklung zählen auch die Airlines, Flughäfen und Shops in den Terminals. „Wir gehen davon aus, dass in der zweiten Jahreshälfte 2021 vor allem eine Erholung bei den Privat- und Urlaubsflügen eintreten wird“, sagt Katja Bromm vom Flughafen Hamburg. „Die Geschäftsreisenden werden zwar auch wieder ins Flugzeug steigen, denn nicht jedes Business lässt sich per Videokonferenz abschließen. Aber wir rechnen damit, dass die Erholung verhaltener ausfallen wird“, sagt die Sprecherin.

Wegbrechende Manager-Trips treffen auch die Hotels

„Unsere Branche kämpft für eine Rückkehr des Reisens zu Ostern und nicht erst zu Pfingsten“, sagt Raoul Spanger, der das operative Geschäft beim Hamburger Unternehmen Gebr. Heinemann leitet. Der Groß- und Einzelhändler für die Duty-free-Branche betreibt Geschäfte an Flughäfen in Dutzenden Ländern und ist auf Businesskunden angewiesen, die Parfums oder Süßigkeiten für ihre Familie daheim einkaufen.

 „Das Shoppen ist und bleibt ein wichtiger Teil des Reisens“, sagt Spanger. „Wir beobachten in unseren weltweiten Flughafen-Shops – sofern diese geöffnet sein dürfen –, dass die wenigen Menschen, die fliegen, auch kaufen. Die Anzahl der Reisenden ist jedoch noch viel zu gering“, sagt der Manager des Unternehmens mit Sitz in der HafenCity und schätzt: „Wir gehen davon aus, dass die Passagierzahlen frühestens 2024 wieder das Niveau von 2019 erreichen werden.“

Die wegbrechenden Manager-Trips treffen auch die Hotels, die derzeit zwar nach wie vor keine Touristen, aber theoretisch Vertreter von Firmen unterbringen dürfen. Denn innerdeutsche notwendige Geschäftsreisen sind in jedem Bundesland weiterhin erlaubt. Angestellte müssen sich die Notwendigkeit einer Dienstreise vom Arbeitgeber bescheinigen lassen, dann fallen sie nicht unter das Beherbergungsverbot.

Hotels haben oft Verträge mit Unternehmen

Doch die Öffnung nur für Gäste aus der Wirtschaft lohnt sich für Hotels oft nicht. „Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen gehen wir von einem sehr eingeschränkten Reiseverhalten aus. Daher haben wir uns für die weitere Schließung des Hotels entschieden, bis touristische Reisen wieder gestattet werden und gastronomische Einrichtungen öffnen können“, sagt etwa Anna Ziegler, Marketingchefin des Hamburger Hotels Vier Jahreszeiten an der Binnenalster.

Geschätzt entfielen bislang ungefähr 25 Prozent des Deutschland-Tourismus auf Dienstreisen im engeren Sinn. „Aktuell ist die Auswahl an Übernachtungsmöglichkeiten für Geschäftsleute geringer. Es gibt aber immer noch Hotels, die geöffnet haben. Deren Auslastung liegt derzeit bei etwa zehn bis elf Prozent“, sagt Tobias Warnecke vom Hotelverband Deutschland IHA.

In Hamburg sei noch „etwa ein Drittel der Hotels in irgendeiner Form geöffnet“, sagt Niklaus Kaiser vom Branchenverband DeHoGa Hamburg. „Wir gehen aber davon aus, dass mit Lockerungen auch weitere Hotels öffnen werden. Hotels haben oft Verträge mit Unternehmen zur Unterbringung ihrer Reisenden. Diese Verträge würde wohl kein Haus in dieser Situation gefährden wollen, selbst wenn der Betrieb nicht kostendeckend ist.“ Die verringerte Reisetätigkeit könnte nach Einschätzung der Firmen auch negative Folgen für ihre eigenen Geschäfte haben.

Für manche Unternehmen ist der Wegfall von Reisen besonders problematisch

So rechnen 60 Prozent mit dem Verlust von Kunden und 70 Prozent mit steigenden Kosten für ihre Produkte und Dienstleistungen. Dazu zählen unter anderem Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten sowie die Abnahme technischer Anlagen. „In vielen Branchen bleibt die persönliche Kommunikation zwischen Menschen und Unternehmen weiter wichtig und kann nicht dauerhaft durch virtuelle Kommunikationsmittel abgelöst werden“, sagt VDR-Präsident Christoph Carnier.

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Für Unternehmen, die Maschinen installieren müssen, ist der Wegfall von Reisen besonders problematisch. Sogar lebensnotwendig ist die Lieferung von Produkten der Medizintechnik, die oft vor Ort aufgebaut und dem Personal erklärt werden müssen. So verkauft die Lübecker Dräger AG Beatmungsgeräte an Kliniken, die derzeit von schwer erkrankten Corona-Patienten benötigt werden.

„Wir tun alles dafür, um die weltweite Versorgung unserer Kunden mit Produkten und Dienstleistungen auch in dieser herausfordernden Situation aufrechtzuerhalten“, sagt Melanie Kamann, Sprecherin von Dräger, über die Lieferungen und Schulungen rund um den Erdball. Bei dem Konzern gehe man dennoch sehr zurückhaltend mit der Genehmigung von Geschäftsreisen um. „Sie werden auf ein Minimum beschränkt, finden aber aufgrund unseres Versorgungsauftrags statt“, ergänzt Kamann. „Unsere Mitarbeiter erhalten für die Flüge FFP-2-Masken und ein Hygieneset. Außerdem berät unser Betriebsärztlicher Dienst vor Reiseantritt und weist auf aktuelle Regelungen hin.“