Hamburg. Bonvelo aus Ottensen setzt auf ungewöhnliche Fortbewegungsmittel und freut sich über Umsatzplus in Corona-Zeiten.
Sven Hoffmann steht der Schweiß auf der Stirn. Er ist nicht während der Fahrt mit dem E-Bike zu seinem Geschäft Bonvelo in Ottensen ins Schwitzen gekommen. Der 43-Jährige hat an diesem Morgen schon 360 Fahrräder in Empfang genommen und teilweise ausgeladen – das strengt an. „Bei uns herrscht noch immer Ausnahmezustand“, sagt Sven Hoffmann. Auf der Verkaufsfläche stapeln sich die Kartons mit Fahrrädern, die an Kunden in ganz Deutschland ausgeliefert werden sollen.
Vor fünf Jahren hat Hoffmann, der ursprünglich aus München kommt, sein Unternehmen gegründet. Zuvor hatte er 15 Jahre lang in der Tabakindustrie gearbeitet, war beruflich viel unterwegs. Dann wurde seine Frau schwer krank. „Reisen kam für mich nicht mehr infrage, aber nur zu Hause sitzen, Frau und Kind pflegen, das war für mich auch keine Option“. Seine Idee: Singlespeed und Fixie-Bikes, Fahrräder ohne Gangschaltung produzieren – schick sollten sie sein und vor allem bezahlbar.
Am Strand in St. Peter-Ording entwickelte er innerhalb eines Tages den Businessplan für Bonvelo, der auf 30.000 Euro Startkapital fußte. Bereits im Februar 2016 verpackte er in einem fensterlosen Lagerraum in Groß Borstel die ersten Modelle. Ursprünglich wollte er die Räder nur online verkaufen, schnell kamen jedoch Hamburger und wollten Probe fahren. Im Sommer 2016 zog Bonvelo in ein größeres Lager um – und seit März 2020 können Kunden die farbenfrohen Räder im Showroom in Ottensen bestaunen und testen.
Viele Kunden haben online Fahrräder bestellt
Für den Marketingleiter des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV), David Eisenberger, handelt es sich bei den Singlespeed-Rädern eher um ein Nischenprodukt. Es gebe mit Sicherheit eine treue Fangemeinde, seiner persönlichen Einschätzung nach sei der große Hype jedoch vorüber. Hoffmann ist dagegen überzeugt, eine Nische in der Nische gefunden zu haben. Und seine aktuellen Zahlen geben ihm recht. „2020 haben wir bis Juni fast 3000 Räder verkauft, und damit so viele wie im gesamten vergangenen Jahr“, sagt der Unternehmer.
Viele Kunden, die im März und April normalerweise in den Laden gekommen seien, hätten stattdessen online ihr Rad gekauft oder vorbestellt. Fahrradläden, die ihre Räder nicht online anbieten, mussten dagegen in der coronabedingten Schließzeit mit massiven Problemen kämpfen. Zwar habe es laut Eisenberger danach einen Ansturm auf die Läden gegeben, da Kunden wegen der Pandemie den öffentlichen Nahverkehr scheuten; der Verband rechnet dennoch nur mit Verkaufszahlen auf Vorjahresniveau, eventuell leicht darüber.
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Derzeit bietet Bonvelo drei Modelle an, die mit nur wenigen Handgriffen selbst zusammengebaut werden können. „Blizz“ ab 359 Euro wird nach wie vor am meisten verkauft. „Das ist das Fahrrad für die Stadt – wendig und fast unkaputtbar“, so Hoffmann. Seit März bietet Bonvelo auch ein Elektrobike ab 1859 Euro an. „Der Markt ist riesengroß, das wollen wir ausbauen!“, sagt der 43-Jährige. Bisher hat Hoffmann alles aus eigener Tasche finanziert. Für die Finanzierung der E-Bike-Modelle sei er nun erstmals im Gespräch mit Investoren.
E-Bikes sind nach wie vor im Trend
Hoffmann folgt mit seinem neuen Produkt einem Trend. Laut Branchenverband war im Jahr 2019 von den knapp drei Millionen verkauften Fahrrädern fast jedes dritte ein E-Bike – Tendenz steigend. „Wir rechnen langfristig mit einem Anteil von 50 Prozent“, sagt ZIV-Experte Eisenberger. Prominente Konkurrenz für die Ein-Gang-Räder aus Ottensen ist beispielsweise Schindelhauer Bikes. Das Unternehmen bietet mehr Modelle an, diese sind jedoch deutlich teurer. Fixie Inc., das 2012 von Internetstores aufgekauft wurde, liegt preislich sogar teilweise etwas unter den Rädern von Bonvelo. Die Marke sei laut Hoffmann im Gegensatz zu seinem Unternehmen jedoch „leblos“.
Auch an diesem Morgen holt eine Kundin ihr E-Bike im sogenannten bonvelolab in Ottensen ab – Verkaufsfläche, Büro, Fotostudio und Werkstatt in einem. „Wir machen alles selbst“, sagt Hoffmann. „Wir bezahlen niemanden für Werbung oder Marketing, es gibt keine Zwischenhändler, da steckt viel Herzblut drin.“ Aus nur fünf fest angestellten Mitarbeitern bestehe das Kernteam, das Kunden größtenteils telefonisch oder online berät. Der typische Bonvelo-Fahrer sei Mitte, Ende 20, dennoch gebe es auch Kunden, die älter als 50 seien. „Die Trittfrequenz ist bei unseren Rädern natürlich eine höhere, aber die Kraftübertragung ist dafür sehr direkt.“ Wer kaputte Knie hat, sollte dennoch besser die Finger davon lassen, rät Hoffmann.
"Ein zweites Jahr würde ich nicht so durchhalten"
Trotz der positiven Entwicklung sind die vergangenen Monate für Hoffmann und sein Team keine durchweg angenehme Zeit gewesen. „Es wäre mir zuwider zu sagen, wir haben von der Corona-Krise profitiert“, sagt der Unternehmer. Da die Lieferketten in Asien eingebrochen waren, verzögerten sich teilweise Lieferungen aus Taiwan, wo der Rahmen der Räder hergestellt und montiert wird. Einige Kunden hätten dafür kein Verständnis aufgebracht.
„Als würde es sich nicht um Fahrräder, sondern um lebenswichtige Organe handeln“, so Hoffmann. Sieben Tage die Woche hätten er und sein Team zwischen März und Juli teilweise gearbeitet, auch mal zwölf Stunden am Tag. „Ein zweites Jahr würde ich so nicht durchhalten“, sagt er.
Durchatmen und in den Urlaub fahren können Hoffmann und sein Team wahrscheinlich im Herbst. Denn in den Wintermonaten hat Bonvelo in den vergangenen Jahren deutlich weniger Umsatz gemacht. Ob das auch für das Corona-Jahr 2020 gilt, bleibt abzuwarten.