Hamburg. Der havarierte Containerfrachter “Ever Given“ blockiert noch immer die Durchfahrt. Experte: “Das kann zu einem echten Problem werden.“
Der Pott sitzt fest. Seit Dienstag hängt das Großcontainerschiff „Ever Given“ quer in der Fahrrinne des Suezkanals in Ägypten. Der Bug des insgesamt 400 Meter langen Megafrachters hat sich an einem Ufer festgefahren, das Heck am anderen. Nichts passt mehr durch. Bagger versuchen die Nase des Schiffs aus der Böschung zu graben.
Zahlreiche hochmotorisierte Schlepper drücken und ziehen den Koloss. Doch bisher hat sich das 220.000 Tonnen schwere Schiff kaum von der Stelle bewegt. In Hamburg wird man langsam nervös. Denn das Havarie-Drama, das sich mehrere Tausend Kilometer weit entfernt abspielt, hat direkte Auswirkungen auf den Hafen der Hansestadt.
„Ever Given“ wird in Hamburg erwartet
Hier wird die „Ever Given“, die Hamburg regelmäßig anläuft, erwartet. Aus China kommend sollte das Schiff, das 20.000 Standardcontainer (TEU) tragen kann, wichtige Waren nach Europa bringen und nach Anläufen in Rotterdam und Felixstowe am 8. April um 4 Uhr am Burchardkai der HHLA festmachen. Doch der Fahrplan ist nunmehr Makulatur: Die „Ever Given“ befand sich wenige Kilometer hinter der Einfahrt in den Suezkanal an fünfter Stelle in einem Konvoi in Richtung Norden, mit 15 Schiffen dahinter, als sie auf Grund lief.
Laut Kanalverwaltung SCA war das Schiff zuvor in einen starken Sandsturm geraten, der die Sicht des Kapitäns beeinträchtigt habe. Derzeit versuchen die Behörden alles, den Frachter wieder flottzumachen, damit er nicht länger die Fahrrinne blockiert. Bisher ohne Erfolg. Das Unternehmen Broker Braemar erklärte, wenn das Freischleppen des Containerschiffs nicht gelinge, müsse möglicherweise zunächst ein Teil der Ladung mit Kränen geborgen werden.
„In diesem Jahr war noch kein einziges Schiff pünktlich“
HHLA-Chefin Angela Titzrath demonstriert noch Gelassenheit: „Schiffsverspätungen sind für uns nichts Besonderes. In diesem Jahr war noch kein einziges Schiff pünktlich“, sagte sie bei der Vorstellung der Jahresbilanz des Hafenkonzerns am Donnerstag. Streiks in anderen Häfen und coronabedingte Verzögerungen beim Umschlag hätten die Fahrpläne ziemlich durcheinandergewirbelt. Dennoch drücke sie die Daumen, „dass es allen Beteiligten so schnell wie möglich gelingt, das Problem zu lösen.“ Sie sei zuversichtlich.
Die Zeit drängt. Denn es geht ja nicht nur um die „Ever Given“. Hinter ihr haben sich mittlerweile mehr als 150 Schiffe aufgestaut, die wegen des Unfalls nicht mehr durch den Suezkanal kommen. Diese Verbindung zwischen Rotem Meer und Mittelmeer ist der kürzeste Seeweg und damit die Haupthandelsroute zwischen Asien und Europa. Etwa zehn Prozent des Welthandels laufen durch den Kanal, mehr als 50 Schiffe am Tag. 19.000 waren es im vergangenen Jahr. Da ist jede kleine Störung Gift, eine totale Blockade des Seewegs – wie in diesem Fall – eine Katastrophe.
Blockade könnte für Hamburg zu Problem werden
„Die Blockade kann, je länger sie dauert, für Hamburg und die anderen europäischen Häfen zu einem echten Problem werden“, sagt Gunther Bonz, der Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg (UVHH). „Sie führt dazu, dass erst einmal gar kein Schiff mehr kommt, und dann alle auf einmal.“ Einen „Ketchup-Effekt“ nenne man das. Man schüttele die Flasche, erst kommt gar nichts raus – und dann viel zu viel. „Die Unterbrechung der Nachschubversorgung kann sogar zu Produktionsausfällen in der Industrie führen, weil wichtige Teile in den Lagern fehlen“, warnt Bonz.
Tatsächlich kommt der Stau zur Unzeit für die weltweiten Lieferketten: „Auto- und Computerindustrie leiden unter einer weltweiten Chip-Knappheit, die durch einen Brand in einer großen Chipfabrik in Japan in der vergangenen Woche noch verschlimmert wurde. Zudem haben Autohersteller Werke geschlossen, nachdem ein Kälteeinbruch in Texas Anfang Februar die Kunststoffproduktion beeinträchtigt hatte“, sagt Daniel Aschoff, Schifffahrtsexperte der Allianz-Versicherung.
Nicht die erste Havarie der „Ever Given“
Dabei sei der Suezkanal eigentlich sehr sicher. Zwischen 2013 und 2016 gab es zwar durchschnittlich zwölf Schiffsunfälle pro Jahr, aber die Zahlen seien seitdem zurückgegangen, so Aschoff. „Der Zehn-Jahres-Durchschnitt liegt bei acht Vorfällen pro Jahr.“
Auf europäischer Ebene wird nach Informationen des Abendblatts unterdessen diskutiert, ob es grundsätzliche Sicherheitsbedenken bei der „Ever Given“ gibt, schließlich ist das nicht ihre erste Havarie. Im Jahr 2019 rammte das Schiff die Hadag-Fähre „Finkenwerder“ im Hamburger Hafen. Damals setzte ein Elektronikausfall die Steuerung außer Kraft.
Anlaufverbot der „Ever Given“ steht im Raum
Ähnliches soll auch dem neuerlichen Unfall vorausgegangen sein. Es wird deshalb überlegt, ob man das Containerschiff mit einem Anlaufverbot für europäische Häfen belegen könnte, ähnlich wie zuvor den Pannenflieger Boeing 737 Max in der Luftfahrt.
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Den Reedern dürfte ein solches Anlaufverbot überhaupt nicht schmecken. Vor allem nicht der zur Hamburger Schulte Gruppe gehörenden Bernhard Schulte Shipmanagement. Deren Tochter in Singapur ist nämlich für das technische Management der „Ever Given“ verantwortlich, die unter der Flagge Panamas segelt und von der taiwanesischen Linienreederei Evergreen eingesetzt wird. Die 25-köpfige Besatzung sei in Sicherheit. Es gebe keine Umweltverschmutzung und keinen Schaden an der Fracht, teilte Schulte mit.
Containerschiff von Hapag-Lloyd steckt im Suez-Stau fest
Die Reedereien befinden sich nun in einer unsicheren Situation. Sie müssen entscheiden, ob sie die Befreiung des Havaristen abwarten wollen, oder ihre Schiffe besser gleich außen herum um Afrika lenken. Der Umweg um das Kap der Guten Hoffnung dauere etwa neun bis zehn Tage oder betrage auf der Route Singapur–Rotterdam rund 6000 Kilometer, sagt Christian Denso vom Verband Deutscher Reeder (VDR).
Das Containerschiff „New York Express“ der Hamburger Traditionsreederei Hapag-Lloyd hat die Umweg-Option nicht. Es steckt im Suez-Stau fest. Zwei weitere Schiffe der Hamburger liegen derzeit in Port Said am Nordende des Suezkanals auf Reede. „Wir beobachten die Lage und warten ab“, hieß es von Hapag-Lloyd.