Hamburg. Stahl, Gummi, Computerchips: Unternehmen gehen Rohstoffe und Vorprodukte aus. Was das für die Firmen und die Kunden bedeutet.
Wohl jeder Hamburger wird sich daran erinnern: Zu Beginn der Corona-Pandemie waren in den Supermärkten plötzlich die Regale für Toilettenpapier und Nudeln leer. Seit Ende 2020 aber macht sich schleichend eine andere Form der Knappheit von Produkten breit – mit womöglich wesentlich gravierenderen Auswirkungen.
Wenn manche Geschirrspüler oder Fahrräder nun mehrere Monate Lieferzeit haben und wenn sich Kupferdachrinnen erheblich verteuern, ist das für die jeweiligen Kunden zweifellos ärgerlich. Doch wenn in weiten Teilen der Industrie wichtige Rohstoffe und Bauteile von Lieferengpässen betroffen sind, ist das nach Einschätzung des Ifo-Instituts ein „ernsthaftes Problem“ für die deutsche Wirtschaft. „Dieser neue Flaschenhals könnte die Erholung der Industrie gefährden“, sagt Klaus Wohlrabe, der stellvertretende Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts. 45 Prozent der im April befragten Industriefirmen hätten von Engpässen berichtet. Das sei der mit Abstand höchste Wert seit 1991.
Für die Knappheit der Güter gibt es viele Ursachen – der Mangel an Containern im Seetransport aus Asien ist nur eine davon. Das Abendblatt hat bei Hamburger Unternehmen nachgefragt, wie sich die Lieferprobleme und die drastischen Preisanstiege bei ihnen auswirken.
Baustoffe
„Alle sprechen davon, dass sich Holz so stark verteuert hat, aber das ist nur einer von vielen Baustoffen, mit denen wir derzeit Schwierigkeiten haben“, sagt Michael Herzog, Geschäftsführer der Hummelsbütteler Firma Schmidt Bedachung mit rund 100 Beschäftigten. „Dämmstoffe, die wir sonst immer innerhalb von höchstens zwei Wochen bekommen konnten, haben jetzt zwölf bis 18 Wochen Lieferzeit.“ Zudem hätten sich die Preise für Styropor-Dämmplatten innerhalb kurzer Zeit fast verdoppelt.
Manche Hersteller von Bitumenbahnen zur Abdichtung von flachen Dächern nähmen aktuell gar keine Aufträge für die Belieferung weiterer Baustellen mehr an, so Herzog. Für die Bauherren resultieren daraus Verzögerungen, die es schwer machen, die Kette der Handwerkerarbeiten zu koordinieren. Wenn sich die Situation nicht bald ändere, „werden manche Dachdeckerbetriebe wohl Kurzarbeit anmelden müssen“, erwartet Herzog. Hinzu kommt: „Wir können die Materialpreiserhöhungen nicht weitergeben, weil in den Verträgen bisher fast nie Preisanpassungsklauseln enthalten sind“, so Herzog. Er fürchtet: „Einige Firmen werden das nicht verkraften.“
Schrauben
Mit mehr als 800 Beschäftigten ist das im Jahr 1887 gegründete Altonaer Familienunternehmen Reyher nach eigenen Angaben einer der führenden Schraubenhändler in Europa. Doch jetzt bleibt den Hamburgern nichts anderes übrig, als die Kunden – unter anderem Maschinen- und Brückenbauer sowie Windturbinenhersteller – warten zu lassen.
„In vielen Fällen haben sich die Lieferzeiten auf zehn bis zwölf Monate verdoppelt“, sagt Reyher-Einkaufsleiter Hergen Oetjen. Noch immer sei man von dem extremen Mangel an Leercontainern in Südostasien betroffen. „Außerdem sind unsere Container klein und schwer, die lässt man gern stehen und nimmt erst mal die leichten aufs Schiff“, erklärt Oetjen. Im Vergleich zum Jahresbeginn 2020 haben sich die Transportpreise zwischen Asien und Europa ungefähr vervierfacht, aber das ist noch nicht alles: Auch der Preis für den Rohstoff Stahl hat sich zuletzt stark erhöht.
„Die Stahlhersteller haben weitere deutliche Anhebungen schon angekündigt“, so Oetjen. „Aber in unseren Gesprächen mit den Lieferanten geht es aktuell eher um Verfügbarkeiten und erst dann um den Preis.“ Denn die Nachfrage nach den Schrauben hat seit dem vergangenen Jahr um rund 20 Prozent angezogen, „auch weil viele Industrieunternehmen ihre Aufträge angesichts der Pandemie ins Jahr 2021 verschoben haben“.
Kautschuk
Naturkautschuk ist das Ausgangsmaterial für Autoreifen, Gummischläuche oder Haushaltshandschuhe. Seit Jahresanfang 2020 hat sich der Rohstoff, der hauptsächlich in Südostasien aus dem Milchsaft des Kautschukbaums gewonnen wird, um rund 30 Prozent verteuert. Der wesentliche Grund dafür: Wegen der Pandemie musste die Produktion zeitweise stark heruntergefahren werden, aber schon im vorigen Sommer hat sich die Nachfrage nach Autos in China wieder weitgehend erholt – und Reifenhersteller nehmen rund 75 Prozent des Naturkautschuks ab.
Die Knappheit hat deutliche Auswirkungen auf eine traditionsreiche Hamburger Industriefirma: „Von den derzeitigen Lieferengpässen und den daraus resultierenden substanziellen Preiserhöhungen bestimmter Rohmaterialien ist auch das Geschäftsfeld ContiTech von Continental betroffen – das spüren wir ebenfalls hier in Harburg“, sagt Georg Ullmann, Leiter des ContiTech-Standorts Hamburg, der auf die 1856 gegründeten Phoenix-Werke zurückgeht. In Harburg entwickelt man unter anderem Schlauchleitungen für die Heizung und Kühlung von Komponenten in Elektroautos.
Verschärft werden die Probleme noch durch die „massive Verknappung“ der für den Transport zur Verfügung stehenden Container. Continental stehe in engem Austausch mit Lieferanten, Händlern, Speditionen und Reedereien, „um die Versorgung unserer Werke weltweit, einschließlich Hamburg, mit Rohstoffen sicherzustellen und die Produktion aufrechtzuerhalten“, so Ullmann. Als Autozulieferer ist Continental gleichzeitig von der Chip-Knappheit betroffen; Finanzchef Wolfgang Schäfer erwartet für 2021 Mehrkosten von rund 200 Millionen Euro für die Beschaffung von Rohmaterial für die Gummi-Sparte und weitere 200 Millionen Euro an zusätzlichen Logistikkosten bei Elektronik-Bauteilen.
Kunststoffe
Nur wenige Hamburger werden mit der Firmenbezeichnung Mocom Compounds etwa anfangen können. Das Unternehmen hat jedoch immerhin rund 300 Beschäftigte in der Hansestadt, war bis Herbst 2020 ein Teil von Albis Plastic und gehört zur familiengeführten Hamburger Otto-Krahn-Gruppe. Mocom ist ein Hersteller von Kunststoffteilen für die Automobilindustrie und für etliche weitere Branchen.
Seit Ende 2020 haben sich Polymere, die dann von Mocom mit speziellen Zusätzen zu Kunststoffen mit maßgeschneiderten Eigenschaften verarbeitet werden, nach Angaben von Verkaufs- und Entwicklungsleiter Bernd Sparenberg um 30 bis 50 Prozent verteuert. „Die Preise steigen monatlich und wir gehen davon aus, dass sich dies fortsetzt“, sagt er.
Weil sich die Lieferzeit der Vorprodukte verlängert, der Auftragsbestand von Mocom aber gleichzeitig stark erhöht hat, müssen ständig Aufträge vorgezogen und andere verschoben werden, erklärt Sparenberg: „Unsere Planer sind extrem gefordert“. Aus Mocom-Kunststoffen bestehen unter anderem die Gehäuse von Kettensägen, Laubbläsern und Staubsaugern, aber auch eine Komponente in Labormaschinen für die Auswertung von Corona-Tests.
Fahrräder
„Seit Monaten müssen wir Kunden wegschicken – das ist wirklich verrückt“, sagt Stephan Raßmann, Inhaber des Bike Store in Bergedorf. Vor allem herkömmliche Fahrräder ohne Elektromotor seien derzeit schwer zu beschaffen: „Wenn im Werk ein einziges Teil fehlt, wird das Rad nicht produziert – und ein wichtiger Hersteller von Klingeln aus Italien hatte im Zuge der Corona-Krise drei Monate lang geschlossen.“
Doch auch Reifenproduzenten könnten derzeit Liefertermine nicht zuverlässig einhalten – „das ist eine Kettenreaktion“, so Raßmann: „Wir hoffen, dass wir wenigstens ab September oder Oktober die Räder der Saison 2022 bekommen.“ Zwar hatten die Bergedorfer ihr Lager vorsorglich vollgestellt, aber im Juli sei der Bestand dann wohl endgültig abgebaut. Nicht einmal das Servicegeschäft läuft ungestört: „Wir haben täglich vielleicht 20 Anfragen für Reparaturen, aber für 15 davon gibt es die Ersatzteile nicht – Ketten für E-Bikes zum Beispiel sind nicht lieferbar.“
Autos
Anfang Mai kündigte der Autohersteller Ford an, die Produktion im Kölner Werk in den nächsten Monaten fast komplett einzustellen. Grund dafür ist nicht etwa fehlende Nachfrage, sondern der Mangel an Elektronikchips und anderen Elektronikbauteilen, von denen Hunderte in einem modernen Auto enthalten sind.
„Ford geht damit sehr offen um, aber die Problematik ist bei fast allen Herstellern gleich“, sagt Michael Babick, Geschäftsführer der Hamburger Autohandelsgruppe Krüll Motor Company, die außer Ford auch Marken wie Nissan, Volvo, Opel und Citroën im Programm hat. „Wir haben, als das noch möglich war, deutlich mehr Neuwagen auf Vorrat ins Lager gestellt“, so Babick. „Nachdem wir im Herbst sehr ordentliche Verkaufszahlen hatten, war das Lager recht leer.“
Zwar stehen üblicherweise gruppenweit etwa 1000 bis 1200 Wagen im Lager. Aber nicht jeder Kaufinteressent wird „sein“ Auto darunter finden: „Natürlich wird es für Kunden, die eine sehr individuelle Ausstattung wünschen, jetzt schwieriger, die auch zu bekommen“, räumt Babick ein. „Man muss dann schon kleine Kompromisse machen.“ Auch wenn Babick im Hinblick auf die Verkäufe ein insgesamt gutes Geschäftsjahr 2020/2021 erwartet, muss er mit Mehrkosten kalkulieren: „Ein hoher Lagerbestand bedeutet auch höhere Zinskosten – jeder Tag kostet Geld.“
Geschirrspüler
Drei bis vier Wochen Lieferzeit seien bei Geschirrspülern inzwischen üblich, auf manche Marken müssten die Kunden aber drei bis vier Monate warten, heißt es beim Hamburger Haushaltsgeräte-Fachhändler Buddenhagen. Dabei gehe es keineswegs um Modelle aus China, sondern um Geschirrspüler aus europäischer Produktion, für die aber bestimmte Zulieferteile fehlten. In der Spitze hätten die Lieferzeiten kürzlich noch bei bis zu einem halben Jahr gelegen.
Dabei trifft dies mit einer gestiegenen Nachfrage zusammen: Die Firma BSH Hausgeräte (Marken: unter anderem Bosch, Siemens, Constructa), nach eigenen Angaben Europas führender Hersteller, ist im vorigen Geschäftsjahr wechselkursbereinigt um 8,5 Prozent gewachsen und hat einen Rekordumsatz erzielt. Die Corona-Pandemie habe die Menschen „zu einer neuen Wertschätzung des eigenen Zuhauses“ geführt, teilte BSH mit: „Vor allem die Küche ist zu einem zentralen Ort für familiäres Zusammensein geworden, an dem gemeinsam gekocht und Zeit verbracht wird.“
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