Hamburg. Geldinstitute wollen nachträglich Zustimmung erreichen. Doch auch Kunden haben ein Druckmittel. Die Hintergründe.
Massiv haben die Banken in den vergangenen Jahren Kontogebühren erhöht. Ob überregionale Institute wie Deutsche Bank oder Commerzbank oder regionale Anbieter wie Haspa, Hamburger Volksbank oder die Sparkasse Harburg-Buxtehude: Sie hatten leichtes Spiel, weil die Kunden die Erhöhungen meist stillschweigend akzeptierten.
Doch seit einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) können die Geldinstitute nicht mehr so verfahren, müssen rückwirkend die schriftliche Zustimmung ihrer Kunden einholen. Viele Kunden bekommen deshalb in diesen Tagen Post von ihrer Bank. Welche Banken sind betroffen? Wie soll man sich verhalten? Was passiert, wenn Kunden nicht zustimmen? Können Gebühren aus der Vergangenheit zurückgefordert werden? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Urteil des Bundesgerichtshofs zu Erhöhung der Kontogebühren
Die Banken kündigten Gebührenerhöhungen bisher an, und wenn der Kunde nicht reagierte, galt das als Zustimmung. Dieses Verfahren ist in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) mit Formulierungen geregelt wie: „Die Zustimmung des Kunden gilt als erteilt, wenn er seine Ablehnung nicht vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungen angezeigt hat.“
Diese sogenannte fingierte Zustimmung benachteiligt Verbraucher unangemessen und ist unzulässig, urteilte der BGH (XI ZR 26/20). Das Urteil betraf die Postbank, da aber inhaltsgleiche Klauseln branchenweit verwendet wurden, müssen auch andere Geldinstitute handeln. Doch auch auf Verbraucher kommen schwierige Entscheidungen zu.
Gebührenerhöhungen: Welche Banken sind betroffen?
Fast alle, denn Gebührenerhöhungen haben in den vergangenen drei Jahren fast jede Bank vorgenommen (s. Grafik). Nach Daten des Statistischen Bundesamtes sind die Bankgebühren in Deutschland seit 2015 um rund 34 Prozent gestiegen, während die Verbraucherpreise nur um rund sechs Prozent anzogen. Umstritten ist, welche rückwirkende Wirkung das Urteil hat. „Unzulässig waren die Erhöhungen, denen nicht ausdrücklich zugestimmt wurde, immer, also auch, wenn sie länger als drei Jahre zurückliegen“, sagt Kerstin Föller, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg.
Allerdings könne man zu viel gezahlte Gebühren nur ab dem 1.1.2018 zurückfordern. Die Banken gehen wohl deshalb von einer dreijährigen Frist aus. So sieht sich die Sparda-Bank Hamburg von dem Urteil nicht betroffen. Die Jahresgebühr in Höhe von 10 Euro für die EC-Karte wurde bereits 2016 eingeführt. Das Girokonto ist bei regelmäßigem Eingang von Gehalt oder Rente gebührenfrei. „Für unwirksame AGB gibt es unserer Einschätzung nach keine zeitliche Frist“, sagt Föller. Personen, die schon vor 2017 Kunden der Sparda-Bank geworden sind, könnten sich diese 10 Euro deshalb zurückholen.
Wie reagieren die Banken auf das Urteil?
Fast 19 Millionen Bankkunden von Deutscher Bank, Postbank und Norisbank, die alle zum Deutsche-Bank-Konzern gehören, haben bereits Briefe erhalten, in denen sie nachträglich ihre Zustimmung zu Gebührenerhöhungen erklären sollen. „Nur dann können wir unsere Zusammenarbeit auf rechtlich sicherer Grundlage fortführen“, heißt es in dem Schreiben an die Postbank-Kunden, das dem Abendblatt vorliegt.
„Viele Menschen sind mit dem Schreiben überfordert und wissen nicht, was zu tun ist, viele fürchten Erhöhungen durch die Hintertür“, sagt Föller. Doch auch ohne Zustimmung werden die höheren Gebühren bei den Postbank-Kunden abgebucht. Das Institut hatte im April 2021 das Giro-Plus-Konto von 4,90 auf 5,90 Euro verteuert. Die Haspa prüft noch die Auswirkungen des BGH-Urteils, verweist aber darauf, dass es seit Anfang 2018 keine Preiserhöhungen bei den Joker-Konten gegeben hat. Die Commerzbank hatte im April 2021 Kunden angeschrieben, die vor Oktober 2020 ein kostenloses Girokonto bei dem Geldhaus eröffnet hatten, um ihnen eine Monatsgebühr von 4,90 Euro abzuknöpfen.
Jetzt sagt ein Sprecher des Instituts dem Abendblatt: „Wir kommen wegen einer möglichen Korrektur der seit April 2021 einbehaltenen Entgelte unaufgefordert auf unsere Kunden zu.“ Andere Geldinstitute sind zurückhaltender und haben jüngste Gebührenanpassungen zunächst ausgesetzt. Zwar will auch die Hamburger Volksbank ihre Privatkunden um Zustimmung zu den aktuellen Preisen bitten. „Solange diese nicht vorliegt, haben wir die Berechnung der Erhöhungsbeträge der letzten drei Jahre ausgesetzt“, sagt Banksprecherin Heidi Melis. Ähnlich agiert die ING: „Wir werden die vorübergehend ausgesetzten Entgelte und Gebührenerhöhungen voraussichtlich zu einem späteren Zeitpunkt wieder mit unseren Kundinnen und Kunden vereinbaren“, sagt Banksprecher Patrick Herwarth.
Was ist, wenn ich als Kunde nicht zustimme?
Nachdem die Postbank und die Deutsche Bank schon in ihren identischen Briefen an die Kunden indirekt mit Kündigung drohen, wird die Postbank auf ihrer Internetseite noch einmal deutlicher: „Sollte jemand gar nicht reagieren, müssen wir prüfen, ob wir das Konto dauerhaft weiterführen können.“ Der Bankkonzern rechnet mit einer überwiegenden Zustimmung der Kunden. Doch wenn nur 20 Prozent der Kunden von der Postbank, der Deutschen Bank und Norisbank ihre Zustimmung verweigern, wären schon knapp vier Millionen Kunden bei Deutscher Bank, Postbank und Norisbank von einer Kontokündigung bedroht.
Denn der Privatkundenchef von Deutscher Bank und Postbank, Lars Stoy, hatte im „Handelsblatt“ mit Blick auf die geforderte Zustimmung gesagt: „Kunden, die anderer Meinung sind, werden sich letztlich ein anderes Kreditinstitut suchen müssen.“ Auch die Degussa Bank droht ihren Kunden offen mit Kündigung, wie das Branchenportal Finanz-Szene berichtet. Tatsächlich müssen die Kunden, wenn sie die nachträgliche Zustimmung verweigern, bei allen Instituten mit einer Kündigung durch die Bank rechnen.
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„Rechtlich ist das zulässig, und die Banken können ohne Angabe von Gründen die Kontoverbindung mit einer Frist von zwei Monaten kündigen“, sagt Verbraucherschützerin Föller. Eine wirkliche Wahl hätten die Verbraucher nicht, wenn sie sich keine neue Bank suchen wollen. Eine Ausnahme gilt aber: Eine Baufinanzierung darf nicht vor dem Ablauf der Zinsbindungsfrist gekündigt werden, solange der Kreditnehmer seinen Verpflichtungen nachkommt.
Stimme ich gleichzeitig Strafzinsen zu?
Zumindest für Deutsche Bank und Postbank ist das ausgeschlossen. „Eine Zustimmung zu den AGB beinhaltet keine Zustimmung zu einem möglichen Verwahrentgelt“, versichert ein Sprecher der Deutschen Bank. Das seien zwei völlig getrennte Vorgänge.
Kann ich Gebühren zurückfordern?
Erst zustimmen und dann die Bank mit einer Rückforderung zu konfrontieren – das ist möglich. „Gebühren können mindestens seit dem 1.1.2018 zurückgefordert werden“, sagt Föller. Auf ihrer Internetseite mit der Adresse www.vzhh.de haben die Hamburger Verbraucherschützer dazu ein Musterschreiben zur Verfügung gestellt. Neben Kontoführungsgebühren können auch andere Entgelte betroffen sein, etwa für Ein- und Auszahlungen, Kontoauszüge und SMS-TAN-Verfahren.
Um welche Beträge geht es?
Besonders hoch können die Rückforderungen ausfallen, wenn das Konto erst kostenlos war und dann Gebühren eingeführt wurden. In anderen Konstellationen geht es nur um die Differenz zwischen altem und neuem Preis.
Verbraucherschützerin Kerstin Föller rechnet vor: „Man muss schauen, was man ursprünglich als Kontoentgelt vereinbart hat. Wenn es 3 Euro waren und die Summe dann ohne Zustimmung auf 5,90 Euro erhöht wurde, so kann man die Differenz von 2,90 Euro für 44 Monate zurückfordern (für den Zeitraum von Januar 2018 bis August 2021).“ Wer die Gebühren seit Jahresanfang 2018 zurückfordern möchte, muss bis zum Ende dieses Jahres tätig werden.
Zahlen die Banken freiwillig zurück?
Darauf sollte niemand hoffen. Eher wird es ein zäher Kampf mit den Kunden, denn für die Geldinstitute geht es um einen Milliardenbetrag, wenn alle Kunden Rückforderungen stellen. Grundsätzlich gilt: Wer nicht selbst aktiv wird, kann auch nichts erwarten. Rückforderungen sind allerdings kein Grund für eine Kündigung, versicherte die Deutsche Bank. „Wir haben auch bereits einen Prozess etabliert, der berechtigte Rückerstattungsansprüche für Kundinnen und Kunden abwickeln soll“, sagt ein Sprecher der Deutschen Bank.