Hamburg. Baustellen, Leerstände, Abriss – Hamburgs bekannteste Einkaufsmeile steht vor einem großen Umbruch. Was für die Zukunft geplant ist.

Eigentlich sollte das Geschäft brummen. Als die Läden nach dem Lockdown Ende Mai wieder öffnen konnten, war auch auf der Mönckebergstraße nach monatelanger Tristesse endlich wieder etwas los. Aber nach der ersten Freude über zurückgekehrte Kunden macht sich bei vielen Händlern inzwischen Ernüchterung breit.

„Am meisten beeinträchtigt uns im Moment die Hochbahn-Baustelle“, sagt Dietmar Hamm. Der Geschäftsführer der Kontorhausverwaltung Bach, die in der Innenstadt zahlreiche Immobilien hat, managt das Levantehaus mit gut 30 Läden und Lokalen sowie dem Hotel Park Hyatt. Seit Monaten stehen vor der gesamten Front hohe Bauzäune. Statt Flanieren ist auf dem Abschnitt zwischen Barkhof und Lange Mühren Hindernislauf angesagt.

Noch bis zum Frühjahr 2022 dauert die Erneuerung des U-Bahn-Tunnels und der Bau barrierefreier Zugänge. Während es in anderen Teilen der City langsam aufwärts geht, liegen die Besucherzahlen im nördlichen Teil der Mönckebergstraße aktuellen Messungen zufolge gerade mal bei der Hälfte der Vor-Corona-Zeit.

Das C&A-Gebäude wird Mitte 2022 abgerissen

Die Momentaufnahme wirft ein Schlaglicht auf die Situation der Hamburger Innenstadt. Der Umbruch im stationären Einzelhandel hat Hamburgs größte Einkaufsmeile schon vor Corona-Pandemie und Geschäftsschließungen auf eine Belastungsprobe gestellt. Immer wieder gab und gibt es leere Schaufenster zwischen Hauptbahnhof und Rathaus. Namen  von  bekannten  Modefirmen  wie S. Oliver, Salamander und Esprit sind verschwunden, nur teilweise sind die Ladenflächen neu vermietet worden.

Seit der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof sowohl Kaufhof als auch Karstadt Sports an der bekannten Einkaufsmeile geschlossen hat, fehlt zudem das repräsentative Entree in die City. Schon acht Monate lang stehen die Gebäude mit Tausenden Quadratmetern Verkaufsfläche inzwischen praktisch leer. Die Fassaden dunkel, die Türen verrammelt. Davor haben Obdachlose Zuflucht gefunden. Konkrete Pläne, was aus den Standorten wird, gibt es nach Abendblatt-Recherchen nicht.

Die nächste Großbaustelle

Und jetzt kündigt sich die nächste Großbaustelle an: Das bisherige C&A-Gebäude wird Mitte 2022 abgerissen, dort wird ein Neubau im Stil Hamburger Kontorhäuser entstehen. Das sind noch mal mindestens drei Jahre Ausnahmezustand an zentraler Stelle. Auch das Einkaufszentrum Perle schräg gegenüber am Gerhart-Hauptmann-Platz, das erst vor wenigen Jahren aufwendig modernisiert worden ist, steht nach dem Verkauf der ehemaligen Landesbank-Passage vor einem Umbruch.

Die Verträge der Mieter laufen nur noch bis zum Jahr 2026 – was danach kommt, ist vollkommen offen. Wahrscheinlich ist es nicht die letzte Umgestaltungsmaßnahme. Inzwischen wird immer deutlicher, dass die Mönckebergstraße in den nächsten Jahren zur Dauerbaustelle wird.

Auch das Levantehaus hat mehrere Mieter verloren

Das könnte nach Meinung von Experten durchaus eine Chance für die in die Jahre gekommene Shoppingstraße mit den vielen austauschbaren Handelsketten und wenig innovativen Ansätzen sein – zugleich ist es mitten in der Corona-Krise auch eine enorme Belastung für die angestammten Einzelhändler.

Fast unbemerkt hat das Levantehaus in den vergangenen Corona-Monaten mehrere Mieter verloren, unter anderem die türkische Modekette Yargici, die sich vom deutschen Markt zurückgezogen hat, und die Zara-Schwester Massimo Dutti. Inzwischen sind vier der insgesamt fünf Ladenflächen neu besetzt. Unter den Neuzugängen ist das Bürstenhaus Carl Töddensen und die Modekette Scotch & Soda. Offenbar waren die Verhandlungen aber alles andere als ein Selbstgänger.

 Ankündigung des spektakulären Projekts sorgt auch für Hoffnung

„Wir sind sehr glücklich, diese Neuvermietungen in dieser schweren Zeit umgesetzt zu haben“, betont Levantehaus-Centermanager Dietmar Hamm. Leichter wird es in den nächsten Jahren eher nicht. Als Nachbar ist das Levantehaus direkt von dem bevorstehenden Abriss des C&A-Gebäudes, der sich zeitlich unmittelbar an das Ende der Großbaustelle der Hochbahn anschließt, und dem geplanten Neubau betroffen. Trotzdem, und da klingt auch ein Hauch Fatalismus mit, sagt Hamm. „Da müssen wir jetzt durch. Alles, was die Straße aufwertet, ist gut.“

Tatsächlich sorgt die Ankündigung des spektakulären Projekts auch für Hoffnung. Anders als in dem heutigen 1965 fertiggestellten C&A-Gebäude setzt die Immobiliengesellschaft Redevco zukünftig auf einen Branchenmix, der langfristig zur Belebung der Innenstadt beitragen könnte. Der Entwurf der Londoner Architektenbüro Sergison Bates Architects sieht Einzelhandelsflächen nur noch auf drei Geschossen vor.

Komplizierte Situation

Der überwiegenden Teil des Backsteinkomplexes mit 15.000 Quadratmetern Nutzfläche auf zehn Etagen soll Hotels und Restaurants vorbehalten sein. Ob das bekannte Textil-Kaufhaus C&A, seit dem Jahr 1913 an verschiedenen Stellen in der Mönckebergstraße ansässig, in den Neubau einzieht, ist noch nicht klar. „Wir prüfen diverse Möglichkeiten, in der Hamburger Innenstadt auch in Zukunft vertreten sein zu können“, heißt es bisher recht vieldeutig aus der Unternehmenszentrale in Düsseldorf. In den nächsten Wochen sollen weitere Details bekannt gegeben werden.

Deutlich komplizierter gestaltet sich die Situation für die beiden leer stehenden Kaufhäuser am Anfang der Mönckebergstraße. Zwar halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass C&A als Interimslösung für die Bauzeit in die frühere Karstadt-Sports-Filiale ziehen könnte. Eine Bestätigung gibt es dafür nicht. Das Gebäude gehört der R+V Versicherung AG – und gilt unter Insidern als nicht teilbar und daher als schwer vermietbar.

Auch der Mode-Discounter Primark und die Sportladenkette Decathlon werden immer wieder als mögliche Mieter genannt. „Es gibt weiterhin nichts Neues“, erklärt eine Sprecherin des Immobilieneigentümers auf Nachfrage. „Firmen sind mit ihren langfristigen Planungen, und dazu zählt auch die Anmietung einer Ladenfläche, nach wie vor sehr vorsichtig.“ Nach Informationen des Abendblatts hatte es vor dem Corona-Lockdown im Dezember bereits einen Mieter gegeben, der dann abgesprungen ist.

Bündnis Stadtherz hat sich in Debatte eingeschaltet

Gegenüber, im ehemaligen Kaufhof-Gebäude, wird der Zeitraum für eine langfristige neue Nutzung nicht in Monaten, sondern in Jahren gemessen. Der denkmalgeschützte Backsteinbau ist stark sanierungsbedürftig. In den vergangenen Monaten gab es Gespräche mit Stadt und Bezirk. Ideen existieren viele, unter anderem wird das frühere Kontorhaus als Standort für ein Haus der digitalen Welt oder für das in Planung befindliche Naturkundemuseum gehandelt.

Auch das Bündnis Stadtherz hat sich in die Debatte eingeschaltet, fordert „ein Ende der Spekulationsspirale“ in der Hamburger Innenstadt und Umnutzungen für Kunst-, Bildungs-, und Sportangebote, klimaschonende Produktionsorte in Kombinationen mit Co-Working, Obdachlosenhilfe, neue Wohnformen oder Altenpflege.

Auf zeitgemäße Handelstrends flexibel reagieren

Die Eigentümerin, die Wüstenrot & Württembergische AG, hält sich bedeckt. „Um auf neuere, zeitgemäße Handelstrends flexibel reagieren zu können, planen wir für die Immobilie ein neues Gesamtkonzept“, erklärt Sprecher Immo Dehnert. Es seien Nutzungen in den Bereichen Dienstleistungen, Gesundheit, Gastronomie und gegebenenfalls auch Bildung und Kultur denkbar.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Zum Starttermin für den Umbau heißt es: „Nicht vor 2023.“ Allerdings soll das Gebäude nach den Vorstellungen des Unternehmens bis dahin nicht komplett leer stehen. Bis Ende 2022 sind die Verträge der bisherigen Untermieter verlängert worden, darunter die Mö-City Apotheke und die BG Klinik. Bei der Suche nach einem Übergangsmieter im Erdgeschossbereich des früheren Kaufhofs haben die Stuttgarter unter anderem auch die bestens vernetzte Hamburger Immobilien-Beraterin Nicole C. Unger eingeschaltet. Nach Informationen des Abendblatts stehen Gespräche mit einem Interessenten kurz vor dem Abschluss.

„Leerstände bieten Gestaltungsmöglichkeiten“

Immerhin würde das eine empfindliche Lücke füllen. Wie sich die Konsumlaune in den nächsten Monaten entwickelt, weiß angesichts neuer Entwicklungen in der Corona-Pandemie allerdings niemand. Trotzdem ist Citymanagerin Brigitte Engler optimistisch. „Die Leerstände bieten Gestaltungsmöglichkeiten, die wir in der Innenstadt seit langer Zeit nicht hatten.“ Dabei sieht sie Chancen für neue innovative Ideen, in der Gastronomie, für Sport- und Kulturangebote, aber auch im Handel. Dass sich etwas bewegt, zeigen auch mehrere Neuvermietungen im weiteren Verlauf der Mönckebergstraße.

Wie berichtet, kommt die Trendschuhmarke Doc Martens mit einem eigenen Laden. Nach fast zwei Jahren Leerstand sind jetzt auch alle Flächen der ehemaligen Stadium-Filiale vermietet. Schon seit Längerem lockt CandyWorld mit internationalen Süßigkeiten vor allem junge Leute an.

 Nach Angaben von Babette Hillermann vom Maklerbüro Object ziehen im Herbst auf der Vorderseite des Gebäudes die dänische Bäckereikette Copenhagen Coffee-Lab und der Computer- und Multimedia-Händler Cyberport ein, der vorher Untermieter im Kaufhof war. Auf der hinteren Seite lässt sich der trendige Maßschneider Mond of Kopenhagen nieder. In der ersten Etage hat der Friseursalon Anabell Bühl Gold den Betrieb aufgenommen.

Neue Namen mit großer Strahlkraft fehlen bisher

Ob das reicht, um wieder mehr Menschen zum Einkaufen in diesen Teil der Innenstadt zu locken, muss sich zeigen. Namen mit großer Strahlkraft fehlen bislang. Das Thema ist inzwischen auch in der Politik angekommen. Um die Attraktivität des Zentrums zu erhöhen, hat der Senat gerade einen Fonds in Höhe von neun Millionen Euro für kreative Zwischennutzungen von leer stehenden Ladenflächen beschlossen. Auch ein lange verhandeltes Programm zur Umgestaltung von innerstädtischen Plätzen soll endlich umgesetzt werden.

 „Die Mönckebergstraße wird langfristig ein Einzelhandelsstandort bleiben“, sagt Sebastian Binger von der Otto Wulff-BID-Gesellschaft, der 25 Grundeigentümer an der Mönckebergstraße vertritt. Die Geschäftsleute fordern weitere Unterstützung von der Stadt, etwa einen Umbau der Einkaufsmeile mit weniger Busverkehr und mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger. „Die Mönckebergstraße“, sagt auch Immobilienexpertin Unger, „wird am Ende des Jahrzehnts sicher anders aussehen.“