Hamburg. Hamburger Ökostrom-Anbieter Enyway mit Gründer Heiko von Tschischwitz stellt Lieferung ein. Die Gründe und wie es nun weitergeht.
Wenige Wochen nachdem er im Herbst 2017 das Management des von ihm gegründeten deutschen Ökostrom-Pioniers Lichtblick verlassen hatte, hob Heiko von Tschischwitz ein neues Unternehmen aus der Taufe. Seitdem war häufig von einer Revolution auf dem Strommarkt die Rede. Bei Enyway, so der Name der jungen Firma, konnten Endkunden ihren Ökostrom fortan direkt von privaten Erzeugern kaufen, die etwa ein Windrad oder ein kleines Wasserkraftwerk betreiben. Motto: „Tschüs, Großkonzerne. Hallo, Ökostrom aus der Region!“
Später vermittelte das Hamburger Start-up auch Beteiligungen an einem Solarpark in Sachsen-Anhalt und renditestarke Investments in ein Waldprojekt auf Borneo. Zuletzt firmierte Enyway als Nachhaltigkeits-Onlineplattform für Verbraucher, die etwas für den Klimaschutz tun wollen, und trat über eine Tochterfirma auch selbst als Ökostrom-Anbieter auf.
Ökostrom-Anbieter von Lichtblick-Gründer meldet Insolvenz an
Gut vier Jahre nach ihrer Ausrufung ist die Stromrevolution beendet: Die Enyway GmbH hat Ende vergangenen Jahres beim Amtsgericht Hamburg einen Insolvenzantrag gestellt. Die noch verbliebenen Kunden werden seitdem nicht mehr von privaten Erzeugern und dem Unternehmen selbst beliefert, sondern von dem Grundversorger an ihrem Wohnort. In Hamburg ist das Vattenfall.
„Die zu Ende 2021 explosionsartig gestiegenen Großhandelspreise für Strom haben Enyway wirtschaftlich überfordert“, heißt es in einer Erklärung der Hamburger Insolvenz- und Restrukturierungskanzlei BBL Brockdorff. Deren Partner Justus von Buchwaldt wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Unternehmensgründer von Tschischwitz teilt in der Erklärung mit: „Unsere Stromkunden müssen keine wirtschaftlichen Einbußen befürchten, da die aktuellen Tarife der Grundversorgung derzeit in der Regel sogar unterhalb des aktuellen Enyway-Tarifs liegen.“
Diverse Strom- und Gasanbieter rutschten in die Pleite
Das neue Unternehmen des Lichtblick-Gründers gehört damit zu einer ganzen Reihe von Strom- und Gasanbietern, die in den vergangenen Wochen in die Pleite rutschten oder schlicht die Geschäftstätigkeit einstellten und ihre Kunden nun nicht mehr beliefern. Dazu zählen Discounter, die Kunden mit langfristig garantierten Niedrigtarifen lockten, Gas und Strom aber kurzfristig und zuletzt sehr teuer einkaufen mussten. Der Großhandelspreis für Strom hat sich binnen eines Jahres vervielfacht und Rekordhöhe erreicht. Zwar war über Enyway bezogener Strom seit jeher eher teuer, doch wurde auch das Start-up Opfer seines Geschäftsmodells, das letztlich doch wenig revolutionär, sondern ziemlich konventionell war.
Denn weil die Windkraft- und Solaranlagen der privaten Stromerzeuger bei Flaute oder bedecktem Himmel keine Energie erzeugen, musste regelmäßig Ökostrom an der Börse zugekauft werden, um die Kunden dauerhaft beliefern zu können. „Als Vermittler und als Versorger hatte Enyway die Aufgabe, Zusatzstrommengen einzukaufen, wenn die regenerativen Energien nicht liefern konnten“, sagte von Tschischwitz dem Abendblatt. Im Oktober wurden die Endverbraucher auf der Enyway-Onlineseite auf steigende Preise vorbereitet. Zugleich sei nicht absehbar, „ob und wann du wieder den gewohnten Preis zahlen wirst“, hieß es. Und es gab reichlich verklausulierte Andeutungen, dass die Stromerzeuger selbst ihre Energie lieber zu hohen Marktpreisen verkaufen, statt ihn vergleichsweise günstig über Enyway abzusetzen.
Innovativer Ökostrom direkt vom Privaterzeuger
Anfang November versuchte Enyway noch mit einer Neukunden-Kampagne in Kooperation mit Tchibo gegenzusteuern: Über den Onlineshop des Hamburger Kaffeerösters und Handelshauses könne nun drei Monate lang das innovative Ökostrom-Angebot gebucht werden, gab Tchibo bekannt und versprach: „Sie sparen im ersten Jahr rund 100 Euro durch einen Wechselbonus, eine reduzierte Grundgebühr und den Wegfall einer Monatsgebühr des Partners Enyway.“ Zur Auswahl als persönlicher Stromlieferant standen 31 Privaterzeuger.
Bei Enyway folgte wenig später die Ankündigung von Preiserhöhungen um rund 50 Prozent ab Dezember. Von dem bei Tarifanhebungen üblichen Sonderkündigungsrecht hätten „etwa 30 Prozent der circa 9000 Kunden“ Gebrauch gemacht, sagte von Tschischwitz auf Abendblatt-Anfrage. Der Insolvenzantrag habe keinen Einfluss auf die Werthaltigkeit der von Kunden eingezahlten Darlehen für den Solarpark und das Waldprojekt auf Borneo, so der Gründer. Enyway sei dabei nur als Vermittler aufgetreten. „Die Rückzahlung der Darlehen inklusive Zinsen erfolgt zum planmäßigen Zeitpunkt durch die Emittenten“, versicherte er.
Enyway-Beschäftigte sollen Insolvenzgeld bekommen
Die 30 Enyway-Beschäftigten sollen nun Insolvenzgeld erhalten, Anwalt von Buchwaldt hofft darauf, den Geschäftsbetrieb des Unternehmens wenigstens in Teilbereichen fortführen zu können. Er denkt da insbesondere an ein Geschäftsmodell wie die Vermarktung von Anteilen an Solarparks oder Waldprojekten. Die Belieferung von Kunden mit Ökoenergie dagegen werde aufgrund der aktuellen Marktbedingungen „derzeit nicht fortzuführen sein“, so der Insolvenzexperte. Er prüft jetzt auch den Verkauf einzelner Geschäftszweige.
„Bedauerlicherweise führt die Rekordhöhe der Großhandelspreise für Strom zu einer steigenden Zahl von Insolvenzen ausgerechnet bei den Anbietern von Ökostrom“, sagt der Insolvenzverwalter. Tatsächlich ist das Start-up des Lichtblick-Gründers binnen weniger Wochen der dritte Pleitefall in der Branche allein in der Metropolregion.
Stromanbieter: Erst Preiserhöhung, dann Insolvenz
Mitte Oktober hatte zuerst die Hamburger Smiling Green Energy GmbH mit gut 1500 privaten und gewerblichen Kunden Insolvenz angemeldet. Kurz vor Weihnachten folgte die Neckermann Strom AG mit Sitz in Norderstedt. Das Unternehmen hatte seinen bundesweit gut 13.000 Kunden zwei Monate zuvor die Preise deutlich erhöht, habe die steigenden Beschaffungskosten zuletzt aber nicht mehr an die Abnehmer weitergeben können, sagt Justus von Buchwaldt. Er wurde auch bei der Neckermann Strom AG zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.