Hamburg. Die Braaker Mühle übernimmt zwei Filialen in Hamburg und beliefert Supermärkte in der Region mit Brot-Backmischungen sowie Biomehl.
Vor dem Schalter warten schon zwei Autos, als sich der nächste Wagen in die Schlange stellt. Es ist ein nasskalter Januarvormittag, aber vor der Bäckerei Braaker Mühle an einer Kreuzung im Gewerbegebiet des schleswig-holsteinischen Dörfchens Braak im Osten von Hamburg ist ordentlich was los. Gerade reicht ein Mitarbeiter dem ersten Fahrer eine Brötchentüte und einen Becher Kaffee in das offene Seitenfenster, kassiert ab. Dann rollt der nächste vor. Besser kann man den Einkauf von Brot, Brötchen und Kuchen in Pandemie-Zeiten wohl nicht organisieren. Die Idee für den Back-Drive mit Laden und Café stammt aus der Zeit vor Corona. „Aber“, sagt Juniorchef Tim Lessau, „jetzt wird der Autoschalter sehr viel mehr angenommen.“ In den vergangenen Monaten hat sich die Kundenzahl verdreifacht. Offenbar ein zukunftsfähiges Konzept.
Zwei Kilometer entfernt drehen sich langsam die Flügel der historischen Braaker Windmühle. Aus einem Backsteingebäude daneben riecht es nach frischem Brot. In dem Familienbetrieb übernimmt gerade die sechste Generation das Ruder. Tim Lessau, 31 Jahre alt, Bäckermeister, Konditor und Brotsommelier, führt die Bäckereikette inzwischen mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder Mark. Vater Joachim Lessau mischt nur noch im Hintergrund mit.
300 Mitarbeiter hat der Betrieb
Die Juniorchefs schicken sich an, ähnlich geschäftstüchtig zu sein wie einst der Gründer. Der Müller Carl Heinrich Christoph Lessau hatte die Mühle 1859 aus der Konkursmasse des Vorbesitzers gekauft — für 9375 Reichstaler. Mehr als 160 Jahre später gibt es zahlreiche neue Ideen und Projekte. Am Stammsitz wird gerade gebaut. Das Filialnetz wächst, neuerdings ist die Braaker Mühle auch im Lebensmittelhandel vertreten. „Wir wollen das Unternehmen weiterentwickeln und zeitgemäß aufstellen“, sagt Mark Lessau, der das Handwerk ebenfalls von der Pike auf gelernt hat. „Was bleibt ist: Der Fokus liegt auf Qualität.“
13 Brotsorten, 15 verschiedene Brötchen, 20 Arten Kuchen und Teilchen werden jede Nacht gebacken. Punkt sieben Uhr verlassen die Lieferwagen den Mühlenhof. Mit 24 Filialen im östlichen Hamburg und im Kreis Stormarn ist das Unternehmen im Vergleich zu Branchengrößen wie Bäckerei Junge, Nur Hier oder Dat Backhus ein kleinerer Anbieter. 16 Millionen Euro Umsatz im Jahr erwirtschaftet der Betrieb mit 300 Mitarbeitern, davon 50 in der Produktion. „Wir wollen keine große Bäckereikette werden“, betont Tim Lessau.
Neues Konzept für den Lebensmitteleinzelhandel
Trotzdem haben die Braaker mitten in der Corona-Krise zwei ehemalige Standorte in Winterhude und auf der Uhlenhorst übernommen, die Dat Backhus im Zuge eines Sanierungsprogramms geschlossen hatte. Die Bäcker-Brüder haben den Filialen einen moderneren Auftritt verpasst. Die weitere Expansion in dem hart umkämpften Markt ist geplant, „wenn sich die Chance ergibt“, sagen sie. „Bis 2030 soll die Zahl der Filialen auf maximal 30 steigen.“ Außerdem ist die Braaker Mühle aktuell mit vier Wagen zehnmal in der Woche auf Wochenmärkten unterwegs, unter anderem auf dem Isemarkt.
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Jetzt stehen die Juniorchefs im Eingang ihrer Holländermühle, mit der alles angefangen hat. Über eine schmale Holzstiege geht es hoch in die Müllerstube auf dem „Absackboden“, wie ein altes Emailleschild ausweist. Überall liegen weiße Mehlsäcke. Roggen, Weizen, Dinkel in unterschiedlichen Körnungen - aber immer bio. Von oben hört man, wie sich die Flügel drehen. Viermal in der Woche wird in der Braaker Mühle Mehl gemahlen — 200 Tonnen im Jahr, die vor allem im eigenen Bio-Angebot verbacken werden. Seit Neustem gibt es das regionale Mehl auch im Supermarkt. „Das hat mit der Corona-Krise zu tun“, sagt Tim Lessau. Schon während des ersten Lockdowns, als Mehl und Hefe Mangelwaren waren und vielerorts ausverkauft, haben die Lessaus angefangen, einige Rewe-Märkte in der Region mit Mehl aus eigener Produktion zu beliefern. „Daraus hat sich ein neues Konzept für den Lebensmitteleinzelhandel entwickelt“, so der ältere der Bäcker-Brüder.
Handwerklich hergestelltes Brot liegt im Trend
Handwerklich hergestelltes Brot liegt im Trend. In den vergangenen Jahren haben sich in Hamburg neben bekannten Handwerksbetrieben Anbieter wie Jochen Gaues, Zeit für Brot oder Backecht als Alternative zum Fabrikbrot etabliert. Und immer mehr Menschen backen seit Beginn der Corona-Pandemie ihr Brot selbst. Das ist die Zielgruppe, die die Braaker Mühle im Blick hat. „Backwelt“ nennen die Lessaus das Angebot, das mit verschiedenen Mehlsorten und Saaten wie Mohn oder Kürbiskerne, Hefe, Salz, Backform und Rezeptvorschlägen alles zum Brotbacken beinhaltet. „Der Clou ist unser Sauerteig Karl-Heinz“, sagt Tim Lessau. Der Ansatz, benannt nach ihrem Großvater, soll Hobby-Bäckern das Brotbacken erleichtern.
Abgefüllt im Pfand-Weckglas ist er gekühlt drei Monate haltbar und kann immer wieder „gefüttert“ und so vermehrt werden. Ganz billig ist der Einstieg ins Brotbacken nicht. Die 750-Gramm-Tüte Mehl aus der Braaker Mühle kostet zwischen 2,10 und 3,60 Euro, der Sauerteig 7,90 Euro. Seit einigen Wochen ist die Backwelt in ersten Läden erhältlich, etwa im Rewe-Center Stanislawski&Laas in Winterhude. Zudem gibt es drei Müsli-Sorten für 6,90 Euro je 500-Gramm-Packung, die sie Mühlsi nennen. Alle Produkte (außer dem Sauerteig) sind auch im Onlineshop unter braaker-muehle.de erhältlich.
Die Lessau-Brüder investieren gerade zwei Millionen Euro
Gerade arbeiten die Brüder daran, das Angebot weiter auszubauen. „Wir haben schon zu Beginn der Corona-Krise überlegt, welche Lösungen wir finden können“, sagt Mark Lessau. Zwar sind auch im aktuellen Lockdown alle Läden und die Wochenmarktstände geöffnet. „Aber die Umsätze in den Cafés fallen jetzt schon zum zweiten Mal weg“, sagt Tim Lessau. Das Umsatzminus liege bei 40 bis 60 Prozent. Mit neuen Brotsorten und Produkten stemmen sie sich erfolgreich gegen die Krise. Während im Frühjahr noch einige Mitarbeiter in den Läden in Kurzarbeit waren, können jetzt alle mit neuen Aufgaben weiterbeschäftigt werden. „Corona bringt uns auf lange Sicht nach vorn“, sagt Tim Lessau. Auch wenn es jetzt Zeit werde, dass es wieder normal losgeht. „Es herrscht ein neuer Geist im Unternehmen.“
Das Jahr 2021 sehen die Junior-Chefs optimistisch. In den nächsten Monaten soll die große Baustelle auf dem Mühlenhof fertig werden. Dort wird die Bäckerei erweitert. 1000 Quadratmeter mehr Platz sollen entstehen, unter anderem um zusätzliche Ruheräume für das Brot zu schaffen und die Konditorei zu integrieren. Mehr als zwei Millionen Euro investieren die Lessaus in den Neubau. „Wir wollen die Mühle zu einem attraktiven Ausflugsziel machen, mit Unverpackt-Laden und Café-Betrieb“, sagt Mark Lessau. Quasi das Gegenstück zum Back-Drive im Dorf.
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Dort haben die Junior-Chefs gerade ein weiteres neues Projekt: Ein Automat für Brot und Brötchen, damit Kunden auch außerhalb der Öffnungszeiten kontaktlos einkaufen können. Kundschaft ist da. An diesem Morgen stehen auf dem großen Parkplatz mit zwölf Tesla-Ladestationen ein Dutzend Autos. In einem Kleinwagen sitzt ein älteres Ehepaar und frühstückt. Tim Lessau lächelt, als er das sieht. „Wir können uns gut vorstellen, weitere Standorte zu eröffnen.“