Inklusion ist eine der größten schulpolitischen Aufgaben. In Hamburg werden bereits 36,3 Prozent der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf inklusiv unterrichtet.
Hamburg. In der Schulkantine gibt es an diesem Tag Fisch mit Dillsauce. Das riecht man, sobald man die Erich Kästner Schule am Hermelinweg in Farmsen betritt. Es ist gerade Mittagszeit und in der Ganztagsschule ist Pause. Einige Schüler marschieren zum Essen, andere laufen lärmend in Gruppen durch das Treppenhaus zu ihren folgenden Aktivitäten. Sie achten nicht auf den grauen Beton, der im Schulgebäude vorherrschend ist. Und auch, wenn sie optisch nivht viel hermacht, sticht die Grund- und Stadtteilschule aus der Hamburger Schullandschaft heraus: Sie bekommt an diesem Donnerstag den Jakob Muth-Preis verliehen, der mit 3000 Euro dotiert ist. Mit ihm werden seit 2009 Schulen für vorbildlichen inklusiven Unterricht ausgezeichnet. Dieses Jahr bekommen außer der Hamburger Schule noch jeweils eine in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) und in Neunkirchen-Seelscheid (Nordrhein-Westfalen) sowie ein Schulverbund im Kreis Schleswig-Flensburg den Preis.
Pit Katzer freut sich über die Auszeichnung. Er ist seit 1984 an der Schule, viele Jahre als stellvertretender Schulleiter, seit zwei Jahren als Schulleiter und hat viel auf den Weg gebracht. Schon vor über 20 Jahren gab es Integrative Regelklassen an der Grundschule. Inklusion, also das gemeinsame Lernen für Schüler mit oder ohne Behinderung, ist hier nicht Neues. Leichter ist es in den vergangenen Jahren nicht geworden. Denn seit Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf Regelschulen besuchen dürfen, sei die personelle Ausstattung für die Schule schlechter geworden, sagt Katzer. Im Schulgesetz heißt es: „Sonderpädagogischer Förderbedarf besteht bei Schülerinnen und Schülern, die aufgrund einer Behinderung so schwerwiegend in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten beeinträchtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne eine spezifische fachliche Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können.“
An der Erich Kästner Schule hat man seit vielen Jahren Erfahrung mit diesen Schülern. Und damit, dass der Betreuungsaufwand groß ist: „Wir haben seit 20 Jahren die Erfahrung gemacht, dass Klassen, in denen drei bis vier Kinder mit erheblichem Förderbedarf sind, eine durchgehende Doppelbesetzung notwendig ist.“ Dafür bekomme er aber keine ausreichenden Ressourcen. „Wir bräuchten zwei Wochenstunden pro Inklusionsschüler mehr. Damit könnten wir gut arbeiten“, äußert Katzer Kritik in Richtung Schulsenator. Denn die Kinder seien bis zu 37 Stunden pro Woche in der Schule.
Ein Team von 180 Lehrern, Sozial- und Sonderpädagogen kümmert sich um 1350 Schüler an zwei Schulstandorten – der Vorschule bis Klasse sechs am Standort Berner Au und der Mittel- und Oberstufe am Hermelinweg. Nach Angaben von Katzer hat die Ernst Kästner Schule die Schülerschaft mit dem größten erhöhten sonderpädagogischen Bedarf aller Hamburger Schulen – bis zu 15 pro Jahrgang. Dazu kämen noch die LSE-Schüler, also Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung (LSE).
Fast 150 Schüler haben an der Farmsener Schule sonderpädagogischen Förderbedarf. Einen Schwerpunkt hätten er und die Pädagogen der Schule deshalb darauf gesetzt, den Unterricht so zu verändern, dass alle Kinder zu ihrem Recht kommt. Neue Lernformen kommen zum Einsatz. „Die Schüler lernen sehr individualisiert mit differenzierten Arbeitsplänen, aber gemeinsam in der Klasse“, sagt Katzer. Eine enorme Bedeutung habe der Projektunterricht. Acht Stunden pro Woche arbeiten die Schüler an lebensnahen Themen, möglichst in Teams, „in denen jeder das beiträgt, was ihm möglich ist“, so der Schulleiter. Präsentiert wird gemeinsam.
Die Lehrern Sonder- und Sozialpädagogen unterrichten in Klassenteams. Diese arbeiten als Jahrgangsteams eng zusammen.
Das erfordert viel Offenheit untereinander. „Ein Team muss zusammenwachsen, das ist nicht immer einfach“. Team-Begleiter helfen, wenn es hakt. „Teamarbeit hat den Berufsalltag des Lehrers ja früher nicht unbedingt ausgezeichnet“, sagt Schulleiter Katzer.
Weil die Ganztagsschule die Kinder und Jugendlichen auch zeitlich stark fordert, hat er lange dafür gekämpft, einen Therapie-Raum an der Schule einrichten zu können. Seit eineinhalb Jahren können die Schüler ihre Physio-, Ergo- oder Logopädie-Therapien direkt in der Schule bekommen. „Diese Schüler werden ohnehin häufig schon früh abgeholt und kommen spät nach Hause“, sagt Katzer zufrieden über seinen erfolgreichen Kampf.
Mit all diesen Ansätzen hat Katzer, dessen Schule schon zweimal für den deutschen Schulpreis nominiert war, viel Aufmerksamkeit erregt. Inzwischen sei sie einer der drei Hamburger Schulen, die ständig Besuch von Hospitanten bekommen, die sich anschauen wollen, wie Inklusion hier funktioniert. „Wir sind ein lernendes System“, sagt Katzer, „bei uns sind die Türen offen“.