Zweistellige Umsatzrückgänge drücken die Branche, aber das „Wandsbeker Musikhaus“ will dem schrumpfenden deutschen Markt trotzen. Und der drohenden Vertreibung durch die Gentrifizierung des Brauhausviertels.

Hamburg. Es ist keine Lauflage. Wer im „Wandsbeker Musikhaus“ eine Gitarre oder ein paar Noten kaufen will, kennt es schon und kommt gezielt in die Wandsbeker Königstraße 19. Weil der alte Hamburger Name auch auf dem Hinterhof zieht: Zinngrebe.

1950 gründeten Bernhard und Ingrid Zinngrebe aus ihrer Musikschule heraus den Instrumentenhandel. Das Geschäft wuchs, ein Musikkindergarten kam dazu, Filialen wurden gegründet. Doch der Ruhm verging. Wegen der hohen Miete zog das Geschäft von der Wandsbeker Marktstraße 75 in die zweite Reihe.

Zwischen Kfz-Werkstätten und Kleingewerbe fand sich der schlichte, zweigeschossige Flachdachbau auf dem Hinterhof an der Wandsbeker Königstraße. Die Kunden kamen auch hierhin. Aber in den 80er-Jahren kam die große Krise, viele Einzelhändler mussten schließen. Auch Zinngrebe ließ Federn. Erst Entlassungen, dann ein Neustart. Es ging wieder aufwärts. 1991 übernahm Susann Zinngrebe das Geschäft ihrer Eltern. Nahm Stepptanzschuhe, die sie aus den USA importiert, ins Sortiment.

Jetzt ist die nächste Krise da: Der Großhandel spricht von zweistelligen Umsatzrückgängen im Musikalienhandel. Die Kunden bleiben weg. Es gibt weniger Kinder. Und immer seltener finden sie nach der Ganztagsschule noch Zeit für Musikunterricht. Die Unterhaltungselektronik ist ein harter Konkurrent. Der Onlinehandel ist zu billig. Beratung darf nichts kosten.

Aber Susann Zinngrebe versucht, gegen den Trend zu wachsen. „Wir wollen übrig bleiben“, sagt sie. Sie hat investiert. Sie hat die obere Etage dazugenommen, das klassische Sortiment mit Schlagzeugen und E-Gitarren in Richtung Pop erweitert, ihren Auszubildenden übernommen und ihren Gitarrenspezialisten von einer Teil- zur Vollzeitkraft gemacht. „Wer immer nur schrumpft und immer weniger im Laden stehen hat, der wird auch immer unattraktiver“, sagt Susann Zinngrebe. Sie sieht keine Alternative. Privat hat sie sich Geld geliehen. Das ist günstiger als bei den Banken.

Der Geschäftsführer des Gesamtverbandes deutscher Musikfachgeschäfte, Heinz Stroh, zeichnet ein düsteres Bild. „2012 lief es zehn Monate lang ganz gut, aber das Weihnachtsgeschäft war sehr enttäuschend.“ 2013 zeige der Trend im Vergleich eher nach unten. 54 Prozent der Händler beklagen Umsatzrückgänge, nur 18 Prozent konnten sich verbessern. Gut laufen derzeit nur D-Pianos, die Nachfolger der E-Pianos. Laut Gesamtverband klare Verlierer sind Blasinstrumente, E-Gitarren und Klaviere. Das Wandsbeker Musikhaus konnte 2012 zulegen. Aber die hart erkämpften Zuwächse decken die Mehrkosten noch nicht. Die Ladeneinrichtung könnte moderner sein. Die Miete drückt im einstmals eigenen Haus. Und es droht die Vertreibung. Susann Zinngrebe fürchtet eine baldige Kündigung ihres Mietvertrages.

Der neue Bebauungsplan Wandsbek 75 will rund 350 Wohnungen in den „untergenutzten“ Hinterhöfen des sogenannten Brauhausviertels sehen. Die morbide wirkenden ein- und zweigeschossigen Flachdachhäuser aus den 50er- und 60er-Jahren sind der Politik zu ungeordnet und ein Dorn im Auge. Die Grundstücke seien, gemessen an der zentralen Lage, nicht dicht genug bebaut. Ein moderner Mix aus 75 Prozent Wohnen und 25 Prozent Gewerbe soll Abhilfe schaffen. „Urbanisierung“ heißt das Stichwort. Mit dem geänderten Baurecht, das Gewerbe- in Wohnungsbauflächen verwandelt, steigen die Bodenpreise schnell einmal um das Dreifache. Im Masterplan für das Viertel zwischen Brauhausstraße, Wandsbeker Königstraße, Königsreihe und Brauhausstieg ist Zinngrebe verschwunden. Stattdessen stehen dort vierstöckige Wohnblöcke mit Staffelgeschoss.

„Veränderungsdruck ist da, aber Veränderung ist auch notwendig im Viertel“ sagt der Leiter der Abteilung Stadtplanung in der Handelskammer, Jan-Oliver Siebrand. „Wir erwarten natürlich, dass Unternehmen, die reagieren müssen, von der Stadt so gut beraten und betreut werden, dass sie zu vertretbaren Konditionen anderswo unterkommen oder am Standort sinnvoll verkleinern und so Kosten drücken können.“ Handelskammer, Hamburgische Gesellschaft für Wirtschaftsförderung und der Wirtschaftsbeauftragte des Bezirksamtes stünden dafür bereit.

„Ich habe keine Reserven mehr“, sagt Susann Zinngrebe. Beratungen hat sie schon hinter sich. „Ein Umzug wäre der Todesstoß für mein Geschäft.“ Eine Dauerbaustelle vor ihrem Laden auch. Vermieter Manfred Kruse wollte sich zu den Verkaufsgerüchten und etwaigen Bauplänen nicht äußern. Der Mietvertrag hat sechs Monate Kündigungsfrist.