Dirk Kienscherf, SPD-Wohnungsbauexperte, und Axel Kloth, Vorsitzender des IVD Nord, im Streitgespräch über Wohnungsnot, Mietenexplosion, Makler und die Gefahr einer Immobilien-Blase.
Olaf Scholz gewann 2011 die Wahl mit dem Versprechen, den Wohnungsbau massiv zu unterstützen. Seither hat der Senat zahlreiche Regelungen zu Miethöhen und Wohnraumschutz erlassen. Bei den Koalitionsverhandlungen im Bund sollen nach Wunsch der SPD weitere Gesetze vereinbart werden, die die Freiheit des Immobilienmarktes einschränken. Ist das tatsächlich notwendig zum Schutz der Mieter – oder schreckt es Investoren ab und führt am Ende zu mehr Wohnungsnot? Wie dramatisch ist die Lage am Wohnungsmarkt wirklich? Welche Rolle sollen Makler künftig noch spielen? Wie wird sich der Immobilienmarkt in den kommenden Jahren entwickeln? Ein Gespräch mit Dirk Kienscherf, Wohnungsbau-Experte der SPD-Bürgerschaftsfraktion, und Axel Kloth, Vorsitzender Immobilienverband Deutschland Region Nord (IVD Nord) über das Besteller-Prinzip, die Kappungsgrenze und das schlimme Spiel der Banken.
Hamburger Abendblatt: Herr Kienscherf, die SPD zieht dem freien Wohnungsmarkt ein Korsett über, um den Mietenanstieg zu bremsen. Skizzieren Sie doch mal, mit welchen Instrumenten Sie dabei arbeiten.
Dirk Kienscherf: Also von Korsett würde ich nicht sprechen. Den Kurswechsel haben wir in Hamburg ja zunächst mit dem verstärkten Wohnungsbau eingeleitet. Wir wollen 6000 neue Wohnungen pro Jahr bauen. Weil es natürlich etwas dauert, bis sich das Bauprogramm in stabilen Mieten niederschlägt, haben wir parallel dazu diverse Maßnahmen zum Schutz der Mieter ergriffen. Wir haben ein Wohnraumschutzgesetz verabschiedet, das Leerstände minimieren und verhindern soll, dass Wohnungen zum Beispiel als Ferienwohnungen zweckentfremdet werden. Und wir haben zum 1. September die Kappungsgrenzen gesenkt. Das heißt: Künftig dürfen die Mieten innerhalb von drei Jahren nur noch um höchstens 15 Prozent erhöht werden.
Und das ist noch nicht alles. Im Bund wollen Sie nun mit der CDU zusammen eifrig weiter regulieren.
Kienscherf: Richtig ist: Wir wollen, ganz ohne Eifer, zwei weitere Regelungen zum Schutz der Mieter einführen, die wir für nötig halten. Bei Neuvermietungen soll die Miete künftig nach unseren Plänen höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Und wir wollen bei Maklern das Bestellprinzip einführen, das heißt: Wer den Makler einschaltet, trägt die Kosten. Stärken wollen wir den Wohnungsbau aber zugleich durch bessere Abschreibungsmöglichkeiten für Investoren.
Kann die Immobilienwirtschaft mit den neuen Regeln leben, Herr Kloth?
Axel Kloth: Es geht uns allen darum, den starken Mietenanstieg und auch Auswüchse von Gier zu bekämpfen. In den Zielen besteht also Einigkeit. Bei den Maßnahmen zu ihrer Erreichung liegen wir aber weit auseinander. Der beste Mieterschutz ist ein großes Angebot an Wohnraum. Da hat der Senat mit dem Bauprogramm und dem Bündnis für das Wohnen, in dem Immobilienwirtschaft, Mietervereine und Regierung zusammenarbeiten, sehr gute Arbeit geleistet. Dass er nun aber parallel massiv in die Freiheit des Wohnungsmarktes eingreift, das halten wir für kontraproduktiv. Damit können wir nicht gut leben. Die Mieter am Ende vermutlich auch nicht.
Warum nicht?
Kloth: Weil es dazu führen könnte, dass Investoren abgeschreckt werden. Ein Beispiel: Der Senat hat ja festgelegt, dass ein Drittel der Wohnungen bei Neubauprojekten Sozialwohnungen sein sollen. Das halten wir für richtig. Nun muss man aber wissen: Mit diesen Wohnungen verdient man in den 15 Jahren der Sozialbindung gerade mal die laufenden Kosten. Erst danach kann man einen Überschuss mit ihnen erwirtschaften. Wenn man nun aber die Möglichkeiten der Mieterhöhungen nach Ende der Sozialbindung auf 15 Prozent in drei oder nach Willen der Koalitionspartner sogar nur vier Jahren begrenzt, wird die Anpassung an die Marktpreise nach Fristende behindert. Und man erwirtschaftet als Investor immer noch sehr wenig. Deswegen hat die Senkung der Kappungsgrenze schon jetzt dazu geführt, dass Investoren für diese Wohnungen abspringen. Wenn nicht genug Wohnungen entstehen, führt das am Ende zu weiter steigenden Mieten. Also bezahlen die Mieter die Rechnung für diese Politik.
Kienscherf: Uns geht es lediglich darum, in der Zeit, bis wir 50.000 neue Wohnungen in Hamburg haben, etwas regulierend einzugreifen, um Mieter vor zum Teil extremen Mietanstiegen zu schützen. Ich denke, da haben wir das richtige Maß gefunden. Wir legen Wert auf eine gute Zusammenarbeit mit der Immobilienwirtschaft. Und natürlich muss es sich für Investoren lohnen, Wohnungen zu bauen. Und das soll es auch. Und es lohnt sich auch noch immer. Wir haben lediglich die Goldgräberstimmung etwas gedämpft.
Kloth: Was heißt extreme Mietanstiege? In Wahrheit sieht es auf dem Wohnungsmarkt gar nicht so dramatisch aus, wie immer behauptet wird. Der gerade vorgelegte Mietenspiegel weist einen Anstieg der Mieten von 5,7 Prozent in zwei Jahren aus. 3,3 Prozent davon sind Inflation. Von explodierenden Mieten kann man da nicht sprechen. Die Mieten steigen zwar in sehr nachgefragten Vierteln stark an, aber in Lurup, Rahlstedt oder Harburg zum Beispiel nicht.
Kienscherf: Das ist richtig, aber erstens hat die Zahl der wirklich günstigen Wohnungen weiter abgenommen. Und zweitens gibt es auch Viertel, in denen wir Anstiege von 20 bis 30 Prozent in zwei Jahren hatten. Auch bei den Altbauten ist der Anstieg sehr stark.
Kloth: Ja, aber man kann doch nicht Gesetze für ganz Hamburg oder sogar ganz Deutschland aufgrund der Lage in einer Handvoll Szenevierteln machen. Weil in Eimsbüttel oder in der beliebten Schanze die Mieten stark steigen, soll der gesamte deutsche Wohnungsmarkt überreguliert werden? Da wird mit Schrot geschossen, obwohl es nur punktuelle Probleme gibt. Was Investoren abschreckt, ist dieses ewige Herumdoktern an Gesetzen. Als Investor brauchen sie eine langfristige Sicherheit. Wir brauchen kalkulierbare, stabile Rahmenbedingungen. Die hatten wir bisher. Wir gehören schon jetzt europaweit zu den Ländern mit dem besten Mieterschutz.
Eine gravierende Änderung soll es auch bei den Maklern geben. Was haben Sie da vor, Herr Kienscherf?
Kienscherf: Das ist ganz einfach: Wer den Makler bestellt, der soll ihn auch bezahlen. Das ist einleuchtend.
Kloth: Damit könnten wir notfalls leben, wenn es ein echtes Bestellerprinzip wäre – und wenn verlässliche Spielregeln für den Maklerberuf festgelegt werden. Was aber nach den aktuellen Plänen passieren würde, ist etwas anderes. Jemand bestellt einen Makler und sagt: Ich zahle dir aber nicht die üblichen zwei Nettokaltmieten. Dann sagte der qualifizierte Makler, der sich regelmäßig fortbildet, ordentlich für den Fall von Beratungsfehlern versichert ist und echte Expertise hat: Okay, einigen wir uns auf diesen und jenen etwas günstigeren Preis. In dem Moment aber taucht ein anderer Makler ohne jegliche Ausbildung und Qualifikation auf und macht es billiger, weil er geringere Kosten hat. Bisher ist es in Hamburg einfacher, Makler zu werden als Gemüsehändler. Wir brauchen eine Qualitätssicherung für den Maklerberuf, wenn durch neue Regeln ein Ungleichgewicht entsteht.
Kienscherf: Über die Richtung sind wir uns einig. Aber die meisten kennen das doch: Es gibt Makler, die tauchen noch nicht einmal zur Wohnungsbesichtigung auf, schicken aber sofort die Gebührenrechnung. Das habe ich schon häufiger erlebt.
Ich auch.
Kienscherf: Um solche Auswüchse zu bekämpfen, wollen wir das Bestellerprinzip einführen. Wie die Umsetzung nachher konkret im Detail aussieht, da muss man ganz intensiv drüber reden. Und das würde die Koalition in Berlin dann auch tun. Und wir würden uns natürlich auch um das Thema Qualitätssicherung bei den Maklern kümmern. Wir haben da ja in Hamburg einen Anlauf unternommen, das stieß aber intern zunächst auf Skepsis. Es gab auch EU-Bedenken. Aber wir beraten das Thema derzeit in den Ausschüssen der Bürgerschaft.
Hohe Mieten und extrem niedrige Zinsen haben dazu geführt, dass immer mehr Menschen Wohnungen kaufen oder Häuser bauen statt zu mieten. Auch deswegen steigen die Immobilienpreise. Droht uns eine Blase, die platzt, sobald Zinsen steigen und Preise fallen? Könnte es in Hamburg dazu kommen, dass überschuldete Käufer aus ihren Häusern fliegen wie in den USA?
Kloth: Wir werden solche Fälle erleben. Einige Banken haben da auch bei uns ein ganz schlimmes Spiel gespielt – aus meiner Sicht. Sie haben es zugelassen, dass Immobilien mit sehr wenig Eigenkapital und einer Tilgung von nur einem Prozent gekauft wurden. Da wurde bis an die Grenze finanziert, damit die Banken ihre Geschäfte machen konnten. Dann wurden die Zinsen für zehn Jahre festgeschrieben. Und wenn nach zehn Jahren statt 2,5 plötzlich 4,5 Prozent Zinsen fällig sind, dann ist so eine Familie auf einen Schlag pleite. Weil sie überhaupt keine Reserven hat.
Droht uns also eine große Privatpleiten-Welle wie in den USA?
Kloth: Das glaube ich wiederum nicht. Denn die Banken sind seit etwa einem Jahr auch vorsichtiger geworden. Sie verlangen jetzt in der Regel 20 Prozent Eigenkapital und eine Tilgung von zweieinhalb Prozent. Außerdem ist die Bewegung in den Märkten bei uns viel geringer als in den USA. Ich bin aber sicher, dass nicht jeder, der jetzt eine Eigentumswohnung gekauft hat, ohne Schaden rauskommt. Für manche wird es ein böses Erwachen geben. Besonders hart wird es die treffen, die mit ihrem letzten Geld eine Neubauwohnung als Kapitalanlage gekauft haben. Weil durch die Gesetzgebung die Mieten nicht angemessen steigen können, und weil Neubauerstbezug besonders teuer ist. Erstbezug geht aber nur einmal, wie uns die Logik sagt. Das ist wie bei einem Neuwagen. Einmal zugelassen, ist er sofort weniger wert.
Kienscherf: Man sieht tatsächlich, dass manche Einkommensgruppen in Hamburg Eigentumswohnungen kaufen, bei denen man denkt: Das ist wirklich schon an der Grenze der finanziellen Belastbarkeit.
Kloth: Stimmt. Wir haben in Hamburg eine sehr ähnliche Lage wie 1990-93. Damals hatten wir nach der Maueröffnung eine große Nachfrage und die Preise waren oben, also wurde sehr viel investiert und gebaut. Kaum waren die Wohnungen am Markt, gingen die Preise wieder zurück. An genau dem Punkt sind wir jetzt: Die Wohnungen kommen an den Markt. Ich prognostiziere für die kommenden Jahre eine Seitwärts- bis leichte Abwärtsbewegung.
Übersetzt: Wohnungen und Häuser werden in Hamburg günstiger.
Kloth: Ja, davon gehe ich aus. Im Durchschnitt jedenfalls. Das gilt aber voraussichtlich nicht für Toplagen. Die Preise sind heute schon nicht mehr so hoch wie vor einem Jahr. Sowohl Mieten als auch Kauf.
Meine Herren, wagen wir einen Ausblick: Wie werden sich Mieten, Preise und Wohnungsangebot bis 2020 in Hamburg entwickeln?
Kloth: Ich glaube, wie gesagt, dass Mieten und Preise in den kommenden Jahren eher sinken werden. Bis 2020 wird es dann wieder eine moderate Aufwärtsbewegung geben. Dabei bewegen wir uns insgesamt in einem stabilen, moderaten und nachhaltigen Aufwärtstrend, ohne allzu starke Ausschläge. Dazu trägt auch bei, dass das Hamburger Bündnis für das Wohnen funktioniert. Der SPD-Senat macht, ich sage es noch einmal, hier gute Arbeit. Ich sage aber auch: Leute, nun lasst das doch mal wirken. Und fangt nicht an, gleichzeitig wie verrückt in den Markt einzugreifen.
Kienscherf: Ich glaube, wir schaffen die 6000 neuen Wohnungen pro Jahr, und es wird darauf ankommen, dass man das für mindestens zehn Jahre weitermacht. Ich gehe trotzdem davon aus, dass die Mieten zunächst noch steigen. Allerdings nicht mehr so stark wie zuletzt. In einem Punkt bin ich mir ganz sicher: Hamburg wird eine wachsende, attraktive Stadt bleiben.