Hamburg. In der Schwimmhalle Wandsbek bildet die DLRG ihren Nachwuchs zu Juniorrettern aus. Der Abendblatt-Verein unterstützt das Projekt.
Dort, wo mit tropischen Temperaturen der ewige Sommer herrscht, steht an einem verregneten Dezembertag der elfjährige Noah am Beckenrand der Wandsbeker Schwimmhalle.
Das Wasser, in dem der Schüler aus einer sozial benachteiligten Familie gleich sein Können unter Beweis stellen muss, hat eine Temperatur von 28 Grad Celsius.
DLRG-Juniorretter in Hamburg: Kinder lernen Leben retten
Noah (Name von der Redaktion geändert) springt nicht aus purem Freizeitvergnügen in das wohltemperierte Bäderland-Nass, sondern mit einer gehörigen Portion Lerneifer. Das sportbegeisterte Kind möchte später gern Rettungsschwimmer werden.
Er träumt von spannenden Ferieneinsätzen am Ostseestrand für die Deutsche-Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und von weiteren Engagements für diese Organisation, die im niedersächsischen Bad Nenndorf ihren Hauptsitz hat und in einzelnen Landesverbänden organisiert ist. Bis Noah allerdings die begehrte Ausbildung beginnen kann, überbrückt er sie mit einem altersspezifischen Kurs für die Qualifikation als Juniorretter.
Juniorretter: Pensionierter Beamter hilft bei DLRG-Ausbildung
„Er wurde speziell für Kinder entwickelt, die mindestens zehn Jahre alt sind und bereits das Deutsche Schwimmabzeichen ‚Gold‘ vorweisen können. Das ist Vorstufe für das Deutsche Rettungsschwimmabzeichen ‚Bronze‘, das man erst ab zwölf Jahren ablegen kann“, sagt Sven Tandel. Der pensionierte Beamte arbeitet ehrenamtlich für die DLRG als Schwimmlehrer, ist deren „Hallenwart“ in Wandsbek und bildet die Juniorretter aus.
Jetzt steht Sven Tandel neben den klar abgegrenzten Bahnen in der Wandsbeker Schwimmhalle und achtet darauf, welche Fortschritte Noah und die anderen Jungen und Mädchen machen.
Heute gehört neben dem üblichen Schwimmen (Brust, Rücken, Kraulen) das „25 Meter weite Schleppen eines Partners mit Achselschleppgriff“ zum Kursprogramm. Eine Stunde lang wird das Training insgesamt dauern, 18 Stunden der gesamte Kurs in Theorie und Praxis. Anders als in den stark frequentierten Spaßbädern geht es von 19 bis 20 Uhr konzentriert und weitgehend leise zu. Die Bahnenzeiten, die Bäderland an verschiedene Vertragspartner vergibt, sind rar und heiß begehrt. Disziplin ist gefragt. „Ich bin sehr froh, dass ich hier mitmachen kann“, sagt Noah. „Mir macht Schwimmen und das Retten im Wasser richtig Spaß.“
DLRG-Juniorretter: Tauchen ohne Taucherbrille gehört zur Ausbildung
Kaum hat er das in einer kurzen Pause gesagt, gibt Schwimmlehrer Tandel die nächste Anweisung. Tauchen ohne Abstoßen vom Beckenrand und ohne Taucherbrille. „Denn bei realen Einsätzen ist auch nicht immer eine Schwimmbrille zur Hand.“ Beim Tauchtraining wirft Tandel mit seinem Team, zu dem an diesem Abend auch Leander Gabriel von der Wandsbeker DLRG-Verbandskommunikation gehört, ein besonderes Auge auf seine Schützlinge. Seit er sich als Schwimmlehrer für die Ausbildung der Juniorretter engagiert, musste er zweimal plötzlich selbst als Rettungsschwimmer tätig werden. Einer von ihnen hatte sich vor Kursbeginn bereits körperlich übernommen und war damit so stark unter die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gesunken, dass er fast ertrunken wäre. Der heute 60-Jährige rettete ihm das Leben. „Solche Situationen muss ich nicht noch einmal haben“, sagt er.
Nach DLRG-Angaben zielt das Projekt Juniorretter, das der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ finanziell fördert, darauf ab, Kinder und Jugendliche in benachteiligten Stadtteilen Hamburgs zu sicheren Schwimmern und zukünftigen Lebensrettern auszubilden.
Durch regelmäßiges Training und qualifizierte Ausbilder werde den Kindern nicht nur das Schwimmen beigebracht, sondern auch lebenswichtige Rettungstechniken vermittelt. Das Projekt soll die Schwimmsicherheit erhöhen und potenzielle Unfälle verhindern. Angesprochen sind vor allem Kinder und Jugendliche aus Brennpunktstadtteilen Hamburgs, die durch dieses Projekt Zugang zu einer qualifizierten Schwimmausbildung bekommen – und sie sonst wohl nicht erhalten würden.
Sozialverband Hamburg warnt: Viele Kinder können nicht schwimmen
Dass Kinder schwimmen können, ist längst zu einer sozialpolitischen Herausforderung in der Stadt geworden. Die Arbeit der DLRG für die Juniorretter ist ein positives Beispiel. Aber es gibt noch viel mehr zu tun. Darauf weist Klaus Wicher, Landesvorsitzender des Sozialverbandes SoVD Hamburg, hin: „Die Stadt Hamburg muss vor allem in Stadtteilen mehr tun, in den viele Familien mit Migrationshintergrund und geringem Einkommen leben, damit auch hier die Kinder früh schwimmen lernen.“
Denn Hamburgs Gewässer bergen Gefahren, es ertrinken immer wieder Kinder – vor allem, wenn sie nicht schwimmen können. „Die Schwimmlern-Offensive von 2022 und 2023, mit der der Senat den Corona-bedingten Rückstau an Schwimmkursen aufholen wollte, war gut“, sagt Wicher.
Das Programm entlastete Familien, die Sozialleistungen bekommen. Sie erhielten finanzielle Unterstützung, um kostenfrei Schwimmkurse von Sportvereinen, Bäderland Hamburg und privaten Anbietern nutzen zu können. Inzwischen kostet das „Seepferchen“ für Kinder ab fünf Jahren, bei Bäderland 178 Euro. Um wirklich sicher schwimmen zu können, ist der Bronzekurs à 104,95 Euro im Anschluss obligat. „Familien mit geringen Einkommen können sich diese Kurse nicht leisten“, weiß Wicher. „Für ihre Kinder bedeutet dies in einer Stadt mit vielen Gewässern ein hohes Risiko, zu ertrinken.“ Deswegen bezahlt der Abendblatt-Verein auch hier Kurse für bedürftige Kinder.
Sozialverband: Kinder bleiben Schwimmkursen aus religiösen Gründen fern
Hinzu kommt, dass die wenigen bei Bäderland verfügbaren Plätze schnell ausgebucht sind. Wicher: „Die Schwimmfähigkeit von Kindern aus benachteiligten Familien in ärmeren Stadtteilen ist weiter niedrig. Zudem bleiben manche Kinder dem Schwimmbad aus religiösen Gründen fern. Hier muss die Stadt mehr aufklären oder besondere Schwimmkurse anbieten.“
Zwar erhalten grundsätzlich alle Hamburger Kinder Schwimmunterricht an den Schulen. Allerdings ist die reine Schwimmzeit oft sehr gering, da der Weg zur Schwimmhalle sowie das Umziehen häufig kostbare Zeit vergeuden. „Hier wäre es sinnvoll, an den Schulen mehr Zeit für das lebensrettende Schwimmtraining einzuplanen“, sagt Wicher. „Für die Möglichkeit, über den verpflichtenden Schwimmunterricht hinaus freiwilligen Schwimmunterricht mit schuleigenen Lehrkräften anzubieten, fehlen viel zu oft die personellen Kapazitäten sowie freie Zeiten in den Schwimmbädern. Hier müssen schnell Lösungen her, damit nicht jedes Jahr wieder Kinder in Hamburg ertrinken.“
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Wer das Glück hat, einen Platz im Juniorretter-Kurs zu erhalten, ist mit überschaubaren Kosten dabei. Wie Sven Tandel sagt, zahlen die Eltern einen Spartenbeitrag von 30 Euro sowie eine einmalige Prüfungsgebühr von 40 Euro. In diesem Jahr absolvieren allein in der Wandsbeker Halle 30 Mädchen und Jungen die Ausbildung zum Juniorretter.
Juniorretter in Hamburg lernen in der Theorie Herzdruckmassage
Während sie im Wasser praktische Rettungseinsätze mit hohem Tempo lernen, erfahren sie in den Theoriestunden erstes Wissen über die Herzdruckmassage, das Anlegen von Verbänden und erhalten Regeln, die beim Auffinden einer Person zu befolgen sind. Nach erfolgreich bestandener Prüfung werden Noah und all die anderen einen „Schulterschlag“ ihres Schwimmerlehrers, wie er schmunzelnd sagt, einen Händedruck und einen Ausweis, samt DLRG-Stempel, erhalten.
Danach kann es weitergehen mit der Ausbildung zum Rettungsschwimmer, mit zwölf Jahren in Bronze. Für das Abzeichen in Silber gilt ein Mindestalter von 14 Jahren, und für Gold muss man 16 Jahre alt sein. Noah jedenfalls freut sich darauf. „Ich will unbedingt Gold ablegen“, sagt er und startet das vom Lehrer angeordnete 100-Meter-Schwimmen ohne Unterbrechung.