Uhlenhorst. Die Einrichtung für Schüler mit geistiger Behinderung erhielt für ihr Engagement im Bereich politische Bildung den Budnianer Hilfe Preis.

„Ich hatte vorher nie Interesse an Politik, aber durch die intensive Beschäftigung damit in der Schule, finde ich es jetzt richtig spannend.“ „Wir waren in der Körber-Stiftung und haben beim begehbaren Wahl-O-Mat mitgemacht, danach wusste ich, welche Partei zu mir passt.“ „Demokratie ist, dass jeder ein Recht auf freie Meinungsäußerung hat und so sein darf, wie er oder sie ist.“ „Ich fand es spannend, im Rathaus mit einem Bürgerschaftsabgeordneten zu sprechen.“

Campus Uhlenhorst: Teilhabe am sozialen und politischen Leben wird großgeschrieben

Das sind alles Aussagen von Schülern mit einer geistigen Beeinträchtigung zu ihrem Schulunterricht im Bereich Politische Bildung auf dem Campus Uhlenhorst. Diese besondere Einrichtung nimmt sich Schülern an, die die zehnte Klasse beendet haben und sich in der elften und zwölften Klasse durch Praktika in Unternehmen auf ihr Berufsleben vorbereiten.

Teilhabe an der Gesellschaft wird hier ganz großgeschrieben, und Valeska Faber, die an der Schule als sogenannter Praxis-Lerncoach arbeitet, hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihren Schülerinnen und Schüler auch die Teilhabe am politischen Leben zu vermitteln. Für ihr Engagement in diesem Bereich wurde die Schule diese Woche mit dem Budnianer Hilfe Preis ausgezeichnet und erhielt 5000 Euro dafür.

Campus Uhlenhorst
Valeska Faber, Praxis-Lerncoach und verantwortlich für politische Bildung am Campus Uhlenhorst, und Schulleiter Tobias Fritze. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Die Vermittlung von politischer Teilhabe macht die Lehrerin ganz praxisnah. So war Valeska Faber mit ihren Schülern nicht nur im Rathaus, wo die Jugendlichen mit dem SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Simon Kuchinke sprachen, sondern zu den EU-Wahlen lud sie auch eine Europaabgeordnete in die Schule ein. Sie führte zudem eine Juniorwahl durch, bei der die Jugendlichen Wahlkabinen aufbauten und anhand von Musterstimmzetteln schon mal eine Probeabstimmung durchführen konnten.

„Ich empfinde es als Privileg, dass wir frei wählen dürfen, und für mich ist essenziell, dass wir viel über Demokratie und politische Themen sprechen“, sagte Valeska Faber. Das muss sie aufgrund der kognitiven Einschränkung ihrer Schüler in leichter Sprache tun.

Mit einigen Schülern ging es zum Reichstag nach Berlin

Doch das hinderte die jungen Leute nicht daran, ganz offen Fragen an den SPD-Bundestagsabgeordneten Falko Droßmann zu stellen, den Faber mit einigen, ausgesuchten Schülern im Berliner Reichstag besuchte. Das war übrigens vor eineinhalb Jahren der Startschuss für die politische Bildungsarbeit am Campus Uhlenhorst.

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Die Liste der weiteren Projekte ist lang. Da wäre noch der inklusive politische Bildungsurlaub nach Belgien zu erwähnen, wo die Zwölftklässler in Brüssel mit einer EU-Politikerin mit einer körperlichen Behinderung sprachen, die Projektwoche im Willy-Brandt-Haus in Lübeck oder die Teilnahme an Hamburgs längster Tafel für Demokratie. Politische Bildung ist kein eigenes Unterrichtsfach, sondern Valeska Faber streut es immer wieder mal ein, wenn es zu einem aktuellen Ereignis passt.

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Konstantin und Marie (r.) diskutieren mit ihren Mitschülerinnen und -schülern über Demokratie. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Eigentlich ist sie als Praxis-Lerncoach für den Bereich soziale Arbeit zuständig und vermittelt ihren Schülern Praktika in eins der rund 400 Unternehmen, mit denen der Campus Uhlenhorst zusammenarbeitet. Ziel ist es, die jährlich rund 50 Schüler, die zum Teil aus Bugenhagen- und Stadtteilschulen kommen oder Teilnehmer des Berufsbildungsbereichs der Alsterarbeit gGmbH sind, auf den ersten Arbeitsmarkt unterzubringen.

Gründer des Campus waren zwei Väter, deren Kinder das Downsyndrom haben

Die Einrichtung sei einzigartig in Deutschland, sagt Schulleiter Tobias Fritze. Sie wurde aus einer Privatinitiative zweier Väter gegründet – Klaus Kesting und Ingo Fischer –, die beide Söhne mit einem Downsyndrom haben und verhindern wollten, „dass Kinder wie unsere einfach in einer Werkstatt für Behinderte verschwinden“, wie es Klaus Kesting ausdrückt.

Er hat mithilfe des damaligen Bürgermeisters Henning Voscherau den Zuschlag für das parkähnliche Grundstück in der Heinrich-Hertz-Straße erhalten, auf dem nun das moderne Campusgebäude steht. Klaus Kesting gründete mit Ingo Fischer die Kesting-Fischer Stiftung und holte 2014 mit den Bugenhagenschulen, der Alsterarbeit gGmbh weitere Kooperationspartner mit ins Boot. Sein Sohn Maximilian war vor zehn Jahren einer der ersten Schüler. Der 26-Jährige arbeitet jetzt in der Küche der Schule, in der für alle Lehrer und Schüler das Mittagessen gekocht wird.

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Campus Uhlenhorst-Gründer und -Stifter Klaus Kesting mit seinem Sohn Maximilian Kesting, der in der Küche der Einrichtung arbeitet. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

„Wir fingen mit 18 Jugendlichen hier an, inzwischen sind wir mit 55 an unserer Kapazitätsgrenze“, sagt Schulleiter Fritze, der zuvor als Sonderschulpädagoge an einer Bugenhagenschule gearbeitet hat. Die Schülerinnen und Schüler können am Campus zwischen sechs Schwerpunkten wählen. Neben der sozialen Arbeit, bei der sie einmal die Woche entweder in einer Kita oder einem Seniorenheim arbeiten, gibt es die berufsorientierenden Bereiche Garten-Landschaftsbau, Gastronomie, Hauswirtschaft, Handwerk und Digital & Kreativ. „Der Handwerksbereich hat zum Beispiel für die Haspa in der Hamburger Meile einen riesigen Konferenztisch gebaut. Und wir arbeiten auch mit der naheliegenden Kirchengemeinde zusammen, mähen dort den Rasen“, sagt Fritze.

Die Sichtbarkeit nach außen stärkt Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit

Die Schülerinnen und Schüler sollen sichtbar nach außen sein. Denn das stärkt Selbstbewusstsein und vor allem ihre Selbstständigkeit. So ist auch Voraussetzung für die Aufnahme auf den Campus, dass die Jugendlichen alleine mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kommen können. Die Schüler können bis zu vier Jahre an der Schule bleiben, die durch Schülerkostensätze der Schulbehörde, der Agentur für Arbeit und der Kesting-Fischer Stiftung finanziert wird. Die Schüler zahlen – wenn sie können – 92 Euro Schulgeld pro Monat.

Neben den Schwerpunkten, die durch die fünf Praxis-Lerncoachs, abgedeckt werden, gibt es noch frei wählbare Kurse, die die Schüler individuell mit ihrem Lern-Coach absprechen, ebenso wie einen Wochenplan, „in dem sie selber bestimmen können, wo sie noch eine Vertiefung benötigen, das kann in Rechtschreibung oder Mathe sein, sie können ein Buch lesen oder eine Bewerbung schreiben“, sagt Schulleiter Fritze. Jeder wird individuell nach seinen Talenten und Neigungen gefördert, das ist die Idee dahinter.

Es gibt neben Unterricht auch Bildungsfahrten ins In- und Ausland

„Die Art und Weise, wie hier Schüler mit Behinderungen gefördert werden, übertrifft bei Weitem meine Erwartungen“, sagt Campus-Gründer Klaus Kesting, der die Einrichtung als Brücke zwischen der Schule und der Arbeitswelt beschreibt. Denn das Hauptaugenmerk liegt auf der Vermittlung von Praktikumsplätzen. „Manche machen nur zwei in zwei Jahren, andere 20; im Durchschnitt sind es fünf bis sechs pro Schüler“, sagt Fritze. Es gibt Bewegungs-, Theater-, Segel und Fußballkurse. Dazu gibt es etliche Bildungsfahrten ins In- und Ausland, Ausflüge und Workshops. „Wir sind wie ein Labor, versuchen ganz unterschiedliches, um unseren Schülern so viel gesellschaftliche Teilhabe, wie es nur geht, zu ermöglichen“, sagt Fritze.

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Im Eingangsbereich hängen Porträts von aktuellen und ehemaligen Schülern, die mit einem knackigen Satz beschreiben, was sie besonders gut können. Der Schulleiter bleibt vor einigen Porträts stehen und erzählt, welche spannenden Berufswege die Ehemaligen gegangen sind: Da ist vom Hausmeister, bis Hauswirtschaftsleiterin einer Kita, Kellner, Alltagshelfer im Seniorenheim, Schauspielerin bis zum politischen Aktivisten alles dabei. Mehr als die Hälfte der Absolventen können auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen.

Wen man die Schülerinnen und Schüler fragt, was das Besondere am Campus Uhlenhorst ist, kommen folgende Aussagen: „Hier sind die Schüler respektvoll und höflich miteinander“, „Ich finde gut, dass es Lern-Coachs gibt“, „Ich kann viele Arbeitsbereiche ausprobieren“ und: „Ich finde toll, dass jeder am Campus ganz in seinem Tempo gefördert wird.“

Informationen zum Campus Uhlenhorst unter www.campus-uhlenhorst.de

Weitere Preisträger des Budnianer Hilfe Preises 2024:

Dolle Deerns e.V, hat das Projekt „Stärke deine Stimme“, das Mädchen und junge Frauen fördert, indem es ihnen demokratische Prinzipien vermittel und sie ermutigt, sich gegen Diskriminierung und für eine inklusive Gesellschaft einzusetzen. Ein eigener Projektbereich ermöglicht ihnen zudem, demokratische Entscheidungsprozesse praktisch zu erfahren und ihre Ideen umzusetzen. Der Verein erhielt für sein Engagement den Hauptpreis von 10.000 Euro.

Mit mehr als 150 Videos, die leicht zugängliche Informationen zu Orten und Angeboten in Hamburg vermitteln, sowie durch regelmäßige Treffen und Workshops unterstützt das Projekt „Yalla rein in die Stadt” von GWA St. Pauli junge, geflüchtete Menschen im Alter von 16–27 Jahren, die sich orientieren und engagieren möchten. Hierbei werden Teamarbeit, demokratisches Miteinander und langfristige Selbstorganisation gefördert. Das Projekt erhielt 3000 Euro

Das FUNDUS Theater fördert mit dem Projekt „Kinderwahlbüro 2025” die politische Bildung und Beteiligung von Kindern durch ein interaktives Wahlbüro, das von der 6. Klasse der Wichern-Schule unter Leitung von Hannah Kowalski gestaltet wird. Die Kinder beschäftigen sich mit Politik, äußern ihre politischen Wünsche und Rechte und produzieren Videos über Parteien und Wahlinformationen, die auf TikTok und im Wahlbüro präsentiert werden. Dafür gab es 2000 Euro Preisgeld.

Einen Ehrenpreis in Höhe 5000 Euro – (vergeben durch Cord Wöhlke) erhielt das Projekt „Architecture of Hope“ des Helmut-Schmidt-Gymnasiums in Wilhelmsburg. Es setzt sich mit jüdischen und arabischen Jugendlichen gegen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus ein. Ziel des Projekts ist es, Brücken zwischen den Kulturen zu bauen, Vorurteile abzubauen und ein friedliches Miteinander zu fördern.