Das Wohnprojekt „Land in Sicht“ vom CaFée mit Herz will ehemaligen Obdachlosen wieder zu einem würdigen Leben verhelfen

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Das Wohnzimmer in der hellen Zweizimmerwohnung sieht einladend aus. Neben Küchenzeile und einfachen Möbeln fallen einige individuelle Accessoires auf. Ein Teppich in angenehm warmen Orangetönen, Bilder und Fotokunstwerke an den Wänden, Grünpflanzen auf einem Regal oder kunstvoll arrangierte Gegenstände, wie etwa eine zur Lampe umfunktionierte Kaffeemaschine. „Das sind Fundstücke, die ich auf der Straße entdeckt oder als Spenden erhalten habe“, sagt Bewohner Boto. Der 59-Jährige ist vor fünf Monaten eingezogen. Er hat ein Auge für „schöne Dinge, mit denen ich mich gern umgebe“, sagt er. Lange Zeit konnte er das nicht. Mehr als drei Jahre lang war er wohnungslos. Zuletzt lebte er acht Monate in der Obdachlosenunterkunft Pik As.

Boto ist einer von sieben ehemals wohnungs- oder obdachlosen Männern und Frauen, die zurzeit in einer Wohnung des Projekts „Land in Sicht“ der Tagesaufenthaltsstätte CaFée mit Herz leben. Vor drei Jahren mietete der gemeinnützige Verein sechs Wohnungen in einer ruhigen bürgerlichen Umgebung in Eidelstedt an, um Menschen ohne Wohnsitz eine Chance zu geben, in ein eigenständiges Leben zurückzukehren. Eigentlich betreibt der Verein schon seit 23 Jahren eine Anlaufstelle für Obdachlose und arme Menschen im Stadtteil St. Pauli. „Auf dem Gelände des ehemaligen Hafenkrankenhauses sind wir mit konkreter Hilfe vor Ort. Sie reicht vom Frühstück über eine warme Mahlzeit am Mittag, von der Duschmöglichkeit, bis zur medizinischen Sprechstunde und Sozialberatung, selbst ein Paar Socken aus der Kleiderkammer können schon eine wichtige Unterstützung sein“, sagt Maike Oberschelp, Leiterin des CaFées mit Herz.

Wohnprojekt „Land in Sicht“ will Obdachlosigkeit beenden

Doch neben den versorgenden Leistungen wollte der Verein auch ein nachhaltiges Angebot schaffen. In Anlehnung an das aus Finnland oder den USA bekannte Modell „Housing First“ entstand das Wohnprojekt „Land in Sicht“, bei dem obdachlose Gäste auf Zeit in eine Wohnung einziehen können. „Was Menschen, die Platte machen und aus der Endlosschleife der Obdachlosigkeit herauskommen wollen, am dringendsten brauchen, sind eigene vier Wände“, sagt Sozialarbeiterin Bianca Platz -Wenck. Die gelernte Erzieherin und Kunsttherapeutin mit 30 Jahren Berufserfahrung im sozialen Bereich entwickelte ein Konzept für das Projekt. „Im Gegensatz zu früheren Modellen, bei denen obdachlose Menschen ihre „Wohnfähigkeit erst beweisen mussten, bekommen sie hier zuerst ein Dach über den Kopf und gleichzeitig wird gehandelt“, sagt die Sozialarbeiterin. Gleich nach dem Einzug arbeitet sie mit den Bewohnern einen Leitfaden ab, der die Lebenssituation der Betreffenden verbessern soll.

„Die Folgen des harten Lebens auf der Straße hinterlassen viele Spuren, oft geht es als Erstes um die Wiederherstellung der Gesundheit, das kann von der Sanierung der Zähne bis zu einer Entgiftung reichen“, sagt Bianca Platz-Wenck. Auch die psychische Stabilisierung spiele eine wichtige Rolle. Zudem müssen Anträge bei Behörden wie etwa für das Bürgergeld gestellt oder Schulden reguliert werden. „Solange unsere Gäste keine Einkünfte haben, übernimmt der Verein die Miete für die Wohnung, sobald die Bewohner Leistungen beziehen, zahlen sie die Miete selbst“, sagt Maike Oberschelp. Sie ist dankbar, dass der Verein, der sich allein durch Spenden und Stiftungsgelder finanziert, auch dieses Projekt derzeit unterhalten kann.

Die erste Zeit in der neuen Wohnung sei für die Gäste die schwierigste. „Wer auf der Straße lebt, ist dauernd am Laufen, denn er muss sich mit den lebensnotwendigen Dingen versorgen“, weiß Platz-Wenck. In der Wohnung herrsche dann häufig erst einmal Stillstand und eine Leere, die gefüllt werden will. Bei sich anzukommen sei die größte Herausforderung. „Wenn diese Phase geschafft ist, geht es meist voran“, sagt die Sozialarbeiterin.

Mehrzahl der Projektteilnehmer fand in ein stabiles Leben zurück

So wie bei Ruben. Nach der Trennung von seiner Freundin, einer Erkrankung und Jobverlust landete der 28-Jährige auf der Straße. Vier Monate war der gelernte Erzieher obdachlos. Über die Anlaufstelle CaFée mit Herz bekam er Kontakt zum Wohnprojekt. Im November vergangenen Jahres zog er in eine der Wohnungen ein. „Ich hatte großes Glück. Hier konnte ich zur Ruhe kommen und neue Perspektiven entwickeln“, sagt Ruben. Eine Umschulung zum Sportcoach ist sein nächster Schritt, sein Ziel „wieder allein und ohne Betreuung wohnen zu können“. Die Wohndauer beträgt meist ein Jahr. „Wenn der Gast stabil ist, suchen wir gemeinsam eine Wohnung“, sagt Bianca Platz -Wenck.

Dass das Projekt Erfolg hat, zeigen die Zahlen. Von den insgesamt 23 Menschen die seit Oktober 2020 aufgenommen wurden, sind 16 wieder ausgezogen. Nur drei von ihnen konnten sich nicht stabilisieren, etwa wegen einer psychischen Erkrankung. Doch 13 ehemalige Bewohner seien wieder gut aufgestellt, haben zum Teil eine Arbeit, eine Ausbildung oder ein Ehrenamt übernommen. „Sie haben wieder eine Perspektive und eine Struktur in ihrem Leben gefunden“, sagt die Sozialarbeiterin von CaFée mit Herz.

Wohnprojekt „Land in Sicht“: Chance für Neuanfang

Auch für Boto (59) ist „wieder Land in Sicht“. 30 Jahre lang hatte er in einer Firma im Bereich Sicherheitstechnik und IT gearbeitet. Doch nach Scheidung und Lebenskrise ließ er alles hinter sich. Drei Jahre reiste er mit dem Fahrrad durch Deutschland, übernachtete im Zelt und arbeitete unterwegs. Als er mittellos zurück nach Hamburg kam, weil er unterwegs bestohlen worden war, blieb ihm nur der Weg in das Pik As. „Dort lebte ich mit zwölf Mann im Zimmer, umgeben von Müll und Lärm, es war schwer auszuhalten“, sagt er. Tagsüber führte er Touristen über die Reeperbahn und fotografierte viel mit seinem Handy. Nachts bearbeitete er die Fotos: „Das hat mich geistig über Wasser gehalten.“

Seit seinem Einzug hat sich vieles für ihn verändert. Er bezieht Bürgergeld und steckt in der Findungsphase, was das Geldverdienen betrifft, eine Fortbildung ist angedacht. „Derzeit genieße ich die Ruhe hier“, sagt er. Weil seine Fotoarbeiten auf sehr viel Begeisterung stießen, bereitet er derzeit eine Ausstellung vor. Dann sollen seine Bilder auf Reisen gehen. „Aber meine Reise ist zu Ende. Ich bin endlich angekommen.“