Ronja Ebeling (26) interviewte für ein Buchprojekt Führungskräfte – auch in der Pflege. Dabei stieß sie auf überraschende Antworten.
Rund 6,8 Millionen Menschen: Auf diese Summe schätzte das Statistische Bundesamt diese Woche die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland im Jahr 2055. Ronja Ebeling wird dann 58 Jahre alt sein – und sich vielleicht langsam Gedanken darüber machen, wer sie irgendwann einmal pflegen wird.
Dass die 26-Jährige bereits heute darüber nachdenkt, gehört zu den Überraschungen eines Sachbuchs, das am 8. April erscheint und für welches das Prädikat „äußerst lesenswert“ fast noch untertrieben ist: „Work Reloaded – Führungskräfte im Vorstellungsgespräch“ lautet der Titel, es ist bereits das zweite Werk von Ronja Ebeling. Die Idee dahinter: die traditionelle Rollenverteilung in einem Bewerbungsgespräch umzudrehen.
Der Fachkräftemangel in der Pflege - eine der größten Herausforderungen
Stellvertretend für ihre Generation wollte die 26-Jährige von ihren Gesprächspartnern wissen, ob junge Menschen in der heutigen Arbeitswelt mitgedacht werden – auch in der Pflege. Das ist angesichts des massiven Fachkräftemangels in beinahe allen Branchen und den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft eine der wahrscheinlich relevantesten Fragen dieser Zeit.
Einige namhafte Managerinnen und Manager haben sich der Einladung der jungen Hamburgerin gestellt: Albrecht Hornbach zum Beispiel, CEO der gleichnamigen Baumarktkette, oder Sigrid Nikutta, Vorstand Güterverkehr der Deutschen Bahn. „Die Idee ist mir vor dem Hintergrund der massiven Herausforderungen gekommen, vor denen wir gesellschaftlich stehen, da geht es um Themen wie den Klimawandel, aber auch um das Thema Pflege und den Fachkräftemangel“, erzählt Ronja Ebeling in der neuen Folge des Abendblatt-Podcasts „Von Mensch zu Mensch“.
„Pflege darf nicht zum Privileg werden“
„Abgesehen von den vielen Pflegekräften, die in Deutschland fehlen, bin ich der Überzeugung, dass alle Unternehmen heute das Thema Pflege noch einmal ganz anders mitdenken müssen, was ihre eigenen Mitarbeitenden angeht. Wir müssen davon ausgehen, dass die Zahl der pflegenden Angehörigen zunehmen wird, und müssen endlich Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Care-Arbeit schaffen.“ Es sei an den Managern, hier ein Umdenken zu beginnen: „Pflege darf nicht zum Privileg werden“, sagt Ebeling nachdrücklich.
Jos de Blok dürfte zu den weniger bekannten Managern gehören, die Ronja Ebeling für ihr Buchprojekt besucht hat. Was dem Kapitel nichts an seiner Bedeutung nimmt, im Gegenteil. Der 63-jährige Niederländer ist CEO des Unternehmens Buurtzorg, das er 2006 gegründet hat, um im System der ambulanten Pflege etwas zu verändern.
Bei Buurtzorg geht es nicht um Gewinnmaximierung – sondern um den Pflegebedürftigen
Bei Buurtzorg, zu Deutsch Nachbarschaftshilfe, arbeiten die Pflegekräfte in kleinen Teams ohne Hierarchien und komplett eigenverantwortlich. Was bedeutet, dass sie sich bei der Pflege ihrer Klienten nicht an enge Vorgaben halten müssen, sondern als Fachkraft selber beurteilen dürfen, welche Bedürfnisse gerade erfüllt werden sollten.
„Wenn eine Pflegekraft entscheidet, dass sie mit Herrn Müller einfach mal ein Stück Streuselkuchen essen möchte, weil ihm das gut tut, dann ist das auch die richtige Entscheidung“, erklärt Ronja Ebeling. „Am Ende des Tages kann nämlich dieses Stück Streuselkuchen Leben retten. Studien zeigen, dass die Suizidraten ab 70 Jahren rasant ansteigen, weil ältere Menschen tatsächlich manchmal lieber sterben möchten als weiter unter ihrer Einsamkeit zu leiden.“
- „Unternehmen müssen das Thema Pflege ganz anders mitdenken“
- Pflegenotstand: Wer versorgt künftig Menschen auf dem Dorf?
- Fachkräfte-Einwanderung: Handwerk erhöht den Druck
Ronja Ebeling findet Lösungen, um am gesellschaftlichen Wandel mitzuarbeiten
Mehr als 15.000 Menschen arbeiten heute für Buurtzorg, in 25 Ländern ist das Unternehmen inzwischen aktiv. Die Mitarbeitenden, erzählt Ebeling, seien zufriedener als in anderen Pflegeunternehmen, weil sie sich endlich wieder als das fühlen, was sie eigentlich sind: Fachkräfte. Und: Als Non-Profit-Organisation werden die Gewinne vollständig in das Unternehmen reinvestiert – der gelernte Pfleger Jos de Blok hatte die ständige Gewinnmaximierung als Grund für den Notstand in seiner Branche ausgemacht. In Deutschland ist sein Modellprojekt allerdings am mangelnden Vertrauen der beteiligten Krankenkassen und des Medizinischen Dienstes gescheitert.
Ronja Ebeling liegen die großen gesellschaftlichen Themen am Herzen, das wird in dem Gespräch schnell deutlich. Und sie findet Lösungen für die Probleme, die sie sieht. Sie berät Unternehmen und hat die E-Learning-Plattform „Team-Of-Tomorrow“ gegründet, um kleine und mittelständische Firmen bei der Suche nach jungen Mitarbeitern zu unterstützen. „Care-Arbeit und flexible Arbeitszeiten sind da wichtige Fragen, aber zum Beispiel auch das Thema Trauer, wir leben nun einmal in einer alternden Gesellschaft.“
Am 12. April liest Ronja Ebeling im „New Work Harbour“ (Am Strandkai 1) in der HafenCity zum ersten Mal aus ihrem Buch und spricht mit Gästen über die Zukunft der Arbeit. Mit dem Rapper Charles Booz wird sie dann auch eine neue Folge ihres Podcasts „Hungry Minds“ aufzeichnen. Organisieren kann sie also auch noch.
Tickets für die Buchpremiere am 12. April gibt es über die Homepage von Ronja Ebeling: www.ronja-ebeling.de