Oberstufenschüler vom Wilhelm-Gymnasium führen Klassen anderer Schulen durch das Museum. Ein Gewinn für alle Teilnehmer
Diese vielen Kleckse, die schwarzen Striche und gelben Punkte, das könnte sie wohl auch hinbekommen, sagt Mariama (14) selbstbewusst, während sie Jackson Pollocks Bild „Reflection on the Big Dipper“ im Ausstellungsraum des Bucerius Kunst Forums (BKF) betrachtet. „Vermutlich könntest du das, aber du musst es dann auch schaffen, dein Werk für mehrere Millionen Euro zu verkaufen“, sagt Jan-Erik und erntet von seiner Vierergruppe einen Lacher.
Es sind Neuntklässler, die vom ReBBZ Harburg kommen und sichtlich interessiert seinen Ausführungen lauschen. Der 17-Jährige weiß viel über Pollock, erzählt, wie dessen Bilder entstanden: „Er schüttete Eimer voller Farbe über die Leinwand“, und spricht auch über die Alkoholsucht des Malers. Jan-Erik ist im Kunstprofil am Wilhelm-Gymnasium und damit Teil des Projekts „Schüler führen Schüler“, das seine Schule mit dem Bucerius Kunst Forum bereits seit elf Jahren organisiert.
Rund 50 Führungen pro Jahr – alle Schulformen
In den vergangenen zwei Jahren hat der Abiturient rund 50 Führungen geleitet, meist Kleingruppen. Darunter waren sowohl Grundschüler, Stadtteilschüler, Gymnasiasten und amerikanische Kinder als auch eine Klasse mit geistig Behinderten.
Er hat ebenso wie seine 18 anderen Schulkameraden auch schon Senioren die verschiedenen Ausstellungen erklärt und bei der Langen Nacht der Museen mitgemacht – alles als Teil des Unterrichtsfachs Kunst. „Bevor ich in das Kunstprofil gegangen bin, habe ich mich nie getraut, vor Gruppen zu sprechen. Ich bin eigentlich schüchtern, aber inzwischen halte ich ohne Hemmungen freie Vorträge“, sagt Jan-Erik.
Geleitet wird das Projekt von seinem Kunstlehrer Uwe Niemann, der jedoch vor Ort den Schülern dann die alleinige Verantwortung bei der Organisation der kleinen Gruppen und der kurzen Einführung in das jeweilige Ausstellungsthema übergibt.
Die Schüler werden selbstbewusster
„Das Programm bietet uns und dem Museum eine Win-win-Situation. Die Schüler werden selbstbewusster, lernen zu improvisieren, ihr Wissen frei zu präsentieren und sehen so viele Originalbilder wie wohl kaum jemand in Hamburg“, sagt Niemann.
„Und wir können uns als Museum allen Gesellschaftsschichten öffnen. Für uns ist das Projekt eine Art Experimentierlabor für innovative Kunstvermittlung. Dadurch, dass Schüler anderen Schülern die Kunst erklären, ist es eine Begegnung auf Augenhöhe. Sie senkt zudem die Hemmschwelle, ins Museum zu gehen, und auch die Ehrfurcht vieler Menschen vor bekannten Künstlern und Bildern“, sagt Prof. Andreas Hoffmann, Geschäftsführer des BKF.
Das Kunstprofil bekommt einen Blick hinter die Kulissen
Das Museum stellt dafür jedem Kunstprofil-Schüler einen aktuellen Ausstellungskatalog zur Verfügung, die Klasse bekommt zudem immer eine Führung von einem Mitarbeiter, schaut aber auch hinter die Kulissen des Kunstbetriebes und lernt Restauratoren kennen. Zum Abschluss gibt es ein Zertifikat, das viel Eindruck bei Berufs- und Uni-Bewerbungen mache, wie Uwe Niemann weiß.
„Das Kunstprofil ist durch die Führungen inzwischen ein Zugpferd unserer Schule, etliche Schüler wechseln deswegen sogar von anderen Gymnasien zu uns“, sagt Niemann. Wie die 17-Jährige Emily, die vom Gymnasium Eppendorf kam. „Ich will gerne auch beruflich in die Richtung gehen und finde es wunderbar, mich so intensiv mit den Bildern zu beschäftigen, sie dann Kindern zu erklären und mich immer auf unterschiedliche Altersgruppen einzustellen“, sagt die Abiturientin.
Unruhige Schüler werden zu aufmerksamen Zuhörern
Die Schülerin hat zwei Zweitklässler der Barmbeker Grundschule Lämmersieth im Schlepptau. Darunter Hassan, der mit seinen Eltern aus Syrien nach Hamburg geflohen ist. Zielsicher geht er zu einen Kunstwerk von Norman Rockwell, das den Alltag eines kleinen Mädchens zeigt.
„Das ist mein Lieblingsbild“, sagt er und zupft Emily am Ärmel. „Schau mal, Emily, wie witzig der Künstler das Kind gemalt hat, so gut würde ich auch gern zeichnen können.“ Der aufgeweckte Schüler würde gerne öfter ins Museum kommen. „Ich finde Bilder anschauen schön. Aber meine Eltern wissen gar nicht, wo es hier Museen gibt, aber vielleicht kann ich es ihnen zeigen“, sagt Hassan ernst.
Kinder können alle Fragen stellen und mitbestimmen
Seine Lehrerin Sandra Platt-Banoub ist überrascht davon, wie aufmerksam ihre sonst unruhigen Schüler sind. „Es ist toll, wie die Oberstufenschüler auf die Einzelnen eingehen. Das ist sehr wertschätzend. Die Kinder werden hier gehört, dürfen alle Fragen stellen und können selber mitbestimmen, was sie sehen möchten. Das ist eher selten bei Führungen.“
Sie beobachtet, wie zwei ihrer Schützlinge, Leon und Naomi, aufgeregt vor einem Jackson-Pollock-Bild herumhüpfen. Leons Lieblinge sind zwar die Bambi-Bilder von Walt Disney, aber den Pollock findet er auch richtig gut. Nelly (17) hat ihm und Naomi gerade die unterschiedlichen Farbkonsistenzen erklärt. „Das ist sicher schwierig nachzumalen. Da ist sogar Autolack dabei“, sagt der Achtjährige. Sandra Platt-Banoub lächelt zufrieden.
„Action-Painting“ als Vorbereitung auf dem Museumsbesuch
Sie hat ihre Grundschüler auf den Besuch mit einer Schulstunde „Action-Painting à la Jackson Pollock“ vorbereitet. „Die meisten unserer Schüler gehen nie in Museen, schon gar nicht in den Kunstbereich. Doch hier wird ihnen gezeigt, dass das gar nicht langweilig ist, sondern richtig Spaß macht.“
Neben dem Wilhelm-Gymnasium machen auch Schüler der Kunst AG des Johanneums Führungen. Für Schulen aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen, die Interesse an dem Programm haben, gibt es Infos unter: www.buceriuskunstforum.de/besuch/