Ingo und Doris Hildebrand sind geistig behindert. Als sie heiraten wollten, mussten sie ihre Ehefähigkeit erst beweisen

Sich zu verloben und zu heiraten ist für viele Menschen selbstverständlich. Für Doris und Ingo Hildebrand war es das nicht: Sie sind seit zwei Jahren ein Paar, beide haben eine geistige Behinderung und leben in einer Wohnanlage des Rauhen Hauses in Henstedt-Ulzburg. Als die beiden vor einigen Monaten beschlossen hatten zu heiraten, wurde es zunächst schwierig. Die Standesbeamtin wollte sichergehen, dass das Paar wirklich versteht, worauf es sich einlässt. Andrea Müller hatte zwar schon viele Paare getraut, doch noch keines mit einer geistiger Behinderung. Sie wollte die Ehefähigkeit feststellen und besuchte das Paar im Beisein derer Betreuer in der Wohnung. Es ist durchaus die Pflicht eines Standesbeamten, vor der Eheschließung die Ehegeschäftsfähigkeit zu prüfen, bei der es darauf ankommt, ob der oder die Verlobte in der Lage ist, das Wesen der Ehe zu begreifen und insoweit eine freie Willensentscheidung zu treffen, heißt es im Bundesgesetzbuch. Selbst eine erhebliche geistige Behinderung muss die notwendige Einsichtsfähigkeit in das Wesen der Ehe und die freie Willensentscheidung zur Eheschließung nicht ausschließen. „Es überraschte mich sehr, welch klare Vorstellung die beiden bereits vom bevorstehenden Tag Ihrer Hochzeit hatten“, sagte Andrea Müller.

Für die Betreuer war es ein Perspektivwechsel

Somit durften sich Doris und Ingo, der den Namen Hildebrand von seiner Frau annahm, am 15. Februar das Ja-Wort geben. „Die Standesbeamtin hat bei der Trauung eine einfache Sprache gefunden, die beide gut verstanden haben. Das fand ich toll“, sagt Lars Timm. Der Sozialarbeiter und Diakon betreut das Wohnhaus, in der die Hildebrands mit sechs weiteren Behinderten leben. Als Ingo (57) vor drei Jahren dort einzog, „war ihm sehr schnell klar, in Doris die Frau seines Lebens gefunden zu haben“, sagt Timm. Die 50-Jährige, die das Down-Syndrom hat, zurückhaltend ist und nur sehr wenig redet, hätte etwas länger gebraucht, um sich zu Ingo zu bekennen. „Unsere Aufgabe als Betreuer sehen wir darin, sicherzustellen, dass beide sich in der Beziehung wohl fühlen und keiner damit überfordert ist“, sagt der Sozialarbeiter, der sich als Assistent seiner Klienten begreift. Gemeinsam in einem Team von vier Leuten unterstützt er die Bewohner der Wohngemeinschaft bei ihren alltäglichen Haushalts-Verrichtungen. Es geht darum, ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. „Um so schöner war es dann, die Hochzeit von Doris und Ingo mitzuerleben und an ihrem Glück teilhaben zu können. Da war für uns alle einmal ein Perspektivwechsel, einfach wunderbar“, sagt Timm. Es gäbe immer mal wieder Beziehungen unter den Klienten, „aber eine Hochzeit ist etwas ganz Seltenes“.

Getanzt wurde zur Musik von Roy Black

Wie alle Brautleute seien die Hildebrands vorher ziemlich aufgeregt gewesen und hätten den Tag dann voll und ganz genossen. Zwei Bewohner aus ihrem Wohnhaus waren die Trauzeugen und mit rund 40 Gästen feierte das Paar im Anschluss an die standesamtliche Trauung im geschmückten Kulturtreff Rhen, der zur Wohnanlage Gräflingsberg gehört. Hier wurden Ingo und Doris von der Seelsorgerin des Rauhen Hauses, Pastorin Corinna Peters-Leimbach auch kirchlich getraut und gesegnet. „Als Christen war für beide das der feierlichere Akt“, sagte Lars Timm. Kuchen, kaltes Buffet und super Wetter: Alles stimmte. Natürlich gab es auch Musik. Schon beim Eröffnungstanz flossen die ersten Tränen der Rührung, als die beiden sich zu den Klängen von „Ganz in weiß“ von Roy Black auf der Tanzfläche wiegten. „Wir hatten vorher schon geübt“, erzählte Doris den Gästen, die zum Ende der Feier mit Kerzen in den Händen einen Kreis um das Brautpaar bildeten, um ihnen noch einmal alles Gute zu wünschen. Ein Bild, auf dem die Gäste etwas zur Erinnerung gemalt oder gute Wünsche aufgeschrieben hatten, hängt jetzt im gemeinsamen Wohnzimmer. Denn ihre beiden Einzelzimmer haben Doris und Ingo zu einem Wohn- und einem Schlafzimmer umfunktioniert. Und von dem Geld, das sie sich zur Hochzeit gewünscht haben, kauften sich die beiden erst einmal ein großes gemeinsames Bett.

Offene Fragen zum Thema Sex müssen angesprochen werden

Das Thema Sexualität spiele bei der Betreuung von Menschen mit Behinderung natürlich auch eine Rolle, sagt Timm. „Aber hier gibt es für alle Menschen eine Selbstbestimmung, in die weder die Betreuer noch Eltern eingreifen dürfen. Aber es ist ganz wichtig, dass man die Betroffenen aufklärt und berät. Der offene Umgang mit dem Thema ist ganz wichtig“, sagt Uwe Herschleb von der sexualpädagogischen Beratung der Schatzkiste der Ev. Stiftung Alsterdorf. Sie richtet sich an Menschen mit Behinderung, deren Betreuer sowie Angehörigen. Alle offenen Fragen und Probleme können hier angesprochen werden, ähnlich wie beim Arbeitskreis LiLus des Rauhen Hauses. Dabei geht es natürlich auch um Verhütung und die Frage nach einer möglichen Schwangerschaft.

Für Doris und Ingo ist das kein Thema – sie genießen ihre späte Liebe.

Infos und Beratung zu Beziehungen

Beim Rauhen Haus gibt es einen Arbeitskreis: „LiLuS = Liebe. Lust. Selbstbestimmung“, der sich speziell den Fragen von Beziehungen, Partnerschaft, Sexualität für Menschen mit Behinderungen widmet. Ansprechpartner ist Sascha Schröter, lilus@rauheshaus.de, Tel. 655 91 274.

Die Schatzkiste Hamburg-Alsterdorf ist eine Partnerschaftsvermittlung für Menschen mit Behinderung. Es gibt einen offenen Treff jeden Dienstag von 16 bis 18 Uhr mit Kaffee und Kuchen und eine Kartei, in die man sich aufnehmen lassen kann und über die man die Möglichkeit hat, einen Freund/eine Freundin zu finden. Das Team ist in den Räumen am Alsterdorfer Markt 13b auf dem Gelände der Evangelischen Stiftung Alsterdorf (neben der Kirche). Kontakt: Renate Danowski oder Sabine Trede, Tel. 50 77 34 62 oder Uwe Herschleb, Tel. 50 77 35 42