Bei der Hamburger Partnervermittlung „Schatzkiste“ können Singles mit geistiger Behinderung einen Partner finden. Vorbehalte aus dem Umfeld der Betroffenen spielen immer noch eine große Rolle.
Hamburg. Die Single-Kartei der „Schatzkiste“ ist ein A5-Hefter mit 80 Zetteln – Name und Adresse auf der Vorderseite, Partnerwunsch und Vorlieben auf der Rückseite. Anders als beim Dating im Internet wird die Partnersuche in dieser Vermittlung für Menschen mit geistiger Behinderung nicht von einem Algorithmus gesteuert, sondern vom Leiter der Einrichtung. „Nachdem ich mit den Singles ausgiebig über ihre Wünsche gesprochen habe, mache ich mich auf die Suche nach einem passenden Partner“, sagt Thomas Pridöhl, seit Anfang des Jahres Leiter der Partnervermittlung. Sind beide Seiten mit einem Kennenlernen einverstanden, steht einem Date nichts mehr im Wege.
Der Psychologe Bernd Zemella gründete vor 15 Jahren die „Schatzkiste“ als eine Partnervermittlung für Menschen mit geistiger Behinderung in Hamburg. Inzwischen gibt es deutschlandweit rund 50 Ableger, Tendenz steigend. Die Schatzkisten gehören häufig zu regionalen Sozialträgern – wie in Hamburg die Evangelische Stiftung Alsterdorf – und werden durch Spenden finanziert. Für die Menschen mit Behinderung ist das Angebot kostenlos.
Auch Maike und Stefan lernten sich durch die „Schatzkiste“ kennen. Die 33-Jährige rief den Pinneberger an, sie verabredeten sich und wenig später landete der erste Liebesbrief im Briefkasten. Heute treffen sich die beiden zwei bis drei Mal pro Woche, der Sonntag ist dabei fester Ausflugstag. „Wir fahren in den Hafen, gehen spazieren oder kegeln“, erzählt sie. Den Weg zwischen ihren Wohngruppen in Hamburgs Innenstadt und in Pinneberg fahren beide selbstständig. Im Herbst will das Paar für ein Wochenende nach Travemünde. „Wir wollen picknicken, Eis essen und die Füße ins Meer halten“, sagt der 41-jährige Stefan.
Pro Woche kommen zwei bis drei Menschen in die Sprechstunde
Zwei Mal pro Woche hat die Hamburger „Schatzkiste“ am Alsterdorfer Markt geöffnet. Am Dienstagnachmittag gibt es einen offenen Treffpunkt und am Donnerstag Einzelberatung. „Mit der Mischung aus zwangloser Atmosphäre und dem Angebot zum Vieraugengespräch wollen wir noch mehr Leute erreichen“, sagt Leiter Pridöhl. Derzeit kommen pro Woche rund zwei bis drei Menschen in seine Sprechstunde.
Die Fragen und Wünsche sind dabei die üblichen, vom Kennenlernen über Sexualität und Beziehungsprobleme bis zum Trennungsschmerz. Bunt gemischt sind auch die Wünsche der Singles. „Manche suchen einen Partner fürs Leben, andere neue Freunde und manche jemanden fürs Bett“, sagt er.
Eine Partnersuche im Alltag ist für sie nicht immer ganz einfach. Online-Singlebörsen für Menschen mit geistiger Behinderung gibt es nicht. Spezielle Angebote wie „Handicap Love“ wenden sich eher an Partnersuchende mit körperlichen Einschränkungen. Ähnliche Internetportale gibt es auch für chronisch kranke oder gehörlose Menschen. „Eine weitere Hürde ist oft die Mobilität. Nur in der eigenen Einrichtung nach einem passenden Partner zu suchen, schränkt einfach die Auswahl ein“, erklärt Simone Hartmann. Die Sozialpädagogin beschäftigt sich beim Beratungsverband „pro familia“ seit 15 Jahren mit dem Thema „Partnerschaft und Behinderung“. Eine unterstützte Partnersuche durch Treffpunkte oder Partys hält sie deshalb für eine gute Alternative.
„Wir haben auch Trennungen“
Ganz reibungslos läuft es aber nicht bei jeder Vermittlung, wie Pridöhl berichtet: „Wir haben auch Trennungen. Dann ist der Gesprächsbedarf sehr groß.“ Auch das letzte Date von Patrick lief nicht besonders gut. Bei einem Grillfest der Schatzkiste lernte er eine Frau kennen. „Ich fand sie super. Leider wurde nichts aus der Beziehung. Sie hat in einer Wohngruppe weiter weg gewohnt und ich musste immer zu ihr fahren“, sagt der junge Mann im Rollstuhl. Zu den Treffen am Donnerstag kommt er trotzdem. „Ich freue mich auch über neue Freundschaften. Ein Mädchen kann ich auch woanders finden.“
Ob eine Partnerschaft funktioniert oder schnell im Sande verläuft, hat bei Menschen mit Handicap leider nicht nur etwas mit Liebe und Zuneigung zu tun. „In Sachen Partnerschaft und Sexualität von Menschen mit Behinderung müssen sicher noch Barrieren in den Köpfen abgebaut werden“, sagt Hartmann. Gerade bei älteren Angehörigen erlebt die Sozialpädagogin immer noch große Vorbehalte gegenüber einer Beziehung. Dabei sind gerade bei schwereren Behinderungen die Partner auf großes Engagement des Umfelds angewiesen. Manchmal sind Fahrdienste nötig, damit man sich regelmäßig sieht, denn Paarwohnungen in den Einrichtungen sind eher die Ausnahme.
„Zu mehr Normalität würde ein respektvoller Umgang und Akzeptanz beitragen. Im Idealfall wird die Beziehung begleitet, aber man sollte sich nicht einmischen“, sagt Hartmann. Für dieses Ziel setzt die Pädagogin auf Überzeugungsarbeit bei Eltern und Mitarbeitern. Ihr bestes Argument dabei: In Sachen Partnerschaft gibt es Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Behinderung nicht im Alltag, sondern nur in den Köpfen.