Benno und seine Schwester Amelie verbringen sehr viel Zeit im Internet. Ihre Eltern fürchten einen schlechten Einfluss, seit sie von Suchtgefahr und Belästigung gehört haben.

Unser 16-jähriger Sohn Benno sitzt stundenlang am Computer und spielt Actionspiele. Besonders ein Fantasy-Spiel mit viel Action fasziniert ihn so stark, dass er gar nicht mehr aufhören kann. Wenn er mal nicht spielen kann, wird er ganz nervös. Wir als seine Eltern beobachten diese Entwicklung inzwischen mit großer Sorge. Zumal auch seine jüngere Schwester Amelie (13) jetzt immer mehr vor dem PC sitzt. Sie tauscht sich mit Freundinnen und Freunden im Chatroom aus. Wir haben uns umgehört und sind entsetzt darüber, welche Gefahren im Internet lauern. Sowohl für unsere Tochter, die auch schon beleidigende oder sexuell belästigende Zuschriften von angeblich gleichaltrigen Jungen bekommen hat, als auch für unseren Sohn, der anscheinend süchtig nach seinen Computerspielen ist. Wir befürchten, dass unsere Kinder den Bezug zur Realität verlieren, wenn das so weitergeht. Was können wir dagegen tun?

Harald K .

Professor Dr. Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters im UKE:

Diese Fragen beschäftigen heute immer mehr Eltern. Denn der regelmäßige Internet- und Computergebrauch ist aus dem Alltag von Jugendlichen gar nicht mehr wegzudenken. Das ist zunächst einmal nichts Negatives. Das Internet bietet den Jugendlichen viele ansprechende Angebote, wie das Chatten und Diskutieren, das Abrufen von Informationen oder das Herunterladen von Musikdateien. Nach der ARD/ZDF- Online-Studie 2008 verbringen 14- bis 18-Jährige im Durchschnitt täglich 120 Minuten im Netz. Doch es gibt auch die Dauernutzer mit mehr als vier Stunden pro Tag oder mehr als 30 Stunden in der Woche. Ein exzessiver Internetgebrauch kann vorübergehend in der Entwicklung der Jugendlichen mal vorkommen. Eine Internetabhängigkeit liegt vor, wenn neben dem Zeitfaktor noch folgende Kriterien hinzukommen:

Man ist mit den Gedanken noch beim Internet, wenn man schon längst offline ist.

Die Kontrolle über den Internetgebrauch geht verloren.

Das Internet wird als Flucht vor Problemen benutzt.

Der Gebrauch hält trotz negativer Folgen wie Übermüdung und Leistungsabfall an.

Hobbys und reale Beziehungen werden vernachlässigt.

Im Offline-Zustand treten Entzugserscheinungen auf.

Oft betrifft die Internetsucht männliche Jugendliche, weil sie sich häufiger in den virtuellen Scheinwelten von Internet- und Computerspielen aufhalten. Die Spiele geben ihnen Erfolgserlebnisse und steigern ihr Ansehen in der Spielergemeinschaft. Sie führen zur Sucht, wenn sie zu bestimmten persönlichen Voraussetzungen des Spielers passen. So wird ein zugrunde liegendes schwaches Selbstwertgefühl mit einer mächtigen Scheinidentität in der virtuellen Welt aufgewertet, und es scheinen virtuelle Beziehungen leichter steuerbar als reale. Damit Betroffene wieder aus der Sucht herauskommen, sollten sie sich nicht scheuen, professionelle Hilfe anzunehmen. In der Drogenambulanz des UKE gibt es das Programm "Lebenslust statt Online-Flucht" mit zehn Gruppensitzungen für 14- bis 25-Jährige mit Anzeichen eines pathologischen Internetgebrauchs. Die Teilnehmer lernen hier, sich ihrer Sucht bewusst zu werden und Gegenstrategien wie etwa neue Freizeitaktivitäten zu finden. Mädchen sind weitaus seltener von der Internetsucht betroffen. Sie interessieren sich eher für Chatrooms als für Actionspiele. Sie behalten meist den Bezug zu ihrer eigenen Identität und gleiten nicht vollständig in Scheinwelten ab. Doch sie könnten von anderen gekränkt oder belästigt werden. Deshalb sollten sie einige Regeln beachten oder sich ebenfalls Rat holen, etwa bei einem Jugendtelefon (siehe Kasten).