Jeremy Peters aus Reinbek muss die Schule in Hamburg verlassen. Das Kieler Ministerium empfiehlt: Anwalt einschalten.
Hamburg. Das böse Erwachen kam mit einem Anruf aus der Schule. "Uns wurde mitgeteilt, dass unser Sohn Jeremy das Gymnasium Lohbrügge nicht länger besuchen kann", sagt Petra Peters (52). Das Problem: Familie Peters lebt im schleswig-holsteinischen Reinbek. Seit fast sechs Jahren geht Jeremy auf die 2,9 Kilometer entfernte Schule in Hamburg. Inzwischen ist er in der zehnten Klasse. "Natürlich sind wir davon ausgegangen, dass er dort Abitur macht. Er war ja als Härtefall anerkannt, weil er nach der Schule von seiner Großmutter in Bergedorf betreut wurde", sagt Peters, die wie ihr Mann berufstätig ist.
Doch nach der jüngsten Dienstanweisung der Schulbehörde dürfen Gastschüler in der Regel nur noch bis zum Ende der jeweiligen Stufe an staatlichen Hamburger Schulen bleiben. Für Jeremy bedeutet das: Er verliert sein soziales Umfeld, muss sich an eine neue Schule und andere Lehrer gewöhnen, hat andere Oberstufenprofile, verliert Freunde. Und: Er muss ein Jahr länger zur Schule gehen. Statt nach zwölf Jahren machen die Gymnasiasten in Schleswig-Holstein nach 13 Jahren Abitur.
Aus Sicht der Schulbehörde ist das allein keine besondere Härte, so Sprecher Jan Bruns. Es sei doch sogar ganz gut, wenn die Schüler ein Jahr mehr hätten. "Das kann ja wohl nicht sein", sagt Petra Peters.
Nachdem Hamburg das Gastschulabkommen mit Schleswig-Holstein gekündigt hat (das Abendblatt berichtete), herrscht an den staatlichen Schulen am Stadtrand beträchtliche Unruhe. Die Schulbehörde geht nun offenbar energischer gegen Schüler vor, die außerhalb Hamburgs wohnen. Sie droht damit, den Schulen Geld zu streichen, die Kinder aus Schleswig-Holstein auch dann noch weiterhin unterrichten, wenn beim Stufenwechsel festgestellt wird, dass sie nicht als Härtefall gelten können.
Jeremy ist einer dieser Schüler. "Wir müssen reagieren", sagt Michael Koops. Er leitet Jeremys Schule und hat bereits alle betroffenen Familien an seiner Schule telefonisch informiert. Noch sei kein Kind abgeschult worden, so Koops. Allerdings lehnte die Schulaufsicht nach Abendblatt-Informationen bereits den Härtefall-Antrag einer Sechstklässlerin vom Gymnasium Lohbrügge ab. "Wir wollen einen Bestandsschutz für alle Schüler bis zum Ende der Schulzeit erreichen", sagt Rolf-Dieter Peek, Elternratsvorsitzender des Gymnasiums.
Auch an anderen Schulen im Randgebiet brodelt es, allerdings wagt sich derzeit kaum jemand aus der Deckung. Denn neben dem Schulwechsel nach Schleswig-Holstein gibt es für die Familien ja auch die Möglichkeit, nach Hamburg zu ziehen - oder sich dort zumindest eine Meldeadresse zu besorgen. Ein Trick, den schleswig-holsteinische Eltern schon seit Jahrzehnten anwenden. "Wir brauchen eine Lösung für diese Schüler, sonst beginnt eine große Lügerei", sagt eine Elternvertreterin, die nicht genannt werden möchte. Die Vereinigung der Elternratsvorsitzenden der Hamburger Gymnasien (VEHG) will sich nun direkt an Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) wenden. Es könne nicht rechtens sein, dass die Verlängerung der Schulzeit um ein Jahr nicht als Härtefall anerkannt wird, sagt Rechtsanwalt Hans-Jürgen Hansen, Elternrat am Gymnasium Oldenfelde und Vorsitzender des Gymnasialausschusses der Elternkammer.
Auch bei der SPD-Opposition im Kieler Landtag ist man sich mittlerweile sicher, dass die harte Gangart der Hamburger Schulbehörde rechtlich nicht haltbar ist. "Schulverhältnisse aus vorangegangenen Schuljahren haben den Charakter einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zwischen den Eltern und der Schule und müssen eingehalten werden", sagt Martin Habersaat, Landtagsabgeordneter aus Reinbek und Mitglied im Bildungsausschuss. "Die kann man nicht einfach für nichtig erklären."
Mit einem schnellen Ende bei den Verhandlungen über ein neues Gastschulabkommen ist nach Habersaats Einschätzung nicht zu rechnen. Die Länder arbeiten immer noch an einer Übergangslösung für dieses Jahr, um Zeit zu gewinnen. Das Provisorium lehnt sich ans alte Abkommen an, ist nun immerhin schriftlich fixiert. Unterschrieben ist es noch nicht.
Eine grundsätzliche Einigung, die auch Jeremy helfen würde, scheint in weiter Ferne. Thomas Schunck, Pressesprecher im Kieler Bildungsministerium: "Es gibt keinen festen Termin, zu dem man zu einem Ergebnis kommen muss." Seine Empfehlung an die Schleswig-Holsteiner Eltern: "Sollte ein Kind in Hamburg abgeschult werden, dann könnte es sich durchaus lohnen, einen Rechtsanwalt einzuschalten."