Der Bedarf ist besonders im Doppel-Abi-Jahrgang groß. Gründe: Hoher Konkurrenzdruck und die Angst, keinen Studienplatz zu bekommen.
Hamburg. Leonie Sievers (19) hat eine glatte Eins in Mathe, trotzdem nimmt sie regelmäßig Nachhilfestunden. Die Abiturientin aus Bergedorf ist kein Einzelfall. Kurz vor den Abiturklausuren zeichnet sich ab: Immer mehr gute Schüler pauken am Nachmittag in bezahltem Zusatzunterricht. Das Ziel: ein besserer Notenschnitt im Abitur. "Wir beobachten das seit einiger Zeit", sagt Carmen Georgitsis (51) von der Bergedorfer Schülerhilfe. Grund sei der zunehmende Konkurrenzkampf. Auch andere Nachhilfe-Institute bestätigen diesen Trend. "Noten sind immer wichtiger in unserer Leistungsgesellschaft", sagt Kai Pöhlmann vom Nachhilfeinstitut Abacus Hamburg-West.
Leonie muss Anfang Februar zum schriftlichen Abitur antreten. "Ich will Jura studieren", sagt die Bergedorferin. Im letzten Jahr habe der Numerus clausus bei 2,3 gelegen. "Wir sind ein Doppeljahrgang. Ich habe Angst, dass ich jetzt mindestens 2,0 brauche." Schon vor zwei Jahren hat sie mit der Paukerei nach Schulschluss angefangen. "Das lohnt sich. Ich bin zwei Noten besser geworden", sagt sie. "Man bekommt alles noch mal anders erklärt. Außerdem wird der Stoff noch mal vertieft und aufgefrischt, ohne dass ich mir das selbst raussuchen muss." Den Nachhilfeunterricht macht sie zusammen mit einem Mitschüler. Auch er ist richtig gut, steht im Leistungskurs Physik zwischen Eins und Zwei.
"Früher haben nur die Sitzenbleiber Nachhilfe bekommen, das ist jetzt anders. Heute legt man auch Wert auf gute Noten", sagt die Sprecherin des Bundesverbandes Nachhilfe- und Nachmittagsschulen (VNN), Andrea Heiliger. Jeder vierte Schüler hat nach einer Studie des Bundesbildungsministeriums in seiner Schulzeit Nachhilfestunden bekommen. Derzeit pauken zwölf Prozent der bundesweit 20 Millionen Schüler nach Schulschluss. Dabei ist Mathe das am meisten nachgefragte Fach, gefolgt von Deutsch und Fremdsprachen. Die Preise liegen zwischen fünf und 45 Euro pro Stunde.
Längst ist der Nachhilfe-Markt ein Wirtschaftsfaktor geworden - und ein krisenfester dazu. Mehr als eine Milliarde Euro zahlen Eltern laut einer Infratest-Umfrage in Deutschland pro Jahr für die Extra-Schulstunden an gewerbliche Firmen.
Bei Holger List, Chef des Nachhilfeinstituts Abacus Hamburg Nord-Ost, sind zehn Prozent der Schüler Abiturienten. So wie Florian Hansen (17, Name geändert). Er ist im ersten Jahrgang, der das Abitur in zwölf Jahren macht. "Wir müssen unheimlich viel Stoff in kurzer Zeit verarbeiten. Das kann man kaum schaffen", sagt er. Er hat Nachhilfe in Mathe und Geografie. "Ich bin nicht schlecht in der Schule, habe aber einige Lücken", sagt er. Sein Ziel: "Ich will einen Schnitt von 2,5 schaffen." Derzeit macht der Abiturient viermal die Woche Extra-Unterricht.
"Die Schüler sind sich des Konkurrenzdrucks bewusst", sagt sein Nachhilfe-Lehrer Rudolf Henkemeyer. Gerade im Doppeljahrgang sei der Druck sehr hoch. Von acht Schülern, die der studierte Sozialpädagoge derzeit unterrichtet, sind sechs Abiturienten. "Gerade im ersten Jahrgang des Turbo-Abis ist bei der Vermittlung des Lehrstoffs viel schiefgegangen", sagt er. Schon jetzt hat er kaum noch Termine frei. "In der unterrichtsfreien Vorbereitungswoche vor den Abiturprüfungen Anfang Februar bin ich dann komplett voll. Da wollen alle noch mal richtig ran."
Dabei beginnt die Hochphase des Nachhilfe-Bedarfs traditionell erst nach den Halbjahrszeugnissen. "Bis Ende Februar haben wir die meisten Anmeldungen im Jahr", sagt Carmen Georgitsis von der Schülerhilfe, einem der bundesweit größten Anbieter. "Normalerweise sind es acht bis zehn neue Schüler im Monat, dann kommen mehr als doppelt so viele." Abiturientin Leonie will auf jeden Fall dabeibleiben. "Ich habe im Juni meine mündliche Prüfung in Mathe."