Hamburg. Drei Gruppen fielen im Stadtpark über das Mädchen her. Von den beschuldigten Männern saß nur einer kurzzeitig in Untersuchungshaft.
Es war eine entsetzliche Tat, die sich im September vergangenen Jahres im Hamburger Stadtpark ereignete: Mehrere junge Männer und Jugendliche vergewaltigten gruppenweise in einem Gebüsch nahe der Festwiese ein 15 Jahre altes Mädchen. Mittlerweile gibt es zwölf Verdächtige, darunter zwei sogenannte Intensivtäter. Zu neun Beschuldigten konnten per DNA Spermaspuren zugeordnet werden. Doch kein Einziger von ihnen sitzt in Untersuchungshaft.
Warum bleiben nach so einer Tat die Beschuldigten auf freiem Fuß? Bislang, so die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft, Liddy Oechtering, auf Anfrage, lagen die Voraussetzungen für einen Haftbefehl in nur einem Fall vor. In den anderen Fällen könnte es also beispielsweise an einem Haftgrund mangeln, dazu zählen unter anderem Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr.
Gruppenvergewaltigung im Stadtpark: Kripo hat klares Bild von der Tag
Dabei hat sich nach mehr als einem Jahr kriminalpolizeilicher Ermittlungen ein relativ klares Bild vom zweieinhalb Stunden dauernden Martyrium der Jugendlichen ergeben. Die Ermittler gehen von diesem Geschehensablauf aus: Gegen 22 Uhr war am 19. September vergangenen Jahres die volltrunkene 15-Jährigen in ein Gebüsch neben der Festwiese geführt worden.
Dort folgte die erste Gruppenvergewaltigung. Ein 19-Jähriger soll die Tat mit seinem Handy gefilmt haben – um kurz darauf mit den Aufnahmen zu protzen. Außerdem wurde das hilflose Mädchen nach Abendblatt-Informationen ausgeraubt, nachdem es das erste Mal missbraucht worden war. Kurz darauf kam eine zweite Gruppe in das Gebüsch, die einen „Tipp“ erhalten haben sollen. Diesmal waren es drei junge Männer, die sich an dem Mädchen vergingen.
Wieder wurde das Mädchen in ein Gebüsch geführt
Die erste Vergewaltigergruppe soll sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Richtung S-Bahnhof abgesetzt haben. Auch die zweite Gruppe verließ schließlich den Tatort. Die 15-Jährige wankte zurück zur Festwiese und traf auf die dritte, vierköpfige Gruppe. Wieder wurde das Mädchen in ein Gebüsch geführt und vergewaltigt. Die 15-Jährige konnte schließlich fliehen. Als sie sich hilfesuchend an Passanten wandte, flüchtete das Quartett.
Bereits im März dieses Jahres hatte die Polizei Beteiligte identifiziert. Damals wurden drei Durchsuchungsbeschlüsse und ein Haftbefehl vollstreckt. Ein 17-Jähriger kam nach seinem ersten Haftprüfungstermin wieder auf freien Fuß. Bei den Durchsuchungen stellte die Polizei Beweismittel, darunter Handys, sicher.
Die 15-Jährige war nach der Tat in der Rechtsmedizin untersucht worden. Dort konnten für die weiteren Ermittlungen Spermaspuren gesichert werden, die neun der zwölf Beschuldigten zugeordnet wurden.
Keiner der Beschuldigten wurde bislang vernommen
Vernommen wurde bislang keiner der Beschuldigten von der Polizei. So aber sieht es die Gesetzeslage vor, die nach Vorgaben des Europäischen Parlaments als „Kinder-Richtlinie“ 2019 in Deutschland eingeführt wurde.
In allen Fällen liegt nach Angaben der Hamburger Strafverfolgungsbehörde eine „notwendige Verteidigung“ vor. In der Praxis bedeutet dies, dass Polizisten Jugendliche und Heranwachsende nicht befragen dürfen, ohne dass ein Anwalt dabei ist.
Im Zweifelsfall muss einem Beschuldigten sogar verwehrt werden, dass er aussagt. Das gilt selbst für den Fall, dass seine Aussage ihn selbst entlasten würde. „Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist zeitintensiv, da die Staatsanwaltschaft sowie das zuständige Gericht eingeschaltet werden müssen und dem Verteidiger zunächst Akteneinsicht zu gewähren ist“, hatte bereits im vergangenen Jahr die Staatsanwaltschaft in einem Fachbeitrag für die Polizei festgestellt.
Staatsanwälte sehen Kinderrichtlinie kritisch
Das führt regelmäßig dazu, dass in den meisten Fällen überhaupt keine Aussage mehr stattfindet. Insgesamt sehe die Staatsanwaltschaft die „Kinder-Richtlinie“ kritisch. Bislang wurde keine Anklage gegen die Beschuldigten, die sich alle anwaltlich vertreten lassen, erhoben. Alle werden sich allerdings absehbar wegen der Tat vor Gericht verantworten müssen. Geurteilt wird bei dem Verfahren nach dem Jugendstrafrecht, das nicht eine Strafe, sondern den „erzieherischen Aspekt“ in den Vordergrund stellt. Zum Zeitpunkt der Tat waren alle Beschuldigten unter 21 Jahre alt.
2016 war im Stadtteil Harburg eine betrunkene 14-Jährige das Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden. Eine Komplizin der Vergewaltiger hatte dabei den Missbrauch mit dem Handy gefilmt. Nach der Tat war die 14-Jährige nur leicht bekleidet und hilflos bei Minustemperaturen in einem Hinterhof an der Bornemannstraße abgelegt worden.
Gruppenvergewaltigung in Harburg wurde neu aufgerollt
Von den vier Beteiligten fielen drei unter das Jugendstrafrecht. Sie waren zunächst zu Bewährungsstrafen von ein bis zwei Jahren verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft war wegen der nach ihrer Ansicht zu milden Urteile in Revision gegangen. Der Bundesgerichtshof hob die Urteile auf. Es musste neu verhandelt werden.
In einem zweiten Verfahren wurden zwei der Täter zu drei Jahren beziehungsweise zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Der dritte Vergewaltiger kam erneut mit einer Bewährungsstrafe davon.