Hamburg. Laut der Staatsanwaltschaft soll ein 74-Jähriger die demente Frau aus Blankenese aus Habgier und heimtückisch umgebracht haben.

Für Ellen L. war ihr Betreuer dieser eine Mensch, dem sie bedingungslos vertrauen mochte. Die 91-Jährige nannte den Mann ihren „langjährigen Freund“ und setzte ihn als Bevollmächtigen für alle gesetzlichen Belange ein. Und sie verfügte, dass Karsten G. auch ihr Alleinerbe sein soll. Diese Stellung hat der 74-Jährige nach dem Tod der betagten Frau schnell umgesetzt, sehr schnell. Ihre Wohnung verkaufte der Blankeneser für rund 210.000 Euro und strich den Erlös ein. Hat der Mann es zu eilig gehabt, an das Geld zu kommen und bei ihrem Tod nachgeholfen? Ist Karsten G., der angeblich so Vertrauenswürdige, in Wahrheit ein Mörder?

Mit einem weichen Gegenstand erstickt

Vor dem Schwurgericht sitzt nun ein schlanker Mann mit fast schulterlangem weißem Wuschelhaar und weißem Hemdkragen. Flankiert von seinen beiden Verteidigern, liest der 74-Jährige mit, was die Anklage ihm vorwirft. Die Staatsanwaltschaft geht bei der Tat vom 7. September 2017 davon aus, dass Karsten G. die 91 Jahre alte Ellen L. aus Habgier und heimtückisch ermordet hat. Laut Anklage hat der Hamburger die Seniorin, die ihm gegenüber arg- und wehrlos gewesen sei, mit einem weichen Gegenstand erstickt, sehr wahrscheinlich mit einem Kissen. Dies habe er getan, „um in den Genuss der Erbschaft zu gelangen und sein Geldvermögen zu vermehren“.

Verdächtiger konnte 40.000 Euro auf das Konto seiner Ehefrau überweisen

Schon zuvor soll der Hamburger in 37 Fällen der bereits seit 2012 dementen sowie stark sehbehinderten Frau Überweisungsträger untergeschoben haben – wohl wissend, dass sie wegen ihrer geistigen Hinfälligkeit nicht mehr wirklich realisierte, was sie da unterzeichnete. Auf diese Weise konnte der früher als selbstständiger Kaufmann tätige Hamburger laut Anklage fast 40.000 Euro auf das Konto seiner Ehefrau überweisen, auf das er Zugriff hatte. So habe Karsten G. seine „finanziellen Engpässe“ überwinden wollen. Darüber hinaus wird er beschuldigt, ohne Fahrerlaubnis und in einem Wagen mit gestohlenen Kennzeichen unterwegs gewesen zu sein.

Die Verteidigung von Karsten G. wies die Tötungsvorwürfe zurück. Die Anklage basiere „auf Mutmaßungen“, meinte Rechtsanwalt Arne Timmermann in einem „Opening Statement“. Ihr Mandant werde „als geldgieriger Mörder und Erbschleicher dargestellt“, was er nicht sei. Zudem nannte der Verteidiger die Polizeiarbeit „miserabel“. Es habe lediglich „Mutmaßungen“ der Rechtsmediziner zur Todesursache gegeben, die die Ermittler übernommen hätten. Ein Beweis, dass der Angeklagte sich bereicherte, sei nicht erbracht worden. Der Betreuer von Ellen L. selbst war es gewesen, der am 7. September 2017 ihren Tod gemeldet hatte. Er hatte geschildert, dass er die Blankeneserin leblos neben ihrem Rollstuhl gefunden habe.

Herz-Kreislauf-Versagen als Todesursache

Für die hochbetagte Frau, neben ihrer Demenz auch körperlich schon länger hinfällig, stellte deren Hausarzt die Todesbescheinigung aus. Demnach sei sie einem Herz-Kreislauf-Versagen erlegen, hieß es. Eine Einschätzung, die sich später als falsch herausstellen sollte. Bei der Obduktion der Toten gab es erste Hinweise, dass bei ihrem Ableben nachgeholfen wurde.

Ermittlungen ergaben zunehmend Verdachtsmomente gegen Karsten G. So offenbarten sich unter anderem Ungereimtheiten darüber, wie der Betreuer die Verstorbene genau vorgefunden haben wollte. Auffällig waren auch die zahlreichen Überweisungen zugunsten des Alleinerben. Am 19. Dezember vergangenen Jahres, mehr als ein Jahr nach dem Tod von Ellen L., wurde der Mann in seiner Wohnung in Blankenese verhaftet. Bis Anfang Oktober hat das Gericht 27 Verhandlungstage terminiert.

Verdächtiger offenbar verschuldet

Ein Kriminalbeamter schilderte am Freitag als Zeuge, Karsten G. habe „lapidar und gelassen“ reagiert, als die Polizei ihm einen Durchsuchungsbeschluss für seine Wohnung und den Haftbefehl präsentierte. Üblicherweise seien Menschen in vergleichbaren Situationen fassungslos, wütend oder traurig. „Er war nichts davon.“ Die Wohnung des Verdächtigen sei schmutzig, verwohnt und verwahrlost gewesen. „Spinnweben und Staubflocken waren in jeder Ecke.“ Im Wohnzimmer auf einem Flügel unter einer Art Tischläufer fanden die Ermittler den Personalausweis und die Krankenversicherungskarte der Verstorbenen. In einem Verfahren aus dem Jahr 2002, aus dessen Urteil der Vorsitzende Richter verlas, hieß es, Karsten G. sei verschuldet und habe „ständig Besuch des Gerichtsvollziehers“.

Ein 21-Jähriger, der den Angeklagten als „väterlichen Freund“ bezeichnete, betonte am Freitag, dass Karsten G. „sehr tierlieb“ sei. Das sei so weit gegangen, dass Karsten G. einem Marienkäfer das Leben rettete. Einmal, so der Zeuge, hätten sie gemeinsam die alte Dame besucht, die aber nur im Bett gelegen und offenbar kaum etwas wirklich wahrgenommen habe. Dass die 91-Jährige wenig später tot war, habe ihn daher nicht sonderlich überrascht. Eher habe er sich darüber gewundert, dass sein väterlicher Freund nach dem Verkauf der Wohnung von Ellen L. so weitergelebt habe wie vorher. „Er hat sich nicht einmal ein neues Hemd oder eine neue Hose gekauft.“