Hamburg. Der Chef der Hamburger Hells Angels wurde in seinem Bentley von mehreren Kugeln getroffen. Der Rockerkrieg war eigentlich beendet.
Auf dem Dom sind am Sonntagabend gerade die Lichter ausgegangen, als wenige Meter vom Heiligengeistfeld entfernt auf der Kreuzung Budapester Straße/Millerntor Schüsse fallen. Sie hätten vier gehört, geben Zeugen an – es waren wohl noch mehr.
Die Schüsse gelten Dariusch F. Als sogenannter Sergeant at Arms obliegt dem 38-Jährigen die Bewaffnung und die Sicherheit der verbotenen Rocker-Gruppierung Hells Angels in Hamburg. Offiziell ist er nur die Nummer drei in der Hierarchie – tatsächlich steht er längst an der Spitze des Charters Southport, wie sich einer der zwei „Höllenengel“-Clubs in Hamburg nennt. Mit Prostitution und Drogengeschäften scheffeln die Rocker Millionen Euro im Jahr.
Fünf Kugeln treffen den Rockerboss
Nach ersten Erkenntnissen der Polizei wartet der 38-Jährige gegen 23.50 Uhr mit seinem weißen Bentley vor einer Ampel an der Kreuzung auf Grünlicht, als ein bisher unbekannter Schütze von einem daneben haltenden Auto aus das Feuer auf ihn eröffnet. Zwei Kugeln treffen Dariusch F. nach Abendblatt-Informationen in den Oberkörper, eine in den Bauch, zwei streifen Arm und Hinterkopf. Ein weiteres Projektil schlägt in der Außenfassade der nahe gelegenen Kult-Bar Zwick ein.
Als Polizisten am Tatort eintreffen, sitzt Dariusch F. noch immer hinterm Steuer, Blut klebt am Türholm des Bentleys mit 1881 im Nummernschild – eine bei Hells Angels beliebte Zahlenkombination. Dariusch F. ist ansprechbar, wird erstversorgt und dann mit einem Rettungswagen ins nächste Krankenhaus transportiert. Zu seinem Schutz postiert die Polizei zudem Beamte vor der Klinik – wie schon am Tatort kreuzen später auch dort mehrere Gefolgsleute des 38-Jährigen auf. Von dem oder den Tätern fehlt indes jede Spur.
Während die Ärzte Dariusch F. notoperieren, suchen Dutzende Beamte die Umgebung nach Patronenhülsen ab, messen den Tatort mit einem 3D-Scanner aus. Mehr als vier Stunden sind Ermittler der Mordkommission und der Abteilung Organisierte Kriminalität im Einsatz. Die Budapester Straße ist in dieser Zeit für den Verkehr voll gesperrt.
Warum wurde auf Dariusch F. geschossen?
Völlig unklar ist derzeit noch der Hintergrund der Tat. Die Ermittler hoffen jetzt auf Hinweise von Augenzeugen, die in ihren Autos vor der Ampel hinter dem Bentley des Opfers standen. Dass das für Milieukriminalität zuständige LKA 65 die Ermittlungen übernommen hat, spricht indes für sich.
Für die Ermittler kommt die Tat völlig überraschend, zumal es mit Dariusch F. nicht irgendeinen Hells Angel getroffen hat, sondern ausgerechnet den Boss und das noch auf dem Kiez, vulgo: dem „Wohnzimmer“ der Bande. Genau dort also, wo die Rocker ihr kriminelles Kerngeschäft aufgebaut haben, wo sie Dutzende Steigen betreiben und seit Jahrzehnten unangefochten den Ton angeben.
Zudem verhielten sich die Rocker zuletzt extrem unauffällig. Nach Ende der blutigen Fehde mit der rivalisierenden Rocker-Gruppierung Mongols vor drei Jahren gingen sie mehr oder weniger geräuschlos ihren dubiosen Geschäften nach. Dariusch F. brachte es dabei zu einigem Wohlstand: Wohnung in der HafenCity, Ferrari und Bentley in der Garage, mehrere Etablissements auf dem Kiez.
Dariusch F. wird auch „Der Schlächter“ genannt
Der niedergeschossene 38-Jährige gilt als beinharter Anführer der Angels in Hamburg, ein bulliger Mann mit Glatze, Spitzname Dari, der wegen seines brutalen Kampfsportstils mitunter auch „Der Schlächter“ genannt wird. Aufgewachsen in Niendorf, flog Dariusch F. als Zwölfjähriger von der Schule. Danach folgten: ein Aufenthalt im Jugendheim an der Feuerbergstraße, eine Scharfschützen-Ausbildung bei der Bundeswehr, Einsatz im Kosovo.
Seine Meriten bei den Angels verdiente sich Dariusch F. durch eine Reihe brachialer Aktionen: 2007 verprügelt er vor dem Laufhaus an der Reeperbahn mit zwei Komplizen einen Freier, dafür kassiert er neun Monate auf Bewährung. Ein Jahr später, bei Revierstreitigkeiten um den Straßenstrich an der Süderstraße, schießt er vor einer Tankstelle am Hammer Deich mehr als 20-mal in die Luft. Urteil: zwei Jahre auf Bewährung.
2015 gab es den letzten Rockerkrieg
Skrupelloses Auftreten ist auch im Jahr 2015 gefragt, als mit den Mongols eine andere Rocker-Gruppierung versucht, den Angels die Vorherrschaft in Hamburg streitig zu machen, damit aber krachend scheitert – die etablierten Rocker führen ihre Rivalen unter Führung des großmäuligen Mongols-Präsidenten Erkan U. regelrecht vor.
Seinen Höhepunkt erreicht der „Rocker-Krieg“ im Dezember 2015, als ein Taxi am Nobistor von sieben Schüssen durchsiebt wird, drei Mongols werden dabei verletzt, einer schwer. Im Januar 2016 wird Dariusch F. wegen mutmaßlicher Beteiligung an der Schießerei festgenommen, doch schon zwei Monate später mangels dringenden Tatverdachts wieder aus der U-Haft entlassen.
Die Schießerei 2015 in Bilder:
Schießerei auf Mongols-Rocker an der Reeperbahn
Am späten Montagabend wurde bekannt, dass Dariusch F. außer Lebensgefahr ist. Im Umfeld des Rocker-Bosses hieß es aber, er spüre seine Beine nicht mehr. Die Ermittler treibt nun die Frage um, wer warum den Ober-Rocker niedergeschossen hat. Spekulationen gibt es schon jetzt reichlich – einen neuen Rockerkrieg allerdings (noch) nicht.