Der Prozess gegen Marcin K., genannt „Lolli“, läuft bereits seit einem Jahr. Er ist der Sohn des Erfinders des Enkeltrick-Betrugs.
Hamburg. Als Staatsanwältin Ulrike Basdorf am Ende ihres Plädoyers einen knallharten Strafantrag stellt, dreht sich der Angeklagte Marcin K. um und wirft einer Frau im Zuschauerraum einen Handkuss zu. Sie erwidert den Kuss, dann bricht sie in Tränen aus. Kein Wunder: Basdorf hat am Montag – ein Jahr nach Prozessbeginn – 14 Jahre Haft für den 30-Jährigen gefordert.
Mitleid mit Marcin K., Spitzname „Lolli“, braucht es nicht. Mitleid zeigte er auch nicht, als er die Hilfsbereitschaft etlicher hochbetagter Damen und Herren ausnutzte und mit dem „Enkeltrickbetrug“ um Hunderttausende von Euro brachte. Laut Basdorf machte ihm die dreiste Tour sogar Spaß. Eine 80-Jährige, die Marcin K. gegenüber Komplizen als „dumme Alte“ verunglimpfte, scheuchte er bei einer Tat am Handy unter schallendem Gelächter kreuz und quer durch Düsseldorf, wie die Auswertung einer Telefonüberwachung ergab.
Ebenso wenig zeigte er nach Auffassung der Anklägerin Reue. Stattdessen habe er seine Verantwortung relativiert und versucht dem Gericht weiszumachen, dass die gesamte Beute in die Tilgung von Spielschulden bei der polnischen Mafia geflossen sei. „Tatsächlich hat der Angeklagte das Geld für ein Luxusleben verprasst“, sagte Basdorf.
Eine Milliarde von Senioren
Als ein wichtiger Hintermann der perfiden Betrugsmasche und Sohn des Erfinders des Enkeltrick-Betrugs Arkadiusz L., genannt „Hoss“, profitierte Marcin K. wohl in besonderem Maße von den kriminellen Machenschaften der polnischen Großfamilie, die mit dem ergaunerten Reichtum ein Leben in Saus und Braus führte und zu Weihnachten den Baum mit Geldscheinen dekorierte.
Geld war genug da: Wie die österreichische Polizei im März 2017 mitteilte, sollen Clan-Pate „Hoss“ und seine kriminelle Sippe in Deutschland, Österreich und der Schweiz „bis zu eine Milliarde Euro“ von Senioren erbeutet haben.
Die Staatsanwaltschaft legt Marcin K. versuchten und vollendeten banden- und gewerbsmäßigen Betrug in 43 Fällen zur Last, die Bande soll ihren Opfern in Hamburg und anderen Städten zwischen 2011 und 2014 279.000 Euro abgeknöpft haben. Außerdem soll der 30-Jährige einem Hamburger Justizbeamten 300.000 Euro geboten haben – wenn der ihm zur Flucht aus der Untersuchungshaft verhelfe.
Komplettes Vermögen einer Rentnerin ergaunert
Als sogenannter „Keiler“ der obersten Hierarchie-Ebene soll Marcin K. die Telefon-Akquise übernommen haben. Als vermeintlicher Bekannter oder Angehöriger täuschte er dabei seinen Opfern eine finanzielle Notlage vor, etwa: Er sei der Neffe Bernd und benötige für die Finanzierung einer Wohnung rasch Geld.
Zwar durchschauten die meisten Angerufenen den Schmu. Doch wer der Bande auf den Leim ging, musste finanziell bluten: Eine Hamburgerin (85) verlor 100.000 Euro, ihr gesamtes Vermögen. Eine andere übergab der Bande 3500 Euro – Geld, das sie für ihre Beerdigung beiseite gelegt hatte. Die Opfer berichteten dem Gericht, dass sie noch immer unter Angst- und Schamgefühlen litten.
Marcin K. selbst legte erst am 48. Verhandlungstag ein Geständnis ab. Eine harte Strafe sei „tat- und schuldangemessen“, sagte Basdorf, die Betrüger hätten auch einen gesellschaftlichen Schaden angerichtet. „Derjenige, der hilfsbereit ist, wird bestraft.“ Am Mittwoch plädiert die Verteidigung.