Ungewöhnlich viele Unfälle. Polizei und ADAC stehen vor einem Rätsel. Viele sind zu schnell unterwegs.
Hamburg . Anfang März stürzt ein 32-Jähriger auf der Sülldorfer Landstraße, kollidiert mit einem entgegenkommenden Renault. Ende Mai prallt ein 59-Jähriger in Horn nach einer Notbremsung gegen die Mittelleitplanke. Am 23. Juni fährt ein 25-Jähriger auf der Holsteiner Chaussee gegen ein ausfahrendes Auto. Fünf Tage später prallt ein 29-Jähriger an der Alten Landstraße gegen einen geparkten Polo. Am 5. Juli fährt ein 35-Jähriger mit seiner Kawasaki gegen einen ausparkenden Audi. Am 12. Juli wird ein 21-Jähriger an der Hebebrandstraße unter einem Linienbus eingeklemmt. Zwei Tage später kommt ein 43-Jähriger ohne ersichtlichen Grund von der Elbchaussee ab.
Sie wurden übersehen. Sie verloren die Kontrolle über ihre PS-starken Maschinen. Sie bremsten zu spät. Und sie fuhren sehr oft viel zu schnell. Sieben Motorradfahrer haben in diesem Jahr bereits ihr Leben auf Hamburgs Straßen verloren. Deutlich mehr wurden bei Unfällen verletzt. Dabei hat die Motorradsaison erst begonnen, bezogen auf das unbeständige Wetter. Die sonnenreichen Tage liegen noch vor uns, die Unfallzahlen hingegen übersteigen bereits fast alle Vorjahreszahlen.
Seit 2007 sind nur zweimal – 2008 und 2013 – im ganzen Jahr mehr als sieben Motorradfahrer ums Leben gekommen. 2013 gab es acht tödliche Unfälle, 2008 waren es elf. In diesem Jahr droht die Gesamtzahl der Unfallopfer nun alle Rekorde zu brechen.
Warum das so ist, weiß man nicht: „Es gibt keinen Effekt, auf den man sich beziehen kann“, sagt der Vizechef der Verkehrsdirektion der Polizei, Karsten Wegge. Die Ursachen bei den diesjährigen tödlichen Unfällen seien „höchst unterschiedlich“. Es handle sich möglicherweise um eine unglückliche Häufung tragischer Einzelfälle.
Einige Konstanten allerdings spielen immer eine Rolle: Das Wetter etwa, sind sich die Experten einig. „Je früher das Jahr schön ist, je mehr Sonnentage es hat, desto mehr Unfälle mit Motorradfahrern sind zu erwarten“, sagt Christian Hieff, Sprecher des ADAC Hansa. Ist es schlecht, bleiben die meisten Motorräder in der Garage. Doch darüber hinaus? „Nicht angepasste Geschwindigkeit ist immer noch Unfallursache Nummer eins“, sagt Hieff.
Zu hohes Tempo ist nach einer ADAC-Erhebung für fast die Hälfte aller Unfälle von Motorradfahrern mit Personenschäden verantwortlich. Hingegen: Bei der Betrachtung aller Verkehrsunfälle ist zu schnelles Fahren nur für sieben Prozent der Unfälle verantwortlich, so die aktuelle Verkehrsunfallstatistik. „Ob ein Unfall mit einem Motorradfahrer tödlich ausgeht, korrespondiert klar mit dessen Geschwindigkeit“, sagt Wegge.
Raser-Beispiele gibt es genug: Anfang Juli fuhr ein 47-Jähriger Ducati-Fahrer mit Tempo 132 durch Neuenfelde, erlaubt waren 60. Im April wurde die Fahrt eines 35-jährigen Kawasaki-Fahrers an der Sengelmannstraße von einer ProViDa-Streife, einem Motorrad mit Videotechnik, verfolgt. Statt erlaubter 50 fuhr er Tempo 120. Zu schnell fahren dabei nicht die Jungen. Laut ADAC sind es vor allem Fahrer der Altersgruppen der 25- bis 35-Jährigen sowie der 45- bis 55-Jährigen, die als Raser auffallen.
Sprecher Hieff rät: vorausschauend fahren. Mit Fehlern anderer rechnen. „Sich fragen, hat mich der Autofahrer wirklich gesehen?“ Extremsituationen üben. „Ausweichmanöver und Notbremsungen lassen sich mit Fahrtraining trainieren. Dies kann im Zweifelsfall die Lebensversicherung sein.“ Polizist Wegge von der Verkehrsdirektion: „Wir appellieren an alle Motorradfahrer, vorsichtiger und langsamer zu fahren. Die Stadt ist keine Rennstrecke.“
Wenn es zwischen Motorrad- und Autofahrern kracht, habe meist der Autofahrer Schuld, sagt ADAC-Sprecher Hieff. Bei 14.129 Unfällen deutschlandweit sei in 71,2 Prozent (2012) der Autofahrer Hauptverursacher gewesen. Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer, eines Unternehmens des Gesamtverbandes der Versicherer, widerspricht: „Motorradfahrer haben ihr Schicksal oft genug selbst in der Hand.“ Alleinunfälle eingerechnet, hätten Motorradfahrer in 60 Prozent Schuld an den Unfällen, wie eigene Erhebungen ergeben haben.
„Vorausschauendes Fahren kann Unfälle verhindern“, sagt Brockmann. Allerdings, sagt er, gebe es genug Motorradfahrer, die gar nicht defensiv fahren, die das Potenzial ihrer Maschinen ausreizen, sich so eng wie möglich in die Kurve legen wollen. Da würden Appelle kaum nützen. Laut Brockmann seien Fahrer stark motorisierter Maschinen häufiger Unfallverursacher.
Wie das Autofahren sei auch Motorradfahren immer sicherer geworden, es gebe bessere Bereifung, bessere Fahrwerke, bessere Bremsen und ab 2016 muss ABS serienmäßig angeboten werden. Laut ADAC könnten mit ABS 21 Prozent aller Motorradunfälle verhindert werden. „Aber dann ist Ende der Fahnenstange“, sagt Siegfried Brockmann, im Gegensatz zum Auto, wo noch zahlreiche andere Fahrerassistenzsysteme in der Entwicklung seien. „Alles Weitere müssen wir über den Fahrer lösen.“